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Wirtschaft: Auf den Punto gebracht

Der Autobauer Fiat stand vor dem Zusammenbruch – bis der neue Chef Marchionne aufräumte

Viele verdanken es Sergio Marchionne, dass bei Fiat noch nicht die Bänder still stehen. Seit er vor 17 Monaten zum neuen Chef des Autobauers berufen wurde, hat er dem Unternehmen neues Leben eingehaucht. Der in Italien geborene und in Kanada aufgewachsene Marchionne setzte leistungsschwache Manager vor die Tür und machte sich an den Abbau von Fiats Schuldenberg. Inzwischen sehen die Kreditagenturen wieder Hoffnung für das Unternehmen, einige Analysten raten sogar zum Kauf der Fiat-Aktie.

Das Geheimnis des Kurswechsels sei eine „Radikalkur“ bei Fiats aufgeblähtem Management gewesen, sagte Marchionne in einem Interview. „Ohne die hätten wir das Ganze nicht reparieren können.“ Doch hinter den guten Nachrichten der letzten Zeit lauern langfristige Sorgen: Experten fragen sich, ob Marchionne auf lange Sicht ein Unternehmen retten kann, dessen Kerngeschäft der Bau kleiner und preiswerter Autos im hochpreisigen Europa ist.

Fiats Schicksal betrifft auch andere europäische Hersteller wie General Motors, Ford, Volkswagen und Daimler-Chrysler. Denn wenn Fiat im Geschäft bleibt, könnten die Pkw-Preise einem Dämpfer erhalten, was den gesünderen Autobauern weitere Marktanteile kosten würde. „Das Problem in dieser Industrie ist, dass die Verlierer nicht aussteigen“, sagt Stephen Chatham, Chefanalyst für die Automobilbranche bei Sanford C. Bernstein. Nach seiner Einschätzung kommt für Fiats Autosparte jede Hilfe zu spät.

Andere sind optimistischer. In der letzten Woche stufte J. P. Morgan Chase die Fiat-Aktie auf „übergewichten“ und prognostizierte einen Preis von 8,50 Euro – 22 Prozent über dem derzeitigen Stand. Der langfristige Kurswechsel bleibt zwar unklar, „doch wenigstens ist der kurzfristige Ausblick jetzt klarer“, so das Bankhaus, das selbst Fiat-Aktionär ist und Geschäftsbeziehungen zum Autobauer hat.

Bei dem in Turin ansässigen Unternehmenskonglomerat, das Fahrzeuge vom Iveco-Lkw bis zum Ferrari herstellt, hat sich einiges geändert, seit Marchionne im Juni 2004 die Führung übernahm. Als Marchionne kam, war der Patriarch der Eigentümerfamilie, Umberto Agnelli, gerade gestorben. Nur ein Jahr zuvor war das Unternehmen knapp einem Insolvenzverfahren entronnen. In gerade einmal zwei Jahren hatte Fiat vier Firmenchefs gesehen. Die Gewerkschaften forderten den Staat zum rettenden Kauf des angeschlagenen Autobauers auf.

Fiats Verluste summierten sich 2003 auf fast zwei Milliarden Euro, und auch 2004 waren es noch 1,6 Milliarden. Das Unternehmen litt an „zu viel Management und zu wenig Führung“, sagt Marchionne. Schwache Manager wechselten die Abteilungen, anstatt zu gehen. Unter Marchionne wurden Fiats Hierarchien flacher und schlechte Manager rausgeworfen.

Geschickt spielte er auch einen der wenigen Trümpfe in der Hand von Fiat aus. Die Fiat-Gruppe hatte die Option, ihre schwächelnde Autosparte an General Motors zu verkaufen – so sah es eine Joint-Venture-Vereinbarung beider Unternehmen aus dem Jahr 2000 vor. GM drohte, sich im Gerichtsweg gegen den Kaufzwang zu wehren und notfalls den italienischen Autobauer abzuwickeln und alle Mitarbeiter zu entlassen. Im Januar stellte Marchionne General Motors vor die Wahl. Am Ende zahlte GM umgerechnet zwei Milliarden Euro, um sich von der Option freizukaufen und das Joint Venture aufzulösen. Das Bargeld reichte, damit Fiat die Intensivstation verlassen konnte.

Als Nächstes drängte Marchionne den Chef der Autosparte aus dem Amt. Und obwohl er keine Erfahrungen im Automobilgeschäft hatte, übernahm er den Posten gleich selbst. „Besser man stirbt durch seine eigenen Hände als an den Management-Entscheidungen anderer“, sagt Marchionne. Er machte auch mit dem Vertrieb von Fahrzeugen durch Gebrauchtwagenhändler Schluss, wo regelmäßig hohe Rabatte anfallen. Das drückte zwar auf Absatz und Marktanteile. Dafür stieg die Handelsspanne: Im dritten Quartal dieses Jahres wuchs Fiats Gewinn um 0,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr – trotz eines Umsatzrückgangs von 5,9 Prozent. Doch auch Marchionnes Macht ist begrenzt, wenn es um die strukturellen Probleme der Autosparte geht, die immerhin 43 Prozent des Umsatzes der Unternehmensgruppe generiert. Mehr als 70 Prozent von Fiats Verkäufen in Italien entfällt auf das wenig profitable Kleinwagensegment. Hier verlässt sich Fiat vor allem auf den Punto, der ein Viertel des Gesamtumsatzes einfährt und für Marchionne ein Schlüsselmodell ist: „Der Punto allein kann Fiat nicht retten, aber sein Misserfolg hätte Fiat endgültig versenkt.“

Fiats Kostenstruktur macht die Produktion von Kleinwagen noch schwieriger. Denn wie viele andere Hersteller in diesem Segment hat auch Fiat Überkapazitäten. Experten schätzen die Auslastung in Fiats Werken auf 72 Prozent weltweit und nur 61 Prozent in Italien. „Das Problem ist, dass Marchionne hier nie ein Werk schließen könnte, weil es dann eine Schlacht mit den Gewerkschaften gäbe“, sagt Marco Biocchi Pichi, ein Berater der Autoindustrie.

Marchionne sagt, dass groß angelegte Werksschließungen nichts als unbedachte Kurzschlusshandlungen wären. Die wahren Kostenprobleme bei Fiat kämen „nicht von den Arbeitern am Band, sondern vom gesamten Begleitapparat, den ein Unternehmen wie dieses erfordert, von Ingenieuren bis zu Juristen.“ Der Überbau ist immer noch groß genug, um mehr als zwei Millionen Autos jährlich zu verkaufen. Doch solche Absatzzahlen sind längst Geschichte: Im letzten Jahr verkaufte Fiat nur 1,8 Millionen Autos, verglichen mit 2,4 Millionen in den späten neunziger Jahren.

Schon einige Male wurden Autobauer vor dem sicher geglaubten Aus gerettet. Zuletzt gelang dies bei Nissan während der Amtszeit von Carlos Ghosn, der inzwischen Chef von Nissans Muttergesellschaft Renault geworden ist. Marchionne erwartet auch für Fiat einen, wenn auch steinigen Weg zum Erfolg: In fünf Jahren, so der Unternehmenschef, soll Fiat bei der Wirtschaftlichkeit im oberen Viertel der Automobilhersteller stehen.

Gabriel Kahn

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