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Wirtschaft: Auf der Sonnenseite der Bilanz

Stromkonzerne sollen für erneuerbare Energien zu hohe Gebühren verlangen und so Millionen kassieren

Berlin - Die Stromwirtschaft missbraucht offenbar die erneuerbaren Energien, um sich selbst Einnahmen in Millionenhöhe zu sichern. Diesen Vorwurf erhebt kein Umweltlobbyist, sondern der Bundesverband neuer Energieanbieter (bne), der unabhängige Strom- und Gashändler vertritt. „Insgesamt geht es um 250 Millionen Euro, die falsch verbucht werden“, sagte bne-Vorstand Jürgen Putz dem Tagesspiegel am Sonntag. In der Windbranche ist sogar die Rede von 500 Millionen Euro, die die etablierten Energieunternehmen zu Unrecht eingestrichen haben sollen.

Bei den Anschuldigungen geht es um die Durchleitungsgebühren, die die Betreiber der Stromnetze von ihren Kunden – also den Energiehändlern – verlangen. Nach Ansicht des bne berücksichtigen sie dabei den Strom aus Wind, Sonne und Wasser in viel zu großem Umfang. Denn dieser Ökostrom wird dezentral in vielen kleinen Anlagen erzeugt. Er muss – anders als Strom aus großen Kraftwerken – nicht über weite Strecken transportiert werden. Das Höchstspannungsnetz bleibt entsprechend ungenutzt. „Häufig reicht Mittelspannung, oft sogar Niedrigspannung“, erklärt Putz, dessen Unternehmen Ensys selbst mit Strom handelt.

Trotzdem berechnen die Netzbetreiber offenbar auch die Nutzungsgebühren für das Höchstspannungsnetz. Das hat eine Untersuchung des bne ergeben. Dabei ist die Gesetzeslage eindeutig: Laut Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) dürfen die Stromunternehmen die wegen der dezentralen Erzeugung vermiedenen Netzentgelte ihren Kunden nicht in Rechnung stellen. Vielmehr müssen diese vom Preis für Ökostrom abgezogen werden. Der Haken dabei ist jedoch, dass die Unternehmen bei der Berechnung des genauen Betrags laut Gesetz „nach guter fachlicher Praxis“ vorgehen sollen. „Das ist so, als ob ich meine Einkommensteuer selbst festlegen dürfte“, sagt Putz.

Insgesamt wurden im Jahr 2004 deutschlandweit 38 Terawattstunden Ökostrom in die deutschen Netze eingespeist. Nach den im EEG festgeschriebenen Vergütungssätzen hatte diese Menge einen Wert von 3,611 Milliarden Euro. „Als vermiedene Netzentgelte sind aber nur 33 Millionen Euro abgezogen worden“, rechnet Putz vor. Das heißt: Die Ersparnis dank der dezentralen Erzeugung hat angeblich nur 0,9 Prozent ausgemacht. „Realistisch wären sechs bis sieben Prozent“, sagt Putz. Für 2005 liegen noch keine Zahlen vor; Putz rechnet aber mit einer ähnlichen Größenordnung.

Bei den etablierten Stromunternehmen weist man die Vorwürfe zurück. „Durch EEG-Strom kann man nur in Einzelfällen Kosten sparen“, sagt eine Sprecherin des Verbands der Elektrizitätswirtschaft (VDEW). Bei Windstrom sei sogar das Gegenteil der Fall: „Wegen des Netzausbaus von der Küste zu den Verbrauchszentren entstehen eher zusätzliche Kosten.“ Allerdings räumt auch die VDEW-Sprecherin ein, dass dezentrale Anlagen zu niedrigeren Netzentgelten führen. Über eigene Zahlen dazu verfüge der Verband aber nicht. „Das wird jeweils in den Unternehmen ermittelt.“

Genau darüber wundert sich jedoch Putz vom bne. Er hat nämlich festgestellt, dass die regionalen Netzbetreiber äußerst unterschiedlich rechnen. Laut bne variiert die Höhe der durch Ökostrom vermiedenen Netzentgelte erheblich. Während beispielsweise die Stadtwerke Bamberg ihren Kunden 2,2 Prozent der Kosten für Ökostrom erlassen, sind es bei Eon Mitte nur 1,3 und bei N-Energie sogar nur 0,5 Prozent.

Auch kurzfristige Veränderungen bei der Berechnungspraxis hat der bne festgestellt. „Die Netzbetreiber sind offensichtlich dabei, ihre Datenbestände neu zu organisieren“, sagt Putz. Seiner Ansicht nach kann es dafür nur eine Erklärung geben: Die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsbehörde soll getäuscht werden. „Das ist wie ein Verschiebebahnhof“, erklärt Putz. „Während der EEG- Strom teuer gerechnet wird, hält man die Netzentgelte für den übrigen Strom künstlich niedrig.“ Für die etablierte Energiewirtschaft habe das gleich zwei Vorteile: „Die erneuerbaren Energien stehen als der Bösewicht da, der die Strompreise nach oben treibt“, sagt Putz. „Gleichzeitig wird die Bundesnetzagentur beruhigt, weil die Netzentgelte günstiger erscheinen, als sie tatsächlich sind.“

Der bne fordert die Behörde daher zu einer genauen Kontrolle auf. „Niemand sonst ist jetzt in der Pflicht“, sagt Verbandsgeschäftsführer Robert Busch. Bei der Netzagentur selbst hält man sich jedoch bedeckt. Das Ganze sei ein „höchst komplexes und kompliziertes Thema“, heißt es lediglich.

Für den Bundesverband neuer Energieanbieter ist diese Haltung nicht akzeptabel. „Wenn die Netzagentur nichts unternimmt, muss eben der Gesetzgeber aktiv werden“, fordert Putz. „Die schwammige Formulierung im EEG bedarf dringend einer Klärung.“

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