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Aufbau Ost: 1,2 Billionen Euro, die sich lohnen

Wirtschaftsforscher ziehen eine positive Bilanz des Aufbaus Ost – und erklären, was nun passieren muss

Berlin - Vor 20 Jahren markierte die Bernauer Straße die Grenze zwischen der kapitalistischen und der sozialistischen Welt. Gestern stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hier, in der Gedenkstätte Berliner Mauer, die ökonomische Bilanz der Einheit vor. Und die fällt äußerst positiv aus: Die enormen finanziellen Mittel für den Aufbau Ost, immerhin geschätzte 1200 Milliarden Euro, hätten sich bezahlt gemacht, sagten die Wissenschaftler. „Es gab große Fortschritte, auch wenn nicht alle überschäumenden Erwartungen erfüllt wurden“, sagte DIW-Präsident Klaus Zimmermann.

Vor allem die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit seien immens gestiegen. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, das als Maß für die Produktivität gilt, hat sich in den ostdeutschen Flächenstaaten nach der Wende mehr als verdoppelt, liegt aber immer noch unter Westniveau. „Außerdem ist es nach einer fast vollständigen De-Industrialisierung gelungen, wieder ein beachtliches industrielles Wachstum zu erreichen“, betonte Zimmermann. Auch Karl-Heinz Paqué von der Uni Magdeburg sieht die Produktivitätsentwicklung als zentral für den Aufholprozess. Allerdings hätten die Löhne sich nicht dementsprechend verbessert: „Das Lohnangleichungsziel ist nicht erreicht.“ Die Tarifvertragsparteien hätten nicht annähernd die Macht wie im Westen.

Während die Erneuerung der Infrastruktur weit fortgeschritten sei, sehen die Forscher bei der Innovationskraft weiterhin eine große Lücke zum Westen. Daher forderten die Forscher für die Zukunft mehr in „Köpfe als in Beton“ zu investieren. „Zum einen brauchen wir eine viel stärkere Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und privaten innovationsfähigen Unternehmen“, sagte Paqué. Zum anderen forderte er weitere politische Initiativen zur Ansiedlung industrieller Produktionsstätten. Mit Blick auf die Exzellenzinitiative für Spitzenunis forderte Paqué, dass der Osten nicht abgehängt werden dürfe. Auch DIW-Präsident Zimmermann sagte, die Hochschulen müssten verstärkt Studenten anwerben, um Fachkräfte für die Region auszubilden. Als großes Problem sehen die Forscher in diesem Zusammenhang die demographische Entwicklung, denn durch Abwanderungen in den Westen und den drastischen Geburtenrückgang schrumpft die nachwachsende Generation spürbar. „Die Menschen müssen begreifen, dass Zuwanderung ein Mittel ist, um Wohlstand zu generieren“, sagte Zimmermann. Es sei ein Irrglaube, dass Zuwanderer Arbeitsplätze wegnehmen würden. Gerade aus Osteuropa könnten gut ausgebildete Zuwanderer der ostdeutschen Wirtschaft helfen.

„Der Osten wird aufholen, aber nicht überall westdeutsches Niveau erreichen“, sagte Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut Dresden. Dies sei schon wegen der unterschiedlichen Raumstruktur nicht möglich. Der Osten sei nur halb so dicht besiedelt, wie der Westen, ergänzte DIW-Experte Karl Brenke: „Je dichter besiedelt, desto höher die Wirtschaftskraft.“

Die hohe Arbeitslosenquote resultiert vor allem aus den Neunziger Jahren. Zwischen 2005 und 2008 ist die Arbeitslosigkeit dagegen zurückgegangen und das stärker als im Westen. Künftig solle die Politik auf Förderprogramme für ganz Deutschland setzen, sagte Zimmermann: „Es sollte keine spezifisch ostdeutsche Förderung mehr geben.“ Daniel Gratzla

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Daniel Gratzla

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