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Wirtschaft: Aus eins mach zwei

Chinas Führung überlegt, die rigide Familienpolitik zu lockern. Sie gefährdet das Wirtschaftswachstum

In China wird an einem Tabu gerüttelt: der Ein-Kind-Politik. Die Regierung befürchtet, dass die umstrittene Strategie zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums zu sozialen Problemen – etwa bei der Rentenfinanzierung – führen und den wirtschaftlichen Aufschwung gefährden könnte. Daher stellt die kommunistische Führung ihre bisherige Politik jetzt auf den Prüfstand.

Bereits vor einiger Zeit hat die Regierung eine hochrangige Kommission eingesetzt. Die hat wiederum mehr als 250 Experten beauftragt, die Bevölkerungsentwicklung und ihre Folgen für das Wirtschaftswachstum zu untersuchen. In der Studie, die von Präsident Hu Jintao persönlich unterstützt wird, werden die Bevölkerungsgröße, die Lebensqualität und das Geschlechter-Verhältnis analysiert.

Unabhängig von der Studie hat eine Gruppe chinesischer Sozialwissenschaftler der Regierung empfohlen, den Familien mehr als ein Kind zu erlauben, heißt es in Regierungskreisen. Eine Bevölkerungsexplosion im bevölkerungsreichsten Land der Welt sei deshalb nicht zu befürchten, sagen die Anhänger einer liberaleren Familienpolitik. Bereits in den vergangenen Jahren hat die kommunistische Regierung die Ein-Kind-Politik für einen Teil der 1,3 Milliarden Einwohner gelockert. In vielen Regionen dürfen Bauern ein zweites Kind bekommen, wenn das erstgeborene ein Mädchen ist. Auch Alleinerziehenden gesteht das Familienplanungsministerium zwei Kinder zu.

Die Untersuchungen sind ein erster Schritt Chinas, seine restriktive Familienplanung zu überdenken, die wegen ihrer manchmal brutalen und unmenschlichen Methoden seit langem im Ausland kritisiert wird. Zur Einhaltung der Ein-Kind- Politik verhängt der Staat hohe Geldstrafen und greift zu Mitteln wie Zwangsabtreibungen und Sterilisierungen.

Trotzdem war Kritik an der Ein-Kind- Politik bisher nicht erlaubt. Obwohl sich die kommunistische Partei in den vergangenen 25 Jahren aus dem Privatleben ihrer Bürger weitgehend herauszog, blieb die Geburtenkontrolle sakrosankt. Der niedrigeren Geburtenrate wurde sogar der gestiegene Lebensstandard und die erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung zugeschrieben. Laut chinesischen Experten lehnen daher einige Politiker und Wissenschaftler eine Abkehr von der Ein-Kind- Politik zum jetzigen Zeitpunkt ab. Ob China seine restriktive Familienpolitik aufgibt, ist also überhaupt nicht sicher. Und wenn, wird es eine Zeitlang dauern.

Klar ist aber, dass die kommunistische Regierung mit ihrer Familienplanung unter Druck geraten ist. Wegen der niedrigen Geburtenraten droht China eine Überalterung der Bevölkerung und damit zugleich eine große Last für das Rentensystem. Im Jahr 2040 werden bei Anhalten des derzeitigen Trends 28 Prozent der Bevölkerung 60 Jahre oder älter sein, schätzen die Vereinten Nationen. Gegenwärtig liegt der Anteil der Über-60-Jährigen bei elf Prozent. Der Druck auf das ohnehin stark unterfinanzierte Rentensystem nimmt weiter zu, wenn immer weniger erwerbstätige Chinesen eine wachsende Zahl von Rentnern finanzieren müssen.

Schon jetzt sparen die Chinesen fleißig für das Alter; künftig würden sie noch mehr zurücklegen und weniger Geld ausgeben – ein Phänomen, das zur jüngsten Wirtschaftskrise in Japan beitrug.

Ein anderes Problem droht an der Geschlechterfront. Für chinesische Männer wird es immer schwieriger, eine Frau zu finden. Weil Chinesen traditionell lieber Söhne haben und Ultraschalluntersuchungen immer üblicher sind, treiben viele Paare weibliche Föten ab. In China kommen auf 177 Jungen, die geboren werden, nur 100 Mädchen, ergab eine Volkszählung von 2000. Weltweit liegt das Verhältnis bei 105 zu 100.

Ein weiterer Grund für die Regierung, ihre Familienpolitik zu überdenken, ist der allgemeine Ärger der Chinesen über die Ein-Kind-Politik. Manche lokale Funktionäre des Familienplanungsministeriums machen sich die strengen Geburtenvorschriften zunutze, um an Geld zu kommen. So hätten einige Funktionäre in der Provinz Yiyang mehreren Familien erzählt, sie dürften mehrere Kinder bekommen, später aber hohe Geldstrafen verhängt oder Abtreibungen erzwungen, sagen Bauern und Journalisten.

Nicht zuletzt spielt die internationale Kritik eine Rolle bei den Reformüberlegungen der Regierung. „Die internationale Gemeinschaft hat die chinesische Familienpolitik übertrieben stark kritisiert und damit dem internationalen Ansehen Chinas geschadet“, hat die chinesische Bevölkerungs- und Familienplanungskommission festgestellt.

In der Realität hat die chinesische Regierung schon vor vielen Jahren dem Unwillen der Bevölkerung nachgegeben und die Familienpolitik gelockert. 1984 nahm die kommunistische Führung mehr Familien von der strikten Ein-Kind-Regel aus. In erster Linie auf dem Land erlaubte der Staat Bauern häufig, zwei Kinder zu bekommen. Und in den vergangen zehn Jahren hat die Regierung verschiedene Pilotprojekte gestartet, um ihre Familienpolitik abzumildern. Zum Beispiel wurde Frauen erlaubt, schwanger zu werden, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten, und sie erhielten mehr Verhütungsvarianten zur Auswahl.

Die aktuelle Debatte geht über diese Lockerungen weit hinaus. Eine Reihe von Sozialwissenschaftlern empfahl der Regierung, Frauen zwei Kinder zu erlauben. Die mildere Familienpolitik solle zunächst nur in ostchinesischen Städten gelten, weil dort das Wirtschaftswachstum und die strikte Einhaltung der Ein-Kind- Regel zu den niedrigsten Geburtenraten des Landes geführt haben. Später – so die Wissenschaftler – sollen auch Familien in Zentralchina, den westchinesischen Provinzen und ländlichen Gebieten zwei Kinder haben dürfen.

Entscheidend wird nach Ansicht chinesischer Experten sein, den Wandel von einer Ein- zu einer Zwei-Kind-Politik erfolgreich zu managen. „Wir müssen den Übergang derart gestalten, dass es nicht zu einem plötzlichen Anstieg in der Bevölkerung kommt“, sagt Zuo Xuejin, stellvertretender Direktor der Shanghaier Akademie für Sozialwissenschaften. Ein Vorschlag in der Diskussion: Ab 2010 wird Frauen über 34 Jahren erlaubt, ein zweites Kind zu bekommen. In den darauffolgenden Jahren, wird die Altersschwelle dann jeweils um ein Jahr gesenkt. Andere Überlegungen gehen dahin, die Familienpolitik zunächst in wenigen Regionen zu testen. So wie die wirtschaftlichen Reformen in den 70er Jahren zunächst nur in Sonderwirtschaftszonen begannen, könne die Familienpolitik in Sonder-Famlienpolitik-Zonen gestartet werden, sagt ein Experte, der mit dem Vorschlag vertraut ist. Die Regierung könnte dann in Ruhe die Folgen einer Zwei-Kind-Politik untersuchen und die Reformen entsprechen ändern, bevor sie die Familienplanung landesweit ändert.

Charles Hutzler, Leslie T. Chang

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