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Volkswagen

© dpa

Automobilindustrie: Unter Strom

Die Klimadebatte setzt der deutschen Autobranche zu. Kritiker sprechen sogar von einer "Klimashow". Elektroantriebe sollen die Rettung bringen.

Kurz vor Weihnachten ist das Klima in der Autobranche auf dem Tiefpunkt. Der Plan der EU-Kommission, Vorgaben zum CO2-Ausstoß ab 2012 mit hohen Strafzahlungen durchzusetzen, trifft vor allem die deutschen Hersteller. Die CO2-Emissionen ihrer Fahrzeugflotten liegen über dem europäischen Durchschnitt. Schon das ganze Jahr über hatten die heimischen Konzerne mit der Kritik an zu hohen Schadstoffemissionen zu kämpfen. Auf das schlechte Image, spritfressende und PS-starke Klimasünder zu produzieren, reagierten die Autobauer, mit einer grünen Offensive. Für manche zum richtigen Zeitpunkt, für viele zu spät, holten sie Pläne für alternative Elektroantriebe aus der Schublade.

Kaum ein Monat verging ohne Ankündigung: VW ließ durchblicken, bis 2009 in jeder Modellreihe eine Hybridversion, also eine Kombination aus Elektro- und Brennstoffantrieb, anzubieten. Opel kündigte an, mit „Hochdruck“ und „oberster Priorität“ am Hybridsystem „E-Flex“ zu arbeiten und will in einigen Jahren mit den Modellen auf dem Markt sein. Studien eines Corsa und eines Astra in der Hybridversion wurden bereits vorgestellt. Selbst Porsche will ab 2010 den Benzinverbrauch des Geländewagens Cayenne mit einem Hybridsystem von 12,9 auf 8,9 Liter pro 100 Kilometer reduzieren. Daimler ließ werbewirksam 100 akkubetriebene Smarts durch London rollen.

Stellvertretend für die neue deutsche Strombegeisterung steht Wolfgang Steiger. Der Leiter der Antriebsforschung bei VW erklärt wie selbstverständlich: „Der Energieverbrauch von Autos wird in zwanzig bis dreißig Jahren zur Hälfte mit Strom gedeckt.“ Kurze Strecken wie im Stadtverkehr könnten künftig komplett mit abgasfreiem Strom gefahren werden. Langfristig sei für VW der reine Elektromotor sogar der „perfekte Antrieb“. Das Konzeptcar Space up blue, das VW dieses Jahr vorstellte, fährt in den Visionen der Entwickler mit einem reinen Elektroantrieb 120 Stundenkilometer.

Kritiker sprechen mit Blick auf die vielen elektrischen Konzeptautos und Zukunftsvisionen indes von einer „Klimashow“ der Industrie. „Die elektrischen Prototypen sollen nur ablenken“, sagt Rüdiger Rosenthal vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Anstatt Milliarden in Konzeptcars für Automessen zu investieren, sei es dringend notwendig den CO2-Ausstoß der heutigen Brennstoffmotoren zu vermindern.

Die Stromvisionen 2007 – ein fauler Zauber? Zumindest was den Hybridantrieb angeht, gibt schon heute der Markt eine Antwort. Hybridpionier Toyota verkaufte weltweit bereits mehr als eine Million Hybridfahrzeuge wie das Modell Prius. In Europa setzte man seit dem Jahr 2000 laut eigenen Angaben rund 100 000 Hybridautos ab. Die Hälfte davon allein in den vergangenen dreizehn Monaten.

Glaubt man den Strom-Fans der Branche, ist das erst der Anfang. Denn Hybridautos sollen in Zukunft billiger und effizienter werden, zum Beispiel durch neue Getriebe. Fast die gesamte Branche arbeitet an Elektronik, die ein mechanisches Schaltgetriebe überflüssig macht. Damit werden die relativ schweren Hybridmotoren von heute durch deutlich leichtere Antriebe abgelöst. Brennstoffmotoren sollen nur noch zugeschaltet werden, um die Batterie aufzuladen.

Auch in der Batterietechnik, lange Zeit Sorgenkind der Stromverfechter, zeichneten sich dieses Jahr Fortschritte ab. Leistungsfähige Lithium-Ionen-Akkus, die heute in Handys und Laptops für Strom sorgen, galten als nicht autotauglich. Bei den geforderten Leistungen überhitzten sie, fingen an zu brennen oder explodierten sogar. Inzwischen scheint das Problem lösbar. Asiatische Hersteller sollen zu Beginn des kommenden Jahrzehnts serienreife autotaugliche Lithium-Ionen-Akkus anbieten. Damit könnten die Leistungen heutiger Elektroantriebe immens gesteigert werden. Sie sind zudem kleiner und leistungsfähiger als ihre Vorgänger aus Nickel-Metallhydrid.

Auch der Essener Konzern Evonik, der bis vor kurzem noch RAG hieß, ist am weltweiten Wettrennen um die Akkutechnik beteiligt. Gemeinsam mit der Universität Duisburg-Essen entwickelte der an die Börse strebende Mischkonzern eine Membran aus Keramik. Sie soll die Hitzebeständigkeit einzelner Batterieteile und damit die Sicherheit der Lithium-Ionen-Akkus erhöhen.

Martin Winter, Professor an der Technischen Universität Graz und Experte für Batterietechnik, ist allerdings vorsichtig. Die neuen Membranen seien zwar eine wichtige Komponente auf dem Weg zur Serienreife autotauglicher Lithium-Ionen-Akkus. Es seien aber noch viele Schritte zu mehr Sicherheit, Energie und Leistung zu gehen. Wie wackelig die Elektro-Zukunft immer noch ist, zeigte 2007 ausgerechnet Toyota. Die Japaner mussten die serienmäßige Einführung von Lithium-Ionen-Akkus im Modell Prius auf unbestimmte Zeit verschieben. Der Grund: erneute Sicherheitsbedenken.

Alexander Wragge

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