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Wirtschaft: Baisse durch den Boss

Noch immer kämpft die New Yorker Börse mit den Folgen des Gehaltsskandals um ihren Ex-Chef

Vor einem Jahr gab die New Yorker Börse bekannt, dass sie ihrem Chef Dick Grasso 187 Millionen Dollar zahlt. Das üppige Gehaltspaket löste einen Sturm der Entrüstung aus. Drei Wochen später musste der Chef der New Yorker Stock Exchange (NYSE) gehen. Noch heute schwelt der Brand, und Grassos Nachfolger müssen an vielen Fronten Feuer löschen.

Seit dem Ende der achtjährigen autokratischen Herrschaft Grassos hat sich die weltgrößte Börse verändert. Die neuen Chefs haben der 212 Jahre alten Institution eine Radikalkur verordnet. Auf Druck der Großaktionäre überholt der neue Vorstandschef John Thain das altmodische Handelssystem, damit der Handel schneller wird. Die Gehälter der Top-Manager wurden gesenkt, das Board unabhängiger gemacht. Und nicht zuletzt wurde die Macht auf mehr Köpfe verteilt: War früher Grasso Top-Manager und Board-Präsident in Personalunion, teilen sich nun zwei Männer seine Machtfülle: der frühere Goldman-Sachs-Präsident Thain als Vorstandsvorsitzender und John Reed als Präsident des Board.

Trotz dieser Veränderungen mussten die Eigentümer der NYSE erleben, wie sich der Wert ihrer Aktien halbierte. Kein Wunder, dass Thain unter Druck steht. Großinvestoren wie mächtige US-Investmentfonds fordern, den Parketthandel ganz abzuschaffen. Sie halten seine Reformen für unzureichend. Als eine der letzten Börsen hält die NYSE am Parketthandel fest. Zusätzlich zum elektronischen Handel treffen dabei Börsenhändler aufeinander und schließen ihre Verkäufe über Zuruf oder Handzeichen ab. Dadurch ist der Handel langsamer als bei reinen Computerbörsen.

Die Modernisierung der NYSE erweist sich als schwieriger, als der neue Börsen-Chef Thain gedacht hatte. Dass die Börse obendrein in einem zeitraubenden und teuren Rechtsstreit mit Grasso liegt, macht es nicht einfacher. „Ich denke, das wir rechts und links Feuer löschen und Dinge tun, die die Kunden wollen und die für die Börsenmitglieder gut sind“, sagt Frank Christensen, ein Broker und Börsenmitglied. „Aber es wird verdammt hart sein, von A nach B zu kommen.“ Christensen ist Miteigentümer der Brokerfirma Kelly & Christensen.

Nach dem Ausscheiden Grassos haben sich Reed und Thain an eine Generalüberholung der Börse gemacht. Sie haben zunächst das Board radikal abgespeckt. Während früher 27 Wall-Street-Veteranen im Kontrollgremium saßen, sind es jetzt nur noch zehn Personen, die nicht direkt aus Börsenkreisen kommen und damit unabhängiger sind. Dazu zählt etwa die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright. Zur Beschwichtigung der entmachteten Board-Mitglieder hat Reed ein neues Beratergremium geschaffen, in dem führende Köpfe aus der Wertpapierbranche und Konzernchefs sitzen.

Reed hat darüber hinaus eine neue Position geschaffen. Künftig informiert nicht der Vorstandschef, sondern eine Art „Chief Regulatory Officer“ den Board über die Lage der Börse. Damit soll der Konflikt zwischen den Geschäftsinteressen und Aufsichtspflichten der NYSE gelöst werden. Reed und Thain haben außerdem die Managervergütung auf den Prüfstand gestellt. Ziel war, die Kosten zu senken und die Boni stärker an die Performance zu knüpfen. Zudem gibt die New Yorker Börse nun die Vergütung der fünf Top-Manager bekannt. Thain etwa verdient vier Millionen Dollar im Jahr – und damit sehr viel weniger als Grasso; Reed akzeptiert nur ein symbolisches Gehalt von einem Dollar.

Die NYSE-Spitze zeigt sich über die Veränderungen zufrieden. „Ich denke, dass wir gewaltige Fortschritte gemacht haben“, sagt Reed. „Wir sind nun ein transparentes Unternehmen.“

Doch nicht alles ist im Lot. Reed wird von der Gehalts-Affäre um Grasso verfolgt. Der New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer verlangt vom Ex-NYSE-Chef einen Teil seines Gehalts zurück. Spitzer behauptet, Grasso habe nach den Regeln für Non-Profit-Institutionen zu viel erhalten. Das veranlasste Grasso zu einer erbitterten Gegenattacke. Er hat die NYSE und Reed wegen „Verunglimpfung“ seiner Person verklagt.

Sein Nachfolger hatte unter anderem seine Entlohnung als „Peinlichkeit“ bezeichnet und Grasso vorgeworfen, die NYSE „wie einen Club“ geführt zu haben. Der frühere Börsenchef verlangt daher 50 Millionen Dollar, die er karitativen Organisationen spenden will. Der Prozess hat die Börse bereits Millionen Dollar für Anwälte und Gerichte gekostet.

An der Börse verändert der NYSE-Chef derweil auf Druck von Großinvestoren das ineffiziente Handelssystem. Er beantragte bei der US-Börsenaufsicht SEC die Ausweitung des elektronischen Handels. Die Reform wird zwar von vielen Eigentümern der Börse befürwortet. Doch gleichzeitig sorgen sich viele um ihre Investition. Seit Grasso die NYSE verlassen hat, sind die Kosten für einen Sitz an der Börse von zwei Millionen Dollar auf 1,25 Millionen Dollar gesunken. Einige der bisherigen Eigentümer wollen das bisherige Besitzermodell der Börse ganz aufgeben und aus der NYSE ein börsennotiertes Unternehmen machen. Doch hier wolle sich Thain noch nicht festlegen, sagt sein Sprecher. Derzeit konzentriert sich der NYSE-Chef darauf, die Börse wieder profitabler zu machen. Im jüngsten Quartal ist der Gewinn um 54 Prozent gesunken.

Als besonders mühselig erwies sich, die Arbeitsprozesse schneller und effizienter zu machen. Als die neue NYSE-Finanzchefin Amy Butte anfing, fand sie zu ihrer Überraschung ganze Stapel von Papier im Büro vor. Sie geriet ebenso ins Staunen, als sie feststellte, dass jeden Monat 100 Schecks per Hand ausgefüllt wurden. Seitdem arbeitet sie daran, die Finanzbuchhaltung der NYSE für 2003 abzuschließen und die Abrechnung der Fahrt- und Spesenkosten zu computerisieren.

Eine Herausforderung für die neue NYSE-Spitze war auch, die rigide Hierarchiestruktur zu verändern. Unter Grasso habe dies manchmal den freien Meinungsaustausch behindert, sagen Manager der Börse. Als seien dies noch nicht Veränderungen genug, kommt auf den NYSE-Chef 2005 ein weiterer Einschnitt zu: Der Board-Präsident Reed will im kommenden April bei der Hauptversammlung zurücktreten. Dann wird Thain die Börsen-Radikalkur mit einem anderen Manager fortführen müssen.

Kate Kelly

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