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Wirtschaft: Beck mischt Wirtschaft und Wissenschaft auf

BERLIN (hej/mot). Der Vorstoß des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), eine zweijährige Lohnpause zu verabreden, während der die Arbeitnehmer nur einen Ausgleich für die Preiserhöhung bekommen, hat am Montag eine lebhafte Debatte über die Lohnpolitik ausgelöst.

BERLIN (hej/mot). Der Vorstoß des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), eine zweijährige Lohnpause zu verabreden, während der die Arbeitnehmer nur einen Ausgleich für die Preiserhöhung bekommen, hat am Montag eine lebhafte Debatte über die Lohnpolitik ausgelöst. Während die Gewerkschaften die Beck-Initiative in Bausch und Bogen ablehnten, begrüßte die Wirtschaft den Vorschlag. Aus der Wissenschaft kam ein unterschiedliches Echo. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) betonte, er wolle sich aus der Debatte heraushalten."Die Regierung wird sich an einer Diskussion um die Lohn- und Gehaltsfindung nicht beteiligen", sagte Schröder am Montag in Bonn. Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) betonte, die Lohnentwicklung sei Sache der Tarifvertragsparteien. Es sei zwar ein Erfolg, daß die Tarifpolitik nach einer entsprechenden Vereinbarung von Arbeitgebern und Gewerkschaften auch im Bündnis für Arbeit besprochen werden könne, erklärte der Minister. Dabei hätten aber alle Teilnehmer ausdrücklich vereinbart, daß aus dem Bündnis für Arbeit keine Vorgaben für die Tarifrunden kommen sollten.Dagegen fanden die Gewerkschaften harte Worte für den Vorstoß Becks. "Vulgärökonomie" nannte Dieter Scholz, DGB-Vorsitzender des Landesbezirks Berlin-Brandenburg, den Vorschlag, eine Nullrunde für die Arbeitnehmer einzuläutern. "Lohnzurückhaltung vernichtet Arbeitsplätze". Seit 1993 seien nach Berechnungen des DGB die Realeinkommen der Arbeitnehmer um 10 Prozent gesunken. Im selben Zeitraum habe die Arbeitslosigkeit aber um 25 Prozent zugenommen. Die Kaufkraft der Lohnempfänger befinde sich auf dem Niveau von 1980. Einschnitte bei den Einkommen der Arbeitnehmer würden die Binnennachfrage weiter schwächen. Während der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Volksvermögen seit Jahren sinke, "explodieren die Vermögen". Der DGB Berlin-Brandenburg erarbeite deshalb mit anderen Landesbezirken eine Initiative zur Einführung einer Vermögensabgabe, "die auf eine Steuer hinausläuft". Im Herbst werde das Modell vorgestellt.Auf Zustimmung stieß der Vorstoß des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten bei der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB). Hauptgeschäftsführer Hartmann Kleiner sagte, Becks Äußerungen lägen "tendenziell auf einer Linie mit dem gemeinsamen Papier von Arbeitgebern und Gewerkschaften", das in der vergangenen Woche vorgestellt wurde. Danach sollten Produktivitätssteigerungen für den Beschäftigungsaufbau genutzt und die Lohnsteigerungen "in der Nähe der Inflationsrate" vereinbart werden. Anders als die Gewerkschaften geht UVB-Chef Kleiner davon aus, daß es einen direkten Zusammenhang zwischen niedrigeren Löhnen und mehr Arbeitsplätzen gibt. "Zum Beweis sei an den moderaten Metalltarifabschluß 97/98 erinnert, der die Schaffung von 70 000 neuen Stellen in der Metallindustrie ermöglicht hat.""Interessant" findet auch der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels den Vorschlag, eine Nullrunde einzuläuten. "Zumal aus den Reihen der SPD ist der Vorstoß bemerkenswert", sagte Hauptgeschäftsführer Holger Wenzel dem Tagesspiegel. Allerdings müsse eine Nullrunde nach Branchen differenziert werden. "Die Baubranche und das Einzelhandelsgewerbe sollten angesichts der schlechten Ertragslage bis auf weiteres ausgenommen bleiben", so Wenzel. Eine weitere Schwächung der Kaufkraft nach einer Nullrunde, die auch die deutschen Einzelhändler treffen könnte, fürchtet Wenzel nicht. "Das ist zu kurz gedacht." Die Branche sei an einem langfristig stabilen Wachstum, das Arbeitsplätze schaffe, mehr interessiert, als an überproportional steigenden Löhnen, die nur kurzfristig zu mehr Nachfrage führen könnten.Bei den Ökonomen ist der Vorstoß des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten auf ein unterschiedliches Echo gestoßen. Während die Wirtschaftsweisen Horst Siebert und Rolf Peffekoven den Vorschlag Becks begrüßten, lehnte Jürgen Kromphardt, ebenfalls Mitglied des Sachverständigenrats, eine doppelte Nullrunde entschieden ab. Zwar würden die Kosten der Unternehmen sinken, aber zugleich würde sich die private Nachfrage abschwächen, warnte der TU-Professor. Dabei habe sich der private Verbrauch in den vergangenen Monaten zunehmend zur Konjunkturstütze entwickelt und den sich abschwächenden Export aufgefangen. Konsum gebe es aber nur, wenn die Kaufkraft der Menschen steige. Angesichts steigender Unternehmensgewinne und sinkender Reallöhne sehe er keinen Bedarf für eine weitere Entlastung der Unternehmen durch Nullrunden, sagte der Ökonom.Seine Kollegen im Sachverständigenrat sehen das anders. 300 000 neue Jobs erwartet Rolf Peffekoven durch zwei Nullrunden. Eine Prognose, die Horst Siebert, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, für realistisch hält - vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Becks Vorschlag sei ein "richtiger Anstoß". Immerhin gelte es, sechs Millionen Arbeitslose zu integrieren. Die Arbeitsproduktivität, die in den neunziger Jahren jährlich um rund zwei Prozent gestiegen sei, werde in den nächsten sieben bis acht Jahren nur noch um jeweils ein Prozent zulegen. Nach Ansicht Sieberts müßten die Löhne in Deutschland viel stärker differenziert werden: "Die Nullrunde ist eine untere Marke". Die Tarifparteien sollten sich nach Meinung des Wirtschaftsweisen darauf beschränken, in ihren Tarifverträgen eine solche untere Marke zu setzen. "Die Löhne sollen sich auf den Märkten bilden", fordert der Ökonom. Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen und brauchen, würden dafür entsprechend zahlen."Die Richtung ist richtig", sagt auch Wolfgang Franz. Der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) lehnt jedoch ein Vorgehen nach der "Rasenmähermethode" ab. Statt den Lohnzuwachs für alle auf den Inflationsausgleich zu beschränken, sollten die Löhne sektoral und regional differenziert steigen. Dabei sollte die Lohnerhöhung um mindestens ein Prozent hinter der echten Produktivitätsentwicklung zurückbleiben, forderte der Vorgänger Kromphardts im Sachverständigenrat. In einem gibt Franz Beck jedoch Recht: "Eine moderate Lohnpolitik ist notwendig" und sei von den Arbeitnehmern zu verkraften. Auch das Argument, die private Nachfrage werde abgewürgt, will Franz nicht gelten lassen: Lohnrunden mit Inflationsausgleich seien keine Kürzungen. Vielmehr bleibe die Nachfrage auf dem derzeitigen Niveau. "Es gibt keinen Nachfrageausfall", sagte der ZEW-Chef.

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