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Steinkohlenbergbau

© ddp

Bergbau: „Hört auf, hört auf!“

Plötzlich herrscht Ruhe in den Kohleschächten – das Saarland steht von einem Tag auf den anderen vor einer neuen Wirtschaftskrise. Die Bürger des Saarlands sind gespalten. Gegner und Befürworter des Kohleabbaus halten sich die Waage.

Jürgen Maier hatte ziemlich einsame Arbeitstage am Montag und Dienstag. Nach dem großen Beben der Stärke 4,0 auf der Richterskala, das im Abbaugebiet „Primsmulde Süd“ zwischen Lebach und Saarlouis im mittleren Saarland die Leute mit einem lauten Knall und kräftigen Erdschwingungen aus ihrer Wochenendruhe gerissen hatte, gehört der Bergmann zu der 100-köpfigen Notbesatzung des Nordschachtes. Weil man ein Bergwerk nicht einfach sich selbst überlassen kann, müssen sie Sicherungsdienst leisten. Gesprächsthema Nummer eins unter ihnen: der Abbaustopp und seine Folgen. „Ich kann noch nicht glauben, was da passiert ist“, meint der Vater von drei kleinen Kindern – und gibt zu: „Ich bin ratlos.“

Seinem Kollegen Uwe Lang geht es ähnlich. Er musste unfreiwillig zu Hause bleiben, nachdem die saarländische Landesregierung und die Deutschen Steinkohle AG (DSK) in seltener Einmütigkeit beschlossen hatten, den Betrieb erst dann wieder aufzunehmen, wenn weitere Bergbeben und Gefahren für die Bevölkerung ausgeschlossen werden können. Doch das kann niemand. So könnte der 23. Februar 2008 zu einem historischen Datum für das Saarland werden – der Tag, an dem im ehemaligen Kohlerevier an der Saar die Kohleförderung plötzlich zu Ende war.

Rund 3500 Bergarbeiter fürchten jetzt um ihren Job und mit ihnen auch die etwa 1500 anderen Angestellten der einzigen bis vor zwei Tagen noch betriebenen Grube der DSK im Saarland. Auf der anderen Seite herrscht Erleichterung über die offiziell noch vorläufige, aber unbefristete Einstellung des Betriebes: Nach 58 Beben im vergangenen und jetzt schon 35 Erschütterungen allein in diesem Jahr hoffen viele vom Bergbau betroffene Anwohner des Landes, dass wirklich das endgültige Aus für den Kohleabbau im Saarland gekommen ist. Auch wenn die DSK-Muttergesellschaft RAG noch prüfen will, ob nicht doch weiter Kohle gefördert werden kann.

„Die Gefühle sind dementsprechend“, meint Lang. Er wohnt selbst dort, wo die Leute in den letzten Wochen mehrfach vor Angst aus dem Haus gerannt sind, wenn die Erde mal wieder rumpelte: „Ich bin selber betroffen. Ich möchte auf der anderen Seite aber auch meinen Arbeitsplatz erhalten.“ So wie Jürgen Maier und Uwe Lang geht es derzeit den meisten der 3500 Kumpel im Wartestand, die mit ihrer Arbeit 1400 Meter unter Tage dafür gesorgt haben, dass bei ihren Nachbarn da oben Möbel wandern und Steine von der St.-Blasiuskirche in Saarwellingen stürzen, dass Dächer kaputt gehen und der Strom ausfällt. Viele von ihnen sind im besten Alter zwischen 30 und Mitte 40.

Der Betriebsrat hat alle Hände voll zu tun, besorgte Kollegen mit ihren Fragen, wie es denn jetzt weitergeht, erst mal zu vertrösten. „Die Bergleute sind seit vergangenem Samstag natürlich in größter Sorge über ihre berufliche Zukunft und die wirtschaftliche Existenz ihrer Familien“, sagt der Bezirksvorsitzende der Gewerkschaft IG BCE, Dietmar Geuskens. „Wir werden die saarländische Politik daran messen müssen, ob sie auch in Zukunft zu ihrer Zusage steht, keinen Bergmann ins Bergfreie fallen zu lassen.“

Das ist leichter gesagt als getan. Denn es gibt im Saarland mindestens ebenso viele Menschen, die froh sind, wenn die Kohleförderung unter bewohntem Gebiet endlich aufhört. Alte Frauen mit Herzproblemen und Angst um ihre Gesundheit, erschreckte Kinder, die Weinkrämpfe kriegen, und Hauseigentümer, die um den Wert ihrer kaum veräußerbaren Immobilien fürchten: Hunderte von ihnen sind in den vergangenen Monaten nach jedem Bergbeben auf die Straße gegangen, haben mit Fackeln vor Politikerhäusern demonstriert und das alte Bergmannslied „Glück auf, Glück“ mit dem abgeänderten Text „Hört auf, hört auf“ angestimmt.

Vor gut einer Woche noch stellte die Interessengemeinschaft der Bergbaubetroffenen mit 7000 Teilnehmern die größte jemals gegen den Kohleabbau im Saarland gerichtete Demonstration auf die Beine, weil die DSK trotz aller Auflagen und Versuche die Probleme mit den geologischen Besonderheiten nicht in den Griff bekam. Viele der Betroffenen, die sich aber nur ungern als Bergbaugegner bezeichnen lassen, sind mit den Nerven am Ende. Sprecher der örtlichen Bürgerinitiativen mussten ihre Leute in letzter Zeit immer wieder ermahnen, ihrer Wut nicht freien Lauf zu lassen.

Es liegt an dieser gespaltenen Gemütslage, deren Ernst auf Seiten der Politik erst allmählich erkannt wurde. Dabei ist die Zahl der bedrohten Arbeitsplätze mit bis zu 9000 deutlich höher als beispielsweise bei dem finnischen Handyhersteller Nokia in Bochum. Denn zu den insgesamt 5000 Beschäftigten bei der DSK kommen viele Arbeitnehmer in der Zulieferindustrie. Aufträge über 100 Millionen Euro erteilte die DSK im vergangenen Jahr, zahlte 237 Millionen Euro an Löhnen.

Wer dies auffangen soll, ob und wo Ersatzarbeitsplätze entstehen könnten – das kann im Moment noch niemand sagen. Ministerpräsident Peter Müller (CDU) forderte schon einen Solidarpakt, SPD-Chef Heiko Maas einen Krisengipfel und der Bundesvorsitzende der Linken, der ehemalige saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine, eine Beschäftigungsgesellschaft für die von Arbeitslosigkeit bedrohten Bergleute. Bisher hatten SPD und Linkspartei immer am heimischen Kohleabbau festgehalten, während Grüne und FDP einen sofortigen Stopp forderten. Die CDU-Landesregierung hatte sich auf einen „sozialverträglichen Auslaufbergbau“ festgelegt. Jetzt werden die Kumpel erst einmal in Kurzarbeit geschickt. Das weckt Erinnerungen an die Stahlkrise der 70er Jahre, die das Saarland in eine Finanzkrise stürzte, von der es sich bis heute nicht erholt hat. Auch der Bund soll helfen, wenn der Ausstieg aus dem Bergbau bereits jetzt kommt, statt wie bisher angenommen zwischen 2012 und 2014.

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