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Ausnahme von der Regel. Pharmaproduktion bei Berlin Chemie in Adlershof.

© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Mittelstand: Unternehmen in der Hauptstadt entwickeln zu wenig

Berlin pflegt sein Image als Start-up-Metropole und innovativer Standort. Doch eine Umfrage zeigt: Investiert wird in Maschinen, kaum in Ideen.

Von Carla Neuhaus

Politiker betonen gerne, wie innovativ Berlin und wie lebhaft die Gründerszene hier ist. Dabei investieren die Firmen der Stadt viel weniger in Innovationen und neue Technologien, als es das Image vermuten lässt. Das zeigt eine Umfrage von TNS Infratest im Auftrag der Commerzbank. Der Studie zufolge, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt, setzt nur jedes achte Unternehmen auf eine wachstumsorientierte Strategie. „Dabei wäre es für eine Wissensgesellschaft wie unsere angebracht, wenn mindestens jedes vierte Unternehmen mehr in Wachstum als in Substanz investieren würde“, sagt Jörg Frischholz, der das Mittelstandsgeschäft der Commerzbank für den Raum Berlin verantwortet.

Die meisten Firmen ersetzen nur alte Maschinen, statt an neuen Produkten zu tüfteln. „Die Unternehmen kümmern sich zu sehr um die Substanzerhaltung“, sagt Frischholz. „Sie investieren viel zu wenig in Innovationen.“ Dabei sind die Unternehmer optimistischer als vor zwei Jahren. Hatte 2012 die Mehrheit der Berliner Firmen angegeben, „eher auf Sicht zu fahren“, sind heute 54 Prozent bereit, „eher langfristige Entscheidungen zu treffen“.

Die Trends werden erkannt - aber vielen fehlt der Mut

Die Unternehmen haben die Trends der Zukunft durchaus erkannt. Die Digitalisierung halten 45 Prozent der Berliner Firmen für einen „Megatrend“, in der „Industrie 4.0“ sehen 24 Prozent Potenzial. „Aber die Firmen leiten aus diesen Erkenntnissen nicht konsequent Investitionen ab“, sagt Frischholz. „Sie trauen sich zu wenig, auf diese Trends zu setzen.“ So investieren nur 35 Prozent der Berliner Unternehmen derzeit in Forschung und Entwicklung – weniger als im Bundesdurchschnitt (41 Prozent).

Gebremst werden die Berliner Firmen in ihrem Investitionsverhalten nach eigenen Angaben vor allem durch den Fachkräftemangel und die Bürokratie. Die Brandenburger Unternehmen belasten zudem die schwankenden Preise für Rohstoffe und Energie. An den Banken liegt die Investitionszurückhaltung nach eigenem Bekunden nicht. Im Gegenteil. Sie könnten deutlich mehr Kredite ausreichen. Bei der Commerzbank Berlin werden derzeit durchschnittlich nur 60 Prozent der eingeräumten Kreditlinien von den Firmen auch abgerufen. „Die Mittelständler könnten mehr investieren“, sagt Frischholz, „sie tun es aber nicht.“

Dabei betonen Ökonomen wie Banker immer wieder, wie wichtig es für die deutsche Wirtschaft sei, dass Unternehmen jetzt investieren. „Die Investitionsstrategien des Mittelstands entscheiden heute so grundlegend über den weiteren Erfolg des deutschen Geschäftsmodells wie lange nicht“, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Dass Vorsicht dominiert und offenkundig die Fantasie fehlt, muss Sorgen machen.“ Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bemängelt die ausbleibenden Investitionen. Würde die Lücke geschlossen, könnte die Wirtschaft jährlich 0,6 Prozent stärker wachsen als bislang prognostiziert.

Banker Frischholz kritisiert, dass der Mittelstand zu wenig auf junge Start-ups zugeht. Nur 20 Prozent der hiesigen Unternehmen steckten Geld in strategische Beteiligungen. Dabei könnten Gründer und alteingesessene Betriebe durchaus von einer stärkeren Zusammenarbeit profitieren. „So ist es kein Wunder, dass es noch kein deutsches Google gibt“, sagt Frischholz.

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