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Scheint die Sonne, wird's voll. Der ständige Blick auf den Wetterbericht gehört für Biergarten-Betreiber dazu.

© dpa

Biergarten-Betrieb: Das tägliche Pokern mit dem Wetter

Biergärten sind flexibel. Betreiber wissen erst morgens, wie viel Bier sie brauchen – und wie viel Personal. Ein Besuch bei Wirtshäusern im Berliner Tiergarten.

Die Kastanie kennt die ganze Wahrheit. Seit 130 Jahren steht sie in Alt-Moabit, auf der nördlichen Spreeseite, das Kanzleramt gleich gegenüber. Sie ist eine von Berlins ältesten Kastanien. Unter ihrem Blätterdach erstreckt sich heute der Biergarten Zollpackhof. Wer unter dem Baum Platz nimmt, kann beobachten, wann die Kanzlerin zum Feierabend einkehrt und wann der Laden am besten läuft. Und wer den Zollpackhof außerhalb der Öffnungszeiten besucht, der sieht die Wirtschaft hinter der Wirtschaft.

„Der Wetterbericht ist unser ständiger Begleiter“, sagt Geschäftsführer Benjamin Groenewold. Der 38-Jährige leitet den Biergarten seit sieben Jahren. Ob ein Tag gut wird und wie viel Bier man einplanen muss, entscheidet er mit Blick auf den Wassersport-Informationsdienst Berlin – „der ist am genauesten“. Knallt die Sonne rein, dann „bestellen wir Vollgas“: 1000 Liter Bier, 500 Brezeln, acht Kilogramm Obazda, 20 Kilogramm Wurstsalat. Bier und Brezeln werden täglich angeliefert, die Salate morgens angerichtet. Ob die Kalkulation aufgeht, weiß Groenewold spätestens am frühen Nachmittag, zur Zeit der „Spaziergesellschaft“, wie er sagt. Dann nämlich könne man spüren, ob Biergartenstimmung in der Luft liegt: Sonne muss sein, aber zu heiß darf es nicht werden. Dann darf es auch schon mal mehr Personal sein. „Wenn ab Mittag Bewegung reinkommt, wissen wir, dass wir für abends noch Springer dazuholen.“

Konkurrenz durch Strand- und Rooftop-Bars

Die meisten Biergärten in Berlin funktionieren mit kleinem Wirtshaus und großer Außenfläche für die Sommersaison. Konkurrenzlos sind die Gärten längst nicht mehr. Strand- oder Rooftop-Bars und Terrassencafés sind an heißen Tagen auch voll. Auf ein gutes Sommergeschäft sind sie alle angewiesen – „um sich genügend Speck für den Winter zuzulegen“, wie Dominik Ries sagt.

Ries (50) führt mit zwei Freunden seit 17 Jahren den Schleusenkrug. Der Biergarten im Tiergarten neben dem Zoo wird wie der Zollpackhof ganzjährig betrieben. Der Unterschied zwischen Winter- und Sommergeschäft ist gravierend: In der kalten Jahreszeit ist Platz für 70 Gäste, in den warmen Monaten wird die Stuhlzahl durch die Terrasse verzehnfacht. „An guten Tagen spielen wir im Sommer das 20-Fache eines Wintertages ein“, sagt Ries. Wie gut der Sommer wird, sei dabei nicht so wichtig. „Es hat noch jede Saison funktioniert – ist der Frühling verregnet, holt es meist der Herbst wieder raus.“

Schwierig sei vor allem, die Psyche des Gastes einzukalkulieren. Regentage funktionieren im Biergarten selbstredend nicht – aber auch die Anschlusstage nach einer Schlechtwetterperiode seien nicht immer leicht. „Der Gast braucht immer ein bisschen, bis er der Sonne vertraut“, sagt Ries. Für die Personalplanung bedeute das ein ständiges Auf und Ab. Im Schleusenkrug sind 20 Leute ganzjährig angestellt. Im Sommer kommen 55 Saisonkräfte hinzu. Nur die wenigsten seien auf 450-Euro-Basis angestellt, der Großteil erhalte befristete Verträge.

Im Zollpackhof sieht die Beschäftigungspraxis ähnlich aus. Groenewold hat rund 30 Festangestellte, die sowohl die Terrassen- als auch die Restaurantgäste bewirten. Für die Biergartenzeit holt er bis zu 20 Saisonkräfte hinzu, viele Studenten und Schüler. Einige sind auf Minijob-Basis beschäftigt, die meisten bekommen befristete Verträge. Groenewold arbeitet mit einem monatlichen Dienstplan, justiert aber von Tag zu Tag nach. Je nach Wetterlage. Das ist nicht ganz einfach, denn anders als Bier könne er „Kellner ja nicht im Keller lagern“.

Saison 2013 bisher schwach

Ein großes Helles kostet im Zollpackhof 3,90 Euro, die Maß 7,50 Euro. Den Obazda, bayrischer Weichkäseaufstrich, gibt es für 4,50 Euro die Portion. Die Preise seien mit dem Faktor drei kalkuliert, um Fixkosten und Löhne der Kellner zu decken. Und um über die lange Wintersaison zu kommen: Biergärten eröffnen in der Regel am 1. April und schließen nicht vor dem 3. Oktober.

Groenewold macht mit seinem Zollpackhof im Sommergeschäft täglich einen Umsatz im „deutlich fünfstelligen Bereich“. Ein Wintertag in den angeschlossenen Wirtsstuben bringt hingegen „ein bisschen weniger als fünf Stellen“. Bisher war die Saison 2013 schwach; April und Mai fielen wegen Kälter und Dauerregen ins Wasser. „Wenn du dich Ende Mai in der Branche umgehört hast, haben die Leute fast geweint.“ Nun glaubt Groenewold, dass die heißen Julitage und der August den Umsatz noch retten können.

Auch Dominik Ries vom Schleusenkrug ist optimistisch. So ein langes Hoch wie im Juli habe es viele Jahre nicht gegeben. Das rette die Saison. Eigentlich, sagt Ries, müsse man dann im Oktober bis zum nächsten Frühling den Biergarten schließen. Denn Küche und Wirtsstube im Winter zu betreiben, sei alles andere als wirtschaftlich. „Doch wir machen das aus zwei Gründen: Erstens ist eine fest angestellte Küchencrew Gold wert. Und zweitens müssen wir bei den Berlinern im Gedächtnis bleiben.“ Denn eine nächste Biergartenzeit gibt es immer.

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