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Wirtschaft: Börse: Bretter, die das Geld bedeuten

Punkt 10 Uhr 30 zieht Cornelia Schmellenmeier ihre Chipkarte durch das Lesegerät, dann blinkt eine grüne Lampe und sie kann die gläserne Drehtür passieren. Dahinter stehen ein Tisch, vollbeladen mit Zeitungen, und eine Holzkiste, gefüllt mit einem ausgesuchten Sortiment an Schokoladenriegeln.

Punkt 10 Uhr 30 zieht Cornelia Schmellenmeier ihre Chipkarte durch das Lesegerät, dann blinkt eine grüne Lampe und sie kann die gläserne Drehtür passieren. Dahinter stehen ein Tisch, vollbeladen mit Zeitungen, und eine Holzkiste, gefüllt mit einem ausgesuchten Sortiment an Schokoladenriegeln. Schokolade ist Nahrung für die Nerven, und die von Cornelia Schellenmeier müssen in den nächsten Stunden hart wie Stahl sein. Denn sie ist Börsenmaklerin, und die Tür neben der Schokokiste führt direkt zu ihrem Arbeitsplatz - der Berliner Börse.

Seit acht Jahren handelt die gelernte Bankkauffrau hier mit festverzinslichen Wertpapieren. Das sind Schuldverschreibungen, die von der öffentlichen Hand, Banken oder Großunternehmen ausgegeben werden. Im Unterschied zu Aktien garantieren sie für eine bestimmte Laufzeit einen gleichbleibenden Zinsertrag und werden daher auch Rentenpapiere genannt.

Auf dem Berliner Börsenparkett - den Brettern, die das Geld bedeuten - ist es in den letzten Jahren ruhig geworden. Die Büros, in denen einst die Vertreter der großen Banken saßen, sind verwaist, ein Großteil der Rechner bleibt unbenutzt, und die Bildschirme setzen Staub an. Der technische Fortschritt hat den Handel vor Ort überflüssig werden lassen. Fast alle Börsenmakler machen ihre Geschäfte vom Bürotisch aus - aber eben nicht alle. Der Handel mit amtlichen Papieren läuft nach wie vor nur auf dem Parkett. "Eigentlich ist die Börse ein Relikt aus vergangenen Zeiten, und wir sind die Dinosaurier, die Übriggebliebenen", sagt ein Kollege von Frau Schmellenmeier.

Doch dann kommt plötzlich Bewegung ins Geschehen. Vertreter der Landeszentralbank Berlin-Brandenburg marschieren auf. Bewaffnet mit Telefonen beziehen sie auf dem Parkett vor der Schranke ihren Posten. Sie sind direkt mit der Bundesbank verbunden, die ihnen die Order gibt, zu welchen Preisen sie die Wertpapiere kaufen oder verkaufen sollen. Hinter der Schranke beginnnt das Hoheitsgebiet von Cornelia Schmellenmeier - für die Banker eine verbotene Zone. Auch Schmellernmeier bringt sich jetzt in Stellung, die Telefonleitungen zu ihren Kunden - Banken, Versicherer und Makler - stehen. "Anfrage Juno Treuhand sieben Geld", ruft die Maklerin dem Landeszentralbanker das erste Kaufangebot ihres Kunden zu. Es ist Punkt elf Uhr und der Rentenhandel an der Berliner Börse ist eröffnet. In den kommenden zwei Stunden werden hier Millionen von Euro über den Tisch beziehungsweise die Schranke gehen.

Die Bundesbank in Frankfurt hat den aktuellen Kurs der Treuhandbriefe geprüft und ihrem Vertreter in Berlin grünes Licht gegeben. Der signalisiert Frau Schmellenmeier jetzt Verkaufsbereitschaft, sie informiert ihren Kunden und der willigt ein. Keine zwei Minuten sind vergangen und der erste Deal für drei Millionen Euro ist perfekt.

Allerdings funktioniert ein Wertpapiergeschäft nicht immer so einfach. Oft muss richtig gefeilscht werden, und nicht selten enden die Verhandlungen mit "Freibleiben" - das ist Börsenjargon und bedeutet "Geschäft geplatzt". Doch heute läuft es gut, die Bundesbank ist in Verkaufslaune. Der Grund: Um den Markt auszugleichen, will sie durch Verkäufe ein zu starkes Steigen der Kurse verhindern. Frau Schmellenmeier verhandelt jetzt fünf Angebote gleichzeitig und spricht nur noch in Zahlenkolonnen. Dabei sind höchste Konzentration, Verhandlungsgeschick und vor allem Schnelligkeit gefragt. Denn Zeit ist an der Börse im wahrsten Sinne des Wortes Geld. Schließlich handeln die Kaufinteressenten nicht nur über die Berliner, sondern auch über die anderen sechs Regionalbörsen. Und nur der Makler, der seine Anfrage als erster bei der Bundesbank in Frankfurt platzieren kann, erhält von ihr auch das günstigste Angebot.

Gegen 12 Uhr 30 wird es ruhiger. Offenbar hat die Bundesbank für diesen Tag genug verkauft und bietet ihre Papiere nur noch zu hohen Preisen an. Da kann auch Frau Schmellenmeier mit all ihren Verhandlungskünsten nichts bewegen. Kurz vor Handelsschluss kommt es dann doch noch zu einem Geschäftsabschluss - allerdings einem ungewollten. Ein Bankkunde von Frau Schmellenmeier hat sich bei der Preisnennung der Schatzbriefe verhört und dem Handel zugestimmt. Der Hörfehler kommt ihn teuer zu stehen, er zahlt mehrere tausend Euro drauf. Aber wenn Schmellenmeier einmal die Worte "an Dich" - das bedeutet "verkauft" - ausgesprochen hat, ist der Deal nicht mehr rückgängig zu machen.

13 Uhr 10, der Rentenhandel ist gelaufen und Frau Schmellenmeier kaut auf einem Schokokeks. Der ist nicht für die Nerven bestimmt, sondern sein Verzehr soll das Geschäft ankurbeln. "Umsatzkekse" haben die Börsianer diese Gebäcksorte getauft. "Heute haben wir die Kekse nicht gebraucht", sagt Frau Schmellenmeier. "Aber lecker sind sie trotzdem."

Dagmar Rosenfeld

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