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Wirtschaft: Börsen-Voyeure und System-Zocker stellen ihr Portofolio nicht nach rationalen Gesichtspunkten zusammen

Dabei sollte sich jeder Anleger über eigene Ziele und Bedürfnisse im Klaren seinBjörn Theye An der Börse gibt es Chancen, aber auch Risiken, weiß das Lehrbuch. Doch mit dieser Weisheit wird nicht auskommen, wer seine Taufe als Investor meistern will.

Dabei sollte sich jeder Anleger über eigene Ziele und Bedürfnisse im Klaren seinBjörn Theye

An der Börse gibt es Chancen, aber auch Risiken, weiß das Lehrbuch. Doch mit dieser Weisheit wird nicht auskommen, wer seine Taufe als Investor meistern will. Sich über seine Ziele klar zu werden und die eigenen Bedürfnisse zu erkennen, gehört zu den schwierigsten Übungen eines Junganlegers. Vielfach geht es dabei weniger um den kurzfristigen Gewinn, der die "Ohs" und "Ahs" am Börsianer-Stammtisch provoziert: Fragen des Vermögensaufbaus oder der Altersvorsorge müssen in die Anlageentscheidung einfließen, um die richtige Mischung von Wertpapieren im Portfolio aufzuspüren.

Klingt einleuchtend? Für die meisten Deutschen offenbar nicht. Einer Studie des Rheingold-Instituts zufolge stützt sich das Anlegerverhalten in der Bundesrepublik nicht etwa auf nüchterne Sachlichkeit, sondern ist von "äußerster Emotionalität" geprägt. Die Untersuchung mit dem Titel "Die Börse - Der Schicksalskick als Freizeitspektakel" macht sechs Anlegertypen aus, die im Bankendeutsch nicht auftauchen: Da mischt sich der "Börsen-Voyeur" vor lauter Angst nicht ins aufmerksam verfolgte Börsengeschehen ein, während der "stille Teilhaber" zwar einsteigt, aber Distanz wahrt und seine Anlageverantwortung etwa einem Bankberater überträgt. Der "ängstliche Prozentjäger" tritt selbstständiger auf, nimmt aber Gewinne überhastet mit und kann Verluste nicht aussitzen. Der "Gelegenheits-Spekulant" wiederum verwechselt die Börse mit dem Casino und zockt nur quartalsweise, um sein Laster auf Abstand zu halten. Dies ist dem "Schicksalshasardeur" nicht gelungen: Sein Scheitern als Investor kann bei seiner Neigung, auch kreditfinanzierte Positionen einzugehen, schnell existenzielle Züge annehmen. Im Gegensatz dazu weiß der "System-Zocker", was er an der Börse tut. Sein Spielfeld sind die "Hot Stocks" und Optionsscheine mit Aussicht auf mehr als nur ein paar Prozent Rendite.

Dem aufmerksamen Beobachter mag in der Liste so etwas wie der "klassische Privatanleger" fehlen, der seine Situation nüchtern analysiert, langfristig denkt und investiert - abwägend zwischen Risiko, Rente und Rendite. Hans-Joachim Karopka, Verfasser der Studie, hat diesen Typ in seinen Interviews mit deutschen Anlegern nicht ausmachen können. Ein Zeichen mangelnder Reife der jungen Börsennation, meint der Psychologe und attestiert der deutschen Investorengemeinde, dass sie wie das Auf und Ab der Kurse zwischen den Polen Angst und Faszination hin und herschwanke.

Angezogen von spektakulären Gewinnen etwa am Neuen Markt sollen die neuen Anleger nicht ins Börsenverderben rennen. Das Wertpapierhandelsgesetz schreibt deshalb den Finanzdienstleistern vor, ihre Kunden zu beraten und über ihre Anlageziele und Vermögenssituation zu befragen. "Das Wichtigste ist", sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), "dass sich der Investor über sein Sparziel klar wird". Dabei könne die Beratung etwa durch eine Bank zwar helfen. Sie mache aber in der Regel zu wenig transparent, was das unscheinbare Wörtchen "spekulativ" bedeute. Zentral sei, dass der Berater hinterfrage, wozu das Geld des Anlegers gedacht sei: Der Zweck heiligt die Investition.

Ähnlich äußert sich Klaus Winker für die Deutsche Bank 24, in der das Privatkundengeschäft des Konzerns gebündelt ist. Zentral sei der Anlagehorizont des Kunden, meint Winker und unterscheidet wie die meisten Institute drei Grundtypen von Anlegern, die entweder sicherheitsbetont, renditebetont oder in einer Mischung aus beidem agieren. Ein vierter Typ brauche ohnehin keine Beratung: der klassische Kunde von Online-Brokern.

Im Internet bietet der Online-Broker Brokerage 24 entsprechend wenig Beratung. Anders Fidelity: Spielerisch veranlagte Surfer werden sich bei der deutschen Webseite der amerikanischen Investment-Gesellschaft wohl fühlen. Dort lassen sich Anlageziel, Anlageplan und Wertzuwachs mit Hilfe interaktiver Werkzeuge berechnen. Insbesondere der "Growth Calculator" liefert hübsche und informative Ergebnisse bei einer Vielzahl von Wahlmöglichkeiten.

Von Internet-Tests hält DSW-Experte Kurz allerdings wenig: "Das sind meist reine Marketinginstrumente. Oben können Sie reinwerfen, was sie wollen, unten kommt immer Adig heraus", kommentiert er den Web-Auftritt der Commerzbank-Fondstochter. Bei Adig wird das Universum der Investoren in drei Typen zerlegt: den sicherheitsbetonten "Ertragstypen", den gewinnorientierten "Wachstumstypen" und den "Chancetypen", der in der Mitte zwischen Risiko und Rendite angesiedelt ist. "90 Prozent der Kunden", sagt Adig-Sprecherin Claudia Scheerer, "sind damit zufrieden". Wem sein Testergebnis nicht reicht, der mag sich weiter aufs Zuschauen beschränken. Immerhin sind die Börsen-Voyeure wohl die Einzigen, die sich nicht für Beate Uhse erwärmen. Wer allerdings ein echter Anleger werden will, wird aus seiner Mündigkeit nicht entlassen, sagt DSW-Mann Kurz.

Björn Theye

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