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Einen Anspruch auf einen bestimmten Ausbildungsberuf sollte es trotz Garantie nicht geben, raten die Autoren.

© Imago

Ausbildung soll garantiert werden: Bringt das die Kehrtwende?

Der Blick nach Österreich zeigt, wie das Projekt der Bundesregierung funktionieren kann, sagen Hans Dietrich und Bernd Fitzenberger. Ein Kommentar.

Die duale Ausbildung in Deutschland ist im dritten Pandemiejahr weiter in der Krise. Die Anzahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge lag Ende September 2021 mit 473.064 nur geringfügig höher als im vorherigen Ausbildungsjahr, und damit weiterhin deutlich niedriger als vor der Pandemie. Nach einem starken Rückgang in der Krise erholt sich aktuell das Ausbildungsplatzangebot, aber die Betriebe berichten von einem starken Mangel an Bewerbungen. Das Problem der Fachkräftesicherung verstärkt sich dadurch weiter. Neben der hohen Zahl an unbesetzten Ausbildungsplätzen gibt es gleichzeitig viele unversorgte Bewerbende und eine steigende Zahl von Altbewerbenden.

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Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht eine Ausbildungsgarantie vor, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglichen soll. Die berufliche Ausbildung soll zwar vorrangig in Betrieben stattfinden, in Regionen mit erheblicher Unterversorgung an Ausbildungsplätzen sind aber auch außerbetriebliche Ausbildungsangebote vorgesehen. Außerdem stellt sich die Frage, ob eine Ausbildungsgarantie in einer Situation, die von einem bewerberseitigen Mangel geprägt ist, sinnvoll ist.

In der Diskussion um die Ausbildungsgarantie wird lohnt sich der Blick auf deren Umsetzung in Österreich. Die berufliche Ausbildung in Österreich beruht auf drei Säulen, der betrieblichen Lehrausbildung, der überbetrieblichen Lehrausbildung sowie der schulischen Berufsausbildung auf mittlerem und höherem Niveau.

Unter 25, ohne Lehrstelle - das ist die Zielgruppe in Österreich

Die Ausbildungsgarantie wurde in Österreich in Zeiten eines Ausbildungsstellenmangels eingeführt. Sie garantiert Jugendlichen unter 25 Jahren einen Lehrplatz, sofern sie sich bei der österreichischen Arbeitsverwaltung lehrstellensuchend melden und keine über den Pflichtschulabschluss hinausgehende Ausbildung haben. Dieser Lehrplatz kann schulisch, betrieblich oder überbetrieblich sein.

In der überbetrieblichen Ausbildung, die nachrangig gegenüber der betrieblichen Ausbildung ist, werden rund acht Prozent der Lehrlinge in Österreich ausgebildet. Die Hälfte der überbetrieblichen Ausbildungen entfallen auf Wien, wo das betriebliche Ausbildungsplatzangebot deutlich niedriger als die Nachfrage ist. Die Ausbildungsgarantie wird zu rund 90 Prozent aus Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung finanziert.

Endlich wieder Messen. In der Pandemie gab es kaum Möglichkeiten, sich beruflich zu orientieren.
Endlich wieder Messen. In der Pandemie gab es kaum Möglichkeiten, sich beruflich zu orientieren.

© Peter Raddatz

Schaut man sich die Arbeitsmarktintegration der jungen Menschen drei Jahre nach dem erfolgreichen Ausbildungsabschluss an, erweist sich die betriebliche Ausbildung auf den ersten Blick als erfolgreicher, allerdings lassen die folgenden Zahlen keinen fairen Vergleich zu. Während mehr als 80 Prozent der Absolventinnen und Absolventen einer betrieblichen Ausbildung drei Jahre nach dem erfolgreichen Abschluss in Beschäftigung sind, sind es bei der überbetrieblichen Variante nur etwa 65 Prozent.

Die überbetrieblichen Ausbildungsverträge werden nur für ein Jahr abgeschlossen. Die Ausbildung erfolgt betriebsnah, sei es durch betriebliche Praktika oder durch einen festen Kooperationsbetrieb. Rund 42 Prozent der Teilnehmenden wechseln im ersten Lehrjahr in eine betriebliche Ausbildung, wobei der Übergang auch unterjährig stattfinden kann.

Die überbetriebliche Ausbildung ist für viele nur der Anfang

Somit bestehen große Ähnlichkeiten mit der außerbetrieblichen Ausbildung in Deutschland. Auch hier gibt es Varianten mit Betriebspraktika oder Kooperationsbetrieben, rund 40 Prozent starten nach sechs bis zwölf Monaten in eine betriebliche Ausbildung und etwa 63 Prozent der Teilnehmenden mit erfolgreichem Abschluss finden danach eine Beschäftigung. In Deutschland fehlt aber der entsprechende Rechtsanspruch.

Die Teilnahme in Deutschland war 2021 mit rund zwei Prozent an allen Personen, die eine Ausbildung begonnen haben, deutlich niedriger als in Österreich. 2021 lagen die Eintritte zudem um fast zehn Prozent unter den Vorjahreswerten.

Da der Zugang in Deutschland wesentlich im Rahmen der Benachteiligten-Förderung erfolgt, sind beim Übertritt in Beschäftigung Stigmatisierungseffekte zu beachten. Die Teilnehmenden in Deutschland haben viel häufiger als in Österreich bereits berufsvorbereitende Angebote durchlaufen. Dementsprechend sind sie mit einem Durchschnittsalter von 20,5 Jahren bereits beim Eintritt deutlich älter.

Ältere Jugendliche werden leicht stigmatisiert

Vor diesem Hintergrund könnte eine Ausbildungsgarantie die Chance auf eine berufliche Ausbildung für Jugendlichen erhöhen, deren Bewerbungen auf eine betriebliche Ausbildung zunächst nicht erfolgreich waren und die im nächsten Ausbildungsjahr als Altbewerbende erneut Probleme haben werden, Zugang zu betrieblicher Ausbildung zu finden. Dies würde zudem den stigmatisierenden Effekt der Teilnahme reduzieren.

Darüber hinaus könnte der regionale Mismatch zurückgehen. Auch in Deutschland gibt es Regionen wie Berlin oder Teile von NRW und Hessen, in denen die Ausbildungsplatznachfrage das Ausbildungsplatzangebot deutlich übersteigt. Die Pandemie hat viele Jugendliche im Hinblick auf ihre Berufswahl zusätzlich verunsichert. Ein Vorteil der Ausbildungsgarantie wäre, dass sie ihnen signalisieren kann, dass eine Ausbildung auf jeden Fall möglich ist.

Eine Garantie könnte mehr Offenheit für eine Ausbildung bringen

Dies würde Jugendliche empfänglicher für Berufsorientierung machen, sie also motivieren, realistische Berufswünsche zu entwickeln und mit dem Bewerbungsprozess zu beginnen. Dies wäre insbesondere für Jugendliche mit Migrationshintergrund wichtig, da diese seltener eine betriebliche Ausbildung absolvieren.
Eine Ausbildungsgarantie kann dazu beitragen, mehr junge Menschen an eine berufliche Ausbildung heranzuführen, ohne dass ein Anspruch auf eine Ausbildung im Wunschberuf begründet wird.

Bei betriebsnaher Ausgestaltung können Maßnahmen mit Rechtsanspruch auf eine berufliche Ausbildung mittelbar auch die Eintritte in die betriebliche Ausbildung verstärken. Solche Übergänge können durch einjährige Verträge nach österreichischem Vorbild und eine während der Maßnahme weiterlaufende Vermittlung in betriebliche Ausbildungen unterstützt werden.

Ebenso müssen die Berufsschulen organisatorisch so mit eingebunden werden, dass ein Übergang aus der Maßnahme in eine betriebliche Ausbildung während einer außerbetrieblichen Ausbildung leicht möglich ist. Und die Ausbildungsgarantie muss Angebote für niedrigschwellige Ausbildungsberufe umfassen, die einen leichteren Einstieg für bildungsschwächere Jugendliche ermöglichen.

Die Garantie macht Lehrstellen nicht attraktiver

Festzuhalten ist gleichzeitig, dass die Ausbildungsgarantie kein Allheilmittel für die aktuellen Probleme der dualen Ausbildung ist. Sie wird das längerfristig sinkende Interesse an einer dualen Ausbildung bei Jugendlichen mit Realschulabschluss oder Abitur nicht umkehren. Betriebliche Ausbildungsberufe werden von diesen Jugendlichen vielfach als nicht konkurrenzfähig oder von den Arbeitsbedingungen als weniger attraktiv wahrgenommen, scheinen ihnen inhaltlich zu eng geschnitten und zu wenig Entwicklungsperspektiven zu bieten. Das ist sowohl ein Image- als auch ein Attraktivitätsproblem, das während der Pandemie noch deutlicher sichtbar wurde. Die betriebliche Ausbildung muss gegenüber der fachschulischen oder der akademischen Ausbildung wieder attraktiver werden und auch so von Jugendlichen wahrgenommen werden.

- Hans Dietrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Bernd Fitzenberger ist Direktor des IAB und Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg

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