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Wirtschaft: Christa Liepach

Geb. 1946

Das Atmen ist eine große Kunst. Ganz wie das Leben selbst. Sie war Krankenschwester in Bad Nauheim und verheiratet mit einem Kriminalkommissar. Es gab ein schönes Haus am Stadtrand, Urlaubsreisen, ein teures Kaffeeservice und Modellkleider. Nur Luft bekam sie keine.

Also ging sie fort. Zu Ilse Middendorf, der Päpstin des erfahrbaren Atems am Victoria-Lui- se-Platz in Berlin. Da wehte die frischeste Brise in Deutschland, Freiheit, für die Christa Liepach bereit war, auf vieles zu verzichten: auf die Sicherheit, aufs Geld vom Exmann.

In Berlin wurde aus ihr eine lebensfrohe Frau in weiten Kleidern, mit Ketten, Armbändern und bunten Tüchern. Christa, die freie Frau, die Atemtherapeutin und Heilpraktikerin.

Atmen kann jeder, sollte man meinen. Und doch ist das richtige Atmen eine Kunst wie das Leben selbst: Man muss es bewusst spüren, ohne es kontrollieren zu wollen. Wer es probiert hat, weiß: Man kann den Atem im ganzen Körper spüren, im Rücken, in den Händen, im großen Zeh. Mit Atemtechniken kann man sich und andere auch manipulieren – es gibt das „Rebirthing“, die Hypnose, die Rhetorik. Man kann sich, je nach Bedarf, in Stress, Trance und Euphorie atmen; doch davon hielt Christa Liepach nichts. Wie ihre inzwischen hochbetagte Lehrerin, glaubte sie, dass der Atem das Eigentliche ist – und keine reine Technik . Der Atem ist das Leben selbst, sagte Christa Liepach ihren Kursteilnehmern, „das Göttliche in uns“.

Vom Gähnen, vom Stöhnen, vom Lachen hielt sie viel. Die Regungen des Körpers, die wir gern unterdrücken, weil sie uns peinlich sind, aber der Seele gut tun. Die Christa, sagen ihre Freundinnnen, war ein Vorbild, als Seminarleiterin und Mensch, die lebte das, was sie lehrte. „Ich bin die Frau in meinem Haus“, sagte sie und stampfte beim Ich fest mit dem Fuß auf den Boden.

Von ihrer Praxis „Sonne, Mond und Sterne“ in Friedenau konnte sie kaum leben, sie musste nebenbei Nachtschichten im Krankenhaus machen. In den letzten Jahren fehlte sogar das Geld für die eigene Krankenversicherung: Die 270 Euro im Monat hatte sie einfach nicht. Sie klagte deswegen nicht, sie hatte sich so entschieden, ihr Leben sollte nicht dem Mammon dienen, sie behandelte auch viele Menschen umsonst, nicht aus Dummheit, sondern weil sie es so wollte.

Dass es um viel mehr als das Materielle geht, davon gab ihr Afrika eine Ahnung. Die Wärme, das Wasser, die Herzlichkeit der Menschen, die unmittelbare Körperlichkeit. Der zweite Mann in ihrem Leben war Afrikaner – Abdoulaye, der davon sprach, ihr fürs Alter ein Haus im Senegal zu bauen. Ein Gefühl von Mangel verströmte sie nie, sagt eine Freundin: Sie zauberte jederzeit aus ihrem Rucksack Biobrötchen, Mangos, Weintrauben, eine Flasche Wein und Heilsteine; dazu reichte das Geld immer.

Als sie Darmkrebs bekam, ließ sie sich nicht behandeln. Sie traute der Krankenhausmedizin nicht: Dafür, sagte sie, war ich zu lang Krankenschwester. Sie glaubte daran, dass jede Krankheit aus der Seele stammt und hoffte, sich mit Seelenkraft heilen zu können. Das war vor zwei Jahren.

Im Krankenhaus war sie am Ende doch noch für eine Woche. Wenn es die Kräfte zuließen, telefonierte sie, organisierte die Vertretung ihrer Kurse, die Übergabe von Schlüsseln, Monatskarte etc. Die Ärzte, das ahnten alle, konnten nichts mehr für sie tun.

Bei ihrer Trauerfreier in der Kirche schwiegen die Gäste betreten, wie es bei deutschen Begräbnissen eben so ist. Dann gab es plötzlich einen großen Knall. Ein Zucken ging durch die Gemeinde, Abdoulaye trommelte los. Als er dann laut dazu schrie und weinte, und von seiner „Christa, Christa, Christa“ sang, da hätten manche von den Deutschen gern mitgetanzt, um die Trauer auch mit den Füßen zu spüren. Schade, sagen ihre Freundinnen, dass sie nicht da war. Sie hätte sich, anders als wir, bestimmt getraut.

Kirsten Wenzel

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