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"Wir sind die 99 Prozent". Der Slogan der Occupy-Bewegung. So viele waren sie in Wahrheit aber wohl nie.

© AFP

Occupy Camp am Ende: Das Ende von Deutschlands berühmtestem Zeltplatz

Sieben Monate und ein Tag: Das vielbeachtete Occupy-Camp in Frankfurt ist Geschichte. Es war ein friedliches Ende, das zur Bewegung passt. Politisch bewegt hat sie kaum etwas.

„Hallo“, sagt der nette Polizist. „Hallo“, sagt der nette Blockierer. „Wenn Sie nicht verletzt sind, würden wir sie dann jetzt wegtragen, ja?“ – „Ok“. Beide lächeln sich noch einmal an, dann packen der Beamte und eine Kollegin den jungen Mann unter den Armen und in den Kniekehlen und tragen ihn vom Rasen vor der Europäischen Zentralbank, setzen ihn ab, kehren zurück zu den Blockierern, den Nächsten holen.

Es herrscht beste Stimmung an diesem Mittwochmorgen in Frankfurt im Camp der Occupy-Aktivisten, das hier gerade geräumt wird. Die Sonne scheint, und im Hintergrund trommelt eine kleine Band den Begleit-Soundtrack. „Danke, dass ihr nicht aggressiv seid“, sagt ein Sprecher des Camps freundlich ins Mikro. „Schön, dass die allermeisten von Ihnen friedlich bleiben“, gibt der Polizist mit der blauen „Communicator“-Weste ein paar Meter weiter über zurück.

Es ist ein Ende, wie es zu diesem Camp passt. Sieben Monate und ein Tag, seit der großen Auftaktdemo am 15. Oktober letzen Jahres, waren die kleine Zeltstadt rund um das riesige Euro-Zeichen vor der Europäischen Zentralbank das deutsche Symbol des Occupy-Protestes. Sieben Monate lang stand sie für eine weite verbreitet Wut auf Banken und das Finanzsystem. Am Anfang schauten viele wohlwollend und voller Hoffnung auf diese so neue, unideologische Bewegung – in den letzten Wochen und Monaten schaute kaum noch jemand hin. Weil Occupy in Deutschland nie zur Massenbewegung wurde, weil die Aktivisten sich bald mehr mit dem Ordnungsamt stritten als mit Bankern und Politikern. Doch friedlich, das waren sie wirklich immer.

Nun ist es also vorbei, erst einmal. Weil von Mittwoch bis Samstag zu den „Blockupy“-Aktionstagen auch viele gewaltbereite Linksradikale aus ganz Europa erwartet werden, hat die Stadt eine Sicherheitszone rund um die EZB errichtet. Weil das Camp genau in dieser Zone liegt, müssen die Bewohner nun raus. Seit Mittwochmorgen und bis Sonntagnachmittag gilt das Campverbot.

Bisher blieb es bei den „Blockupy“-Aktionstagen am Donnerstag friedlich. Aus Angst vor Ausschreitungen hat die Stadt aber fast alle Veranstaltungen der „Blockupy“-Tage verboten, neben Großdemonstrationen auch ein Konzert des Liedermachers Konstantin Wecker. Die Behörden fürchten, dass Randalierer die einzelnen Events als Bühne für ihre Gewalt nutzen könnten.

So wurde nun ausgerechnet das beschauliche Occupy-Camp mit seinem Infostand und seiner kleinen Gartenkräuter-Zucht das erste Opfer der anstehenden Großgefahrenlage in Frankfurt. Die Einschränkungen für die friedlichen Systemkritiker sind quasi ein Kollateralschaden der staatlichen Sorge vor gewaltbereiten Systemkritikern.

"Eher ein Auffanglager für Obdachlose und Junkies.

Als das Camp am Mittwoch geräumt wird, steht Mathieu (Name geändert) etwas am Rande, mit verschränkten Armen. Er arbeitet bei einer diplomatischen Vertretung in Frankfurt, und er ist einer derjenigen, die das Camp immer als Vehikel für politische Arbeit verstanden haben und nutzen wollten. Im Dezember, als Schnee und Winterkälte den Besetzern zu schaffen machten und sie mehr mit dem Abdichten der Zelte als mit dem Ausformulieren politischer Botschaften beschäftigt waren, hatte er den Kritikern versprochen: „Kommt alle im Mai wieder, das wird unser Frühjahr, das wird der Occupy-Sommer!“

Nun ist es als Mai geworden, doch von Mathieus Optimismus ist nichts mehr übrig. „Ich habe mich schon im März ziemlich zurückgezogen“, sagt er, „aus Frustration über zuviel Naivität und Unreife im Camp“. Das Ganze sei schon länger „kein politischer Aktivismus mehr, sondern, wenn man es böse sagen will, eher ein Auffanglager für Obdachlose und Junkies.“ Mathieu ist in den letzten Monaten vom Optimisten zum Frustrierten geworden. „Ich kann die Stadt schon verstehen, dass sie sich überlegt, ob sie so ein Lager auf so einem Platz wirklich noch dulden muss“, sagt er.

Dann wird es doch noch ein wenig brenzlig, einige Aktivisten bespritzen die anrückenden Polizisten mit einem Farb-Wasser-Gemisch. „Farbe spritzen ist kein passiver Widerstand!“, mahnt der Beamte am Mikro sofort. Eine Hand voll Festnahmen gibt es deshalb. „Habt ihr früher im Kindergarten nicht mit Farbe gespielt?“, stichelt der Camp-Sprecher übers Mikro in Richtung Polizei.

Offiziell hat das Camp noch eine Genehmigung bis zum 23. Mai, man könnte also nochmal wiederkommen. Aber so richtige Vorfreude auf einen Neuanfang herrscht unter den Aktivisten nicht. „Erst mal schauen, was in den nächsten Tagen passiert“, sagt einer. Für die meisten ist das heute ihr Abschied vom Camp.

Am Ende wehren sich die letzten Blockierer doch noch mit ein paar Fußtritten und vor allem anklagenden Schreien, manche müssen von gleich fünf Polizisten weggetragen werden. Dann, nach knapp zwei Stunden, ist es vorbei. Dem letzten Aktivisten stellen die Beamten noch eine Leiter hin, damit er von seinem prominenten Platz im riesigen Euro-Zeichen auf der Mitte des Parks hinunterklettern kann.

Sieben Monate lang war dies der berühmte Zeltplatz Deutschlands, nun ist er verwaist. Die Zelte dürfen erst einmal stehen bleiben, ebenso wie die Transparente weiter rund um den Platz hängen. „Wir sind die 99 Prozent“ steht auf einem, es weht jetzt einsam im Wind. Die 99 Prozent waren nie hier. Und die wenigen, die hier ausharrten und die schweigende Mehrheit repräsentieren wollten, sie sind jetzt auch weg.

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