zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Das Gespenst der Schrumpfbahn kehrt zurück

Den Weihnachtsfrieden hat sich Niedersachsens Verkehrs- und Wirtschaftsminister Peter Fischer (SPD) anders vorgestellt.Statt des ruhigen Abschieds in die Feiertage mußte er sich mit harschen Vorwürfen von Bündnis 90/Die Grünen auseinandersetzen.

Den Weihnachtsfrieden hat sich Niedersachsens Verkehrs- und Wirtschaftsminister Peter Fischer (SPD) anders vorgestellt.Statt des ruhigen Abschieds in die Feiertage mußte er sich mit harschen Vorwürfen von Bündnis 90/Die Grünen auseinandersetzen."Schlafmützigkeit" warf ihm der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im niedersächsischen Landtag, Stefan Wenzel, vor.Der Minister habe sich nicht entschlossen gegen die Pläne der Bahn zur Wehr gesetzt, ihr Interregio-Netz auszudünnen.Mit ärgerlichen Folgen: In Osnabrück beispielsweise fallen von sechs Interregio-Verbindungen drei weg.Im Ministerium teilt man den Ärger - und fühlt sich zu Unrecht angegriffen."Uns sind die Hände gebunden.Der Interregio gehört zum Fernverkehr der Bahn - auf den haben wir, anders als beim Nahverkehr, wo wir Leistungen bestellen und bezahlen, keinen Einfluß", sagte eine Sprecherin.Immerhin habe der Minister erreicht, daß noch weitergehendere Kürzungspläne für Niedersachsen vorerst zurückgenommen wurden - "das war reine Kulanz der Bahn", so die Sprecherin.

Es knirscht im Verhältnis zwischen den Ländern und der Bahn.Die Euphorie vom Jahresende 1993, als die Politiker für das "Jahrhundertwerk Bahnreform" grünes Licht gaben, ist verflogen.Damals war die Hoffnung groß: Das Staatsunternehmen Bundesbahn sollte von Behördenmief und politischen Fesseln befreit und ein privatwirtschaftlich organisierter, unternehmerisch handelnder Betrieb werden.Zugleich nahm die Politik der Bahn die Altschulden von 67 Mrd.DM ab.

Das neue Unternehmen sollte ohne Ballast starten.Dafür aber erhielt es einen klaren Auftrag: "Mehr Verkehr auf die Schiene zu holen".Zum 1.1.1994 ging die Deutsche Bahn AG an den Start.Fünf Jahre danach mehren sich die Zweifel, daß der Betrieb sein Ziel auch erreicht.Kritiker wie der Niedersachsen-Grüne Stefan Wenzel verdächtigen sie bereits, wieder auf dem Weg zurück zur alten Schrumpfbahn zu sein.

Dabei schien das Konzept zunächst aufzugehen.Mit einem gewaltigen Investitionsprogramm von fast 55 Mrd.DM modernisierte die Bahn ihr Zugmaterial, baute neue und sanierte alte Strecken und frischte die Bahnhöfe auf.Der ICE wurde zum Symbol der Aufbruchstimmung.Unermüdlich zählt das Management die weiteren Erfolge auf: Die Bahn mache heute um knapp sechs Prozent mehr Umsatz als im letzten "Behördenjahr", die Zahl der Fahrgäste sei um zwölf Prozent gestiegen, die Produktivität habe sich um 60 Prozent verbessert - und die Bahn erziele Gewinn.Den Kritikern hält Bahnchef Johannes Ludewig entgegen, nicht schon zur Halbzeit das Urteil abzuschließen.Die Bahnreform sei von Anfang an auf zehn Jahre angelegt gewesen, 40 Jahre Versäumnis und die Sanierung der ehemaligen Reichsbahn aufzuholen sei ein "langer und nicht einfacher Weg".

Zum 1.Januar 1999 folgt nun der zweite Schritt der Bahnreform: Aus den operativen Geschäftsbereichen werden fünf selbständige Unternehmen, verbunden nur noch durch das Dach der "Deutsche Bahn AG Holding".Für den Fernverkehr zeichnet die DB Reise & Touristik AG verantwortlich, für den Nahverkehr die DB Regio AG, für den Güterverkehr die DB Cargo AG, für die Bahnhöfe die DB Station & Service AG und für den Fahrweg die DB Netz AG (siehe Grafik).Die Holding soll nur noch den "strategischen Gesamtrahmen" vorgeben.Der Gießener Professor Gerd Aberle, einst Mitglied der Regierungskommission Bahn und damit einer der "Väter" der Bahnreform, ist sicher, daß die größere Selbständigkeit der Bereich auch für "mehr Transparenz" sorgt - und den Erfolgsdruck erhöhen wird.

Manche befürchten allerdings, daß die neue Organisation die Probleme der Bahn noch verschärfen wird."Verheerend" wäre es, sagt etwa der Sprecher der Gewerkschaft der Eisenbahner, Hubertus Kummer, "wenn sich nun Bereichsegoismen durchsetzen".

Einen Vorgeschmack auf Konkurrenzkämpfe habe man schon in den vergangenen Monaten erleben können: Seit Bahnchef Johannes Ludewig die Führungskräfte auf Pünktlichkeitsziele einschwor - mit entsprechenden Auswirkungen auf das Gehalt -, war es mit der Solidarität vorbei.Der Nahverkehrszug wartete nicht mehr auf den verspäteten ICE, Pech für die Kunden."Eine bedrohliche Entwicklung", sagt Kummer.Die Bahn sei "ein Mannschaftsspiel".Im Bahnmanagement wiegelt man ab: "Die Bahn bleibt ein Verbundunternehmen", versichert Sprecher Stephan Heimbach.Dafür habe man auch das beste Korrektiv: "Bei den Mitarbeitern an der Basis ist der Verbundgedanke am stärksten ausgeprägt".

Die Kritiker werfen der Bahn aber vor allem vor die Chancen nicht zu nutzen.Arbeitnehmervertreter Kummer: "Eine Vorwärtsstrategie ist nicht erkennbar." Und selbst der Reformstratege Aberle hält es für einen Fehler, daß die Netzgesellschaft in der Holding bleibt.Das erschwere den Zugang für "innovative Dritte", die mit attraktiven Angeboten mehr Verkehr auf die Schiene locken könnten.Im Nahverkehr etwa bestreitet die Bahn nach Angaben des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) 530 Mill.Zugkilometer, die Konkurrenten gerade einmal 34 Mill.Zugkilometer.

Kritisch sieht Aberle auch die Strategie, mit weiteren Milliardensummen das ICE-Netz auszubauen.Mit den Anstrengungen der letzten Jahre und der bevorstehenden Fertigstellung der Verbindung Köln - Frankfurt (Main) sei ein guter Grundstock erreicht, nun sollte das Geld in andere Bereiche fließen, sagt er."Wir brauchen kein so dichtes Hochgeschwindigkeitsnetz."

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Studie, die der Bereich Fernverkehr der Bahn in Auftrag gab, nun aber unter Verschluß hält.Darin heißt es: "Die mit dem Hochgeschwindigkeitsverkehr verfolgte Strategie ist allein nicht in der Lage, das erforderliche Mengenwachstum für eine nennenswerte Marktanteilssteigerung der Bahn zu erzeugen." Um mehr Verkehr auf die Schiene zu locken, müsse sich die Bahn mehr um die "preissensiblen" Kunden bemühen, die mit 63 Prozent die stärkste potentielle Nutzergruppe seien.So empfehlen die Autoren der Studie eine Doppelstrategie: Neben dem Hochgeschwindigkeitssystem sollte es ein "solides Produkt mit guten Preis/Leistungsrelationen" geben, "welches die Grundvorzüge der Bahnreise gewährleistet, aber auf alles verzichtet, was darüber hinausgeht und die Reise teurer macht".Zugleich sollten nicht mehr einzelne Hochgeschwindigkeitsabschnitte gebaut, sondern die Geschwindigkeit des Netzes insgesamt erhöht werden.Das führe zu "weit höheren Effekten als weitere Steigerungen im Bereich gutausgebauter Strecken von 200 auf 230 km/h".Deutlicher hätte das Votum für den Interregio-Verkehr nicht ausfallen können.Bei der Bahn verschwand die Studie vorerst in der Schublade.Stefan Wenzel, der kritische Grünen-Sprecher in Niedersachsen, hätte in der Studie brauchbare Argumente gefunden.

MARGARITA CHIARI

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false