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Wirtschaft: Das Meer ist leer

An diesem Mittwoch präsentiert die EU-Kommission ihre Pläne zur Fischereireform – die Betroffenen an der Küste sind mehr als skeptisch

Heiligenhafen - Das Netz klatscht ins Wasser. Mit einem lauten Schlag gehen anschließend die gusseisernen Scherbretter von Bord, die mit der Kraft der Meeresströmung das Fangnetz 150 Meter weit aufspannen. Zwei bis drei Stunden lang wird es nun den 20 bis 30 Meter tiefen Grund „abschleppen“, wie die Fischer sagen. Nun heißt es warten.

Die „Glaube“ schippert durch die Mecklenburger Bucht, zwei Stunden vom Liegeplatz Heiligenhafen entfernt, wo die Brücke auf die Insel Fehmarn hinüberführt. Und der Kapitän Christian Gnewuch, der oben auf der Brücke steht, wartet irgendwie auch auf das, was da in den kommenden Tagen aus Brüssel kommt.

Am 13. Juli präsentiert die EU-Kommission ihre Vorschläge für die größte Fischereireform seit Jahrzehnten, die für die gesamte europäische Flotte Gültigkeit haben wird. Sein Kollege John Much, der seinen Kutter zum Jahresanfang in die gemeinsame Firma überführt hat, kann Verbitterung und Trotz kaum verbergen: „Die Regeln, die uns in die Knie zwingen, müssen sie in Brüssel erst noch erfinden.“ Das Zutrauen der Fischer ist nicht groß.

Wie soll es auch? Den Kapitänen Gnewuch und Much gehören zwei von nur noch drei Kuttern, die aus Heiligenhafen auslaufen. Einst waren es 40. Viele Fischer mussten aufgeben. „Gegen die Preise kannst du irgendwann nicht mehr anfahren“, sagt John Much. Bei ihm machen die Betriebskosten wegen gestiegener Spritpreise statt früher fünf jetzt zwanzig Prozent aus. Außerdem kommt weniger herein, weil Aldi, Lidl & Co. Druck machen. Die Discounter zahlen dem holländischen Großhändler, dem die Fischer ihr Krabbenfleisch verkaufen, nicht mehr 18, sondern nur noch 14 Euro für das Kilo. In Heiligenhafen kommen davon keine drei Euro mehr an – was lange der Standard war.

Still liegt die Ostsee in der Sonne. Ein Spaziergang heute, kein Vergleich mit dem Pflügen durch meterhohe Wellenberge, wenn Kapitän Gnewuch im Kattegat oder am Skagerrak unterwegs ist. Das ist das Gute an der gemeinsamen EU-Fischereipolitik. Er kann die „Glaube“ dorthin steuern, wo der Fisch ist – in dänische oder schwedische oder polnische Gewässer. Er muss nicht nach Heiligenhafen zurück, wenn der Fischraum überquillt, sondern kann seine Ladung in jedem beliebigen Hafen löschen.

Neben dem Kapitän liegt das Logbuch. Es steht stellvertretend für die Auflagen aus Brüssel und den Aufwand, um sie zu erfüllen. Er darf nur eine bestimmte Zahl von Tagen im Jahr zur See fahren. Penibel muss er eintragen, an welchen Tagen er welche Menge welchen Fisches gefangen hat. Am 24. Februar hat die „Glaube“ in der Nordsee an nur einem Tag zehn Tonnen Kabeljau an Bord geholt – Jahresrekord und fast die gesamte Menge, die dem Schiff als EU-Quote zugeteilt ist: 17 Tonnen Kabeljau dürfen es 2011 sein und 420 Tonnen der Ostseevariante Dorsch. Zwei Stunden bevor die Crew in den Hafen einläuft, muss sie der Fischereiaufsicht Größe und Art des Fangs melden, damit die Kontrolleure rechtzeitig anrücken können. Wenn sie vorbeikommen, wird gewogen – Fischkiste für Fischkiste. Einmal, als John Muchs Kutter, in Dänemark anlandete, waren es 40 Kilo mehr als angegeben – er musste 1000 Euro Strafe zahlen.

Die Quotenkontrolle, seit Jahren praktiziert, sollte die Bestände schützen. Heute, so muss auch die EU-Kommission feststellen, ist diese Strategie gescheitert. Das Meer ist leer: 82 Prozent der Fischbestände im Mittelmeer und 63 Prozent derer im Atlantik, so die offiziellen Brüsseler Zahlen, gelten als überfischt. Es wird mehr Aal, Lachs oder Zander entnommen als nachwachsen kann. Geht es weiter wie bisher, so die Hochrechnungen der Wissenschaftler, werden von 126 gängigen Speisefischarten in zehn Jahren acht übrig geblieben sein. Schon jetzt geht der EU-Flotte nur noch 60 Prozent dessen ins Netz, was noch Mitte der neunziger Jahre gefangen wurde.

Grund dafür ist ein sich jedes Jahr wiederholendes Ritual. Wenn die Meeresbiologen ihre Empfehlung abgegeben haben, wie viel Fisch im nächsten Jahr höchstens aus dem Meer geholt werden darf, ohne dass dessen ökologisches Gleichgewicht in Gefahr gerät, beginnt im Brüsseler Ratsgebäude das Gefeilsche. Geleitet werden die Agrar- und Fischereiminister der 27 EU-Staaten dabei bisher nicht vom Gedanken der Nachhaltigkeit, sondern von den eigenen Interessen. Statt Fisch- dominiert der Kuhhandel: Unterstützt du mich bei EU-Richtlinie 08/15, stimme ich für höhere Fangquoten. Die liegen deshalb, so hat es die US-Umweltschutzorganisation Pew Environment Groupe errechnet, im Durchschnitt 48 Prozent über den wissenschaftlichen Empfehlungen. „Die gemeinsame Fischereipolitik Europas hält die Fischbestände vorsätzlich an der Grenze zum Kollaps“, kritisiert der Fischereibiologe Rainer Froese vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften IFM-Geomar in Kiel. Diesen scharfen Angriff trägt er im Fachblatt „Nature“ vor.

„Nach deren Aussagen dürften gar keine Fische mehr im Meer sein“, lästert Lorenz Marckwardt, ein alter Seebär, nun in Rente und Chef des Landesfischereiverbands Schleswig-Holstein, der an Deck der „Glaube“ steht. Dem Dorsch gehe es prächtig. „Wir könnten viel mehr herausholen, wenn wir die Quote dafür hätten.“ Die Fischer hätten doch selbst das beste Gespür, wie viel sie fischen könnten. John Much gibt sich diplomatischer: „Es hat Fälle gegeben, wo wir nicht recht hatten.“ Die SPD-Europaabgeordnete Ulrike Rodust, die im Fischereiausschuss sitzt und ebenfalls mit an Bord ist, will mehr Geld für die Forschung durchsetzen: „Wir brauchen mehr Daten.“

Die Möwen kommen. Sie haben gesehen, dass sich die Mannschaft das neonfarbene Ölzeug übergezogen hat. Gleich wird das Netz eingezogen und auch für die Vögel etwas übrig bleiben. Im Normalfall sind das die Fische, für die das entsprechende Schiff keine Quote hat. Sie werden halb oder ganz tot wieder über Bord geworfen – so geschieht es schätzungsweise mit 23 Prozent des gefangenen Fisches. Zur Reform, die EU-Kommissarin Maria Damanaki vorstellt, gehört deshalb auch ein Rückwurfverbot, das wie in Norwegen per Video überwacht werden muss. Alles, was gefangen wird, muss auch in den Hafen gebracht werden. In Großbritannien arbeiten Spitzenköche schon an Rezepten für diese weniger bekannten Fischsorten.

Vor allem aber will die Griechin Damanaki das jährliche Politgeschacher beenden. An dessen Stelle sollen langjährige Bewirtschaftungspläne treten, die den wissenschaftlichen Empfehlungen folgen. Fehlen verlässliche Daten zu einem bestimmten Fischbestand, wird die Quote vorsorglich um ein Viertel reduziert. Die Pläne können zudem in größerer regionaler Eigenverantwortung als bisher umgesetzt werden. „Wir müssen den Fisch für die Zukunft erhalten“, sagt Damanaki, „das wird uns wieder höhere Fangzahlen und höhere Preise bescheren.“

Die Männer holen das Netz ein. Mit jedem Meter steigt die Spannung. Bei einem großen Fang müsste jetzt schon etwas zu sehen sein – ist es aber nicht. Dorsch hat die „Glaube“ überhaupt keinen erwischt. Ganze 150 Kilo wandern in die orangefarbenen Eimer – Butt, Scholle und Sprotten. Mit der Überfischung, so stellt John Much klar, habe die geringe Ausbeute aber nichts zu tun. Gefehlt habe nur das Glück, das tagsüber nötig ist, wenn die Fische agiler sind und vor den nahenden Maschen der Menschen fliehen können.

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