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© dpa

Interview: "Den Strukturwandel kann man nicht aufhalten"

Hanns-Eberhard Schleyer, Generalsekretär des Handwerks, lehnt üppige Opel-Hilfen ab und fordert von der Regierung mehr Mut. Minister Brüderle steht ihn für "soziales Augenmaß".

Herr Schleyer, sollte die Bundesregierung Opel helfen?

Ich halte grundsätzlich wenig davon, einzelne Unternehmen über die normalen Instrumente hinaus zu stützen. Nützlich sind dagegen Schritte, die der gesamten Wirtschaft helfen, etwa mit steuerlichen Entlastungen. Von einer staatlichen Hilfe wie bei Opel können viele mittelständische Betriebe nur träumen.

Opel ist der erste Prüfstein für den neuen Wirtschaftsminister. Sie kennen Rainer Brüderle seit langem. Was erwarten Sie von ihm?

Ich schätze ihn, weil er ein klares ordnungspolitisches Profil hat. Seit ich ihn kenne, steht er für Markt und Eigenverantwortung, aber eben auch für soziales Augenmaß. Und er hat viele Jahre Regierungserfahrung in Rheinland-Pfalz.

Wie sollte er sich bei Opel verhalten?

So oder so wird die Restrukturierung der Marke Opel Arbeitsplätze kosten. Der beste Beitrag, den der neue Bundeswirtschaftsminister in diesem Zusammenhang leisten kann, ist, dafür Sorge zu tragen, dass die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden, so wie dies im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Dann werden sowohl an den betreffenden Opel-Standorten als auch insgesamt neue zukunftssichere Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen. Der Strukturwandel auch im Automobilbereich kann und darf nicht aufgehalten werden, sondern muss politisch bewusst unterstützt werden.

Sie kritisieren die staatliche Hilfe für Opel. Viele deutsche Handwerksbetriebe, die Sie vertreten, profitieren sehr von den staatlichen Konjunkturpaketen.

Das stimmt nur für Teile des Handwerks. In der Bauwirtschaft zeigt sich, dass die Investitionen in öffentliche Infrastruktur aus den Konjunkturpaketen greifen. Das ist auch wichtig, weil der private und der gewerbliche Wohnungsausbau ziemlich zum Erliegen gekommen sind. Dazu helfen den Betrieben die angeschobenen Investitionen in die energetische Gebäudesanierung. Auch der Steuerbonus auf Handwerksleistungen spielt eine positive Rolle.

Also steht das Handwerk recht gut da?

Wir kommen verhältnismäßig gut durch die Krise. Auch die konsumnahen Betriebe, die allerdings auch nicht so vom Aufschwung der vergangenen Jahre profitiert haben, sind nicht in einen Abwärtsstrudel gerissen worden. Das ist eine relativ stabile Seite der Handwerkswirtschaft. Ungleich dramatischer ist die Lage etwa bei Metallbetrieben, die den exportorientierten Maschinen- und Autobauern zuliefern. Da trifft uns die Krise sehr hart.

Wie wirkt sich das auf die Mitarbeiter aus?

Wir erwarten Ende des Jahres maximal 40 000 Beschäftigte weniger als zu Beginn des Jahres. Das wäre bei insgesamt 4,8 Millionen Mitarbeitern in deutschen Handwerksbetrieben noch eine positive Botschaft mit stabilisierender Wirkung.

Was muss geschehen, damit es wieder aufwärtsgeht?

Das Handwerk hat stets einen Dreiklang eingefordert: Konsolidieren, aber auch entlasten, um Anreize für Wachstum zu setzen, sowie in Bildung investieren und damit in die Zukunft.

Die politischen Spielräume sind eng begrenzt. Die Koalition muss sparen.

Die Koalition darf vor allem nicht vergessen, mit welchem Thema sie den Wahlkampf bestritten und gewonnen hat. Sie hat angekündigt, Wachstum gezielt zu stimulieren. Dafür müssen gerade die Leistungsträger der Gesellschaft entlastet werden. Nicht die Einkommensmillionäre, sondern diejenigen, die zwischen 30 000 und 60 000 Euro im Jahr verdienen. Das ist auch ein Akt sozialer Gerechtigkeit.

Aber wie soll das finanziert werden?

Das ist ein Spagat, keine Frage. Deshalb muss man Schritt für Schritt vorgehen. Wir brauchen sofort Korrekturen bei der Unternehmenssteuer. Das gilt etwa für die Regelungen zur Zinsschranke oder eine verbesserte Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter, aber auch für die Besteuerung von Zinsen, Pachten und Leasinggebühren, denn die Besteuerung der Substanz gefährdet gerade in der Wirtschaftskrise den Bestand der Betriebe. Der nächste Schritt betrifft die Einkommensteuer: Wenn die kalte Progression abgemildert wird, stärkt das den Konsum und die Investitionskraft unserer Personenunternehmer. Drittens erwarte ich trotz aller Haushaltslöcher, dass man in dieser Legislatur zumindest damit beginnt, die anvisierte strukturelle Steuerreform umzusetzen.

Sie kritisieren die zuletzt zurückhaltenden Aussagen von Finanzminister Schäuble und einigen Ministerpräsidenten.

Ja, das muss ich deutlich sagen. Die Situation ist ja heute nicht anders als am Wahltag. Das Versprechen der bürgerlichen Parteien lautete: Mehr Mut, mehr Leistungsgerechtigkeit, mehr Investitionen in die Zukunft. Wenn sich die neue Regierung jetzt nur auf die Konsolidierung des Haushalts zurückzieht, wird das viele enttäuschen. An den Märkten spielt Psychologie eine große Rolle. Da ist es die falsche Botschaft, wenn die Regierung ihre gestalterischen Möglichkeiten infrage stellt.

Sie verlassen Ende des Jahres den Handwerksverband, nach 20 Jahren. Was wird Ihnen vor allem in Erinnerung bleiben?

Einige Wochen vor meinem Amtsantritt fiel die Mauer. Der Einigungsprozess hat mich in Atem gehalten. Ich bin dankbar, dass ich die Rahmenbedingungen mitgestalten konnte. Die Handwerksbetriebe haben sich in den neuen Ländern prächtig entwickelt, millionenfach neue Jobs geschaffen, während sie in der Industrie wegfielen. Eine Weichenstellung war für mich auch der Schritt nach Brüssel und die Begleitung der Handwerksbetriebe auf die Auslandsmärkte.

Wie schwierig war es, in einem ehemals sozialistischen System unternehmerische Strukturen zu etablieren?

Es dauert natürlich eine Weile, bis gewisse Denkweisen oder Begriffe vergessen sind. Ich wurde zum Beispiel lange nach dem Mauerfall einmal mit den Worten vorgestellt: „Es spricht jetzt zu uns der Zentralsekretär des Zentralkomitees des Deutschen Handwerks.“

Sie machen Witze.

Aber im Ernst. Mich hat immer wieder beeindruckt, wie Ostdeutsche sich mit großem Engagement und viel Leidensfähigkeit einem völlig anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem gestellt haben, in dem sie sich quasi über Nacht zurechtfinden mussten. Das vergisst man heute zu rasch.

Das Interview führte David C. Lerch.

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