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Kevin-Prince Boateng: Den Sumpf austrocknen

Kevin-Prince Boateng führt einen ungewöhnlichen Kampf gegen Rassismus.

Anfang November war er mal wieder in offizieller Mission da. Als Fußballprofi, mit Schalke 04 zum Bundesligaspiel bei Hertha BSC, dem Verein, der ihn groß gemacht hat. Kevin-Prince Boateng bezeichnet das Berliner Olympiastadion immer noch als sein Wohnzimmer. Die große Karriere aber hat er woanders gemacht. In Mailand, beim Weltclub AC Milan, mit dem er in der Champions League gespielt und sich einen Ruf erworben hat, der weit hinaus geht über Flanken, Dribblings und Tore. Deswegen kommt er jetzt, vier Wochen nach dem 2:0-Sieg mit Schalke, noch einmal nach Berlin. Wieder in offizieller Mission, aber diesmal nicht in kurzen Hosen, und es geht auch nicht um Fußball. Kevin-Prince Boateng kommt als Botschafter wider den Rassismus, und sein Spielfeld ist die Konferenz „Diversity 2013“ im Tagesspiegelhaus.

Mitte März hat Boateng bei den Vereinten Nationen in Genf eine Rede gehalten, wie sie ihm niemand zugetraut hätte, als er seine Heimatstadt Berlin im Sommer 2007 verließ. In Berlin galt er als Großmaul, als einer, der nicht für die Mannschaft spielt, sondern für die Galerie. Einer, der sich selbst als Ghetto-Kid inszenierte und wenig Interesse zeigte an dem, was um ihn herum passierte. Heute spricht einiges dafür, dass diese Einschätzung geprägt war von genau der Oberflächlichkeit, wie sie Boateng immer vorgeworfen wurde.

Dass die Welt für ihn nicht an den Kreidelinien des Fußballplatzes endet, hat der Berliner mit dem Vater aus Ghana Anfang des Jahres denkbar beeindruckend gezeigt. Da spielte er schon beim AC Mailand und verließ infolge rassistischer Beleidigungen während eines Testspiels einfach den Platz, die gesamte Mannschaft im Gefolge. Diese Aktion steht für sein Selbstverständnis – und für den Respekt, den Boateng bei seinen Kollegen genießt.

Genf im März 2013. Wie jedes Jahr begehen die Vereinten Nationen einen internationalen Tag für die Beseitigung von Rassendiskriminierung. Ein Protokolltermin von eher bescheidener Strahlkraft, aber an diesem Donnerstag wird das „Palais des Nations“ von Kameras und Reportern und Schaulustigen belagert. Es kommt nicht so oft vor, dass ein Fußballprofi auf der Rednerliste des Hohen Hauses steht. Jeder will sein Foto, jeder bekommt sein Foto von dem Hauptdarsteller dieses denkwürdigen Tages. Er setzt sich in die Mitte des Podiums, gleich neben die Hohe Kommissarin für Menschenrechte. Er trägt einen dunkelgrauen Anzug, weißes Hemd und Krawatte, das Haar ist an den Schläfen ausrasiert und in der Mitte ordentlich zurückgekämmt. Noch ein Griff zur Wasserflasche und zum Manuskript. Ladies and Gentlemen, Mr. Kevin-Prince Boateng!

Wie alles begonnen hat

Bevor er das Wort ergreift, läuft sein Heldenstück noch mal als Video über die Leinwand. Die Geschichte, wie alles begonnen hat. In Busto Arsizio, einem Städtchen an der Mailänder Peripherie. Die Mannschaft Pro Patria hat ein paar Fans mitgebracht mit sehr eigenwilligen Vorstellungen von der Liebe zum Vaterland. Junge Männer mit dunklen Jacken, Mützen und Schals. Immer wieder grunzen sie und johlen und stoßen dumpfe Laute aus, wenn Boateng den Ball am Fuß hat, und Boateng hat den Ball sehr oft am Fuß.

Irgendwann ist es genug. Noch ein Dribbling am linken Flügel, Haken nach rechts, einmal mit der Sohle über den Ball und dann – bleibt er plötzlich stehen. Nimmt den Ball in die Hand, dreht sich um und schießt ihn ins Publikum, er brüllt noch ein paar Worte hinterher, zieht sich das Trikot über den Kopf und geht.

Der Schiedsrichter versucht ihn noch aufzuhalten, aber auf dem Fußballplatz hat sich Boateng noch von keinem aufhalten lassen. Seine Kollegen marschieren geschlossen hinterher. Das Spiel ist aus. „Incredibile! Veramente incredibile“, japst der Fernsehreporter in sein Mikrofon. Einfach unglaublich!

Es folgt eine Welle überwältigender Zustimmung, aus Italien, Europa und der ganzen Welt. „Wir sind alle Boateng. Wir sind schwarz wie er, schwarz im Gesicht, in der Seele, schwarz vor Wut“, textet die „Gazzetta dello Sport“. Was unzählige und verkopfte Kampagnen mit Plakaten, Fernsehspots und salbungsvolle Botschaften ablesenden Fußballprofis nicht geschafft haben – Kevin-Prince Boateng glückt es eher nebenbei. Da ist nichts geplant. Boateng macht spontan einfach das, was er schon immer am besten gekonnt hat. Er schießt den Ball im richtigen Augenblick in die richtige Richtung.

Malaria und Rassismus haben viel gemeinsam

In Genf beginnt er zaghaft. Erst streikt das Mikrofon, dann spricht er, zunächst ein bisschen langsam und nervös. Boateng beginnt mit Allgemeinplätzen: „Es ist 2013, und der Rassismus ist immer noch hier und real. Er kann auf der Straße gefunden werden, bei der Arbeit oder im Fußballstadion.“ Er fängt sich schnell, und am Ende ist es auf dem Podium wie auf dem Rasen: Wenn die ersten Pässe ankommen, die ersten Dribblings gelingen, läuft alles wie von selbst.

Schon nach einer Minute legt Boateng das Manuskript zur Seite und redet so improvisiert, wie er sonst Fußball spielt. Er erzählt von seiner Zeit in Ghana, es ist die Heimat seines Vaters, und Boateng hat für die Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2010 gespielt. Von der Malaria, „dagegen impfen sie sich in Ghana, aber ein Antibiotikum gegen die Krankheit Rassismus gibt es bis heute nicht“. Die Kollegen haben ihm erzählt, dass es bei der Bekämpfung der Malaria nicht reicht, die Moskitos zu töten, „du musst den Sumpf austrocknen“.

Boateng macht eine kurze Pause. Er fixiert die Kinder in den vorderen Reihen und betont jedes einzelne Wort: „Den Sumpf austrocknen – ich glaube, Malaria und Rassismus haben sehr viel gemeinsam.“ Der Rest läuft wie von selbst. Er schließt mit dem Satz: „Meine Damen und Herren, helfen Sie mir, den Sumpf auszutrocknen!“

Der Applaus ist so spontan wie der des Publikums im Stadion, wenn er mal wieder ein zauberhaftes Dribbling hingelegt oder ein grandioses Tor geschossen hat. Am lautesten sind die Kinder, die mit ihren Lehrern in das „Palais des Nations“ gekommen sind und die besten Plätze in den vorderen Reihen bekommen haben. Und all die anderen im Publikum fragen sich: Ist das wirklich Kevin-Prince Boateng? Das Ghetto-Kid aus dem Berliner Problembezirk Wedding, Deutschlands Staatsfeind Nummer eins für ein paar Wochen nach einem Tritt gegen den deutschen Fußballhelden Michael Ballack?

Über Boatengs Auftritt bei der „Diversity 2013“ berichten wir in unserer Freitagsausgabe. Die Veranstaltung ist nur Konferenzteilnehmern zugänglich.

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