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Wirtschaft: Der Sieg der Iranerinnen

Im Fußballstadion Azadi gewinnen die Männer auf dem Rasen – und die Frauen auf den Rängen

Von Karl Vick Im Teheraner AzadiStadion schaffte die iranischen Nationalmannschaft am vergangenen Mittwoch den Triumph: Mit einem lockeren 1:0-Sieg über Bahrain sicherte sie sich die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2006. Einen anderen Sieg hatte eine Gruppe von Frauen schon zuvor errungen, als sie sich den Weg an den Ordnungshütern vorbei ins Stadion bahnte. Ohne sich um das Gesetz zu scheren, das Frauen seit mehr als einem Vierteljahrhundert von den Fußballrängen fernhält, belegten die jungen Aktivistinnen Sitze in der Sportstätte, die die Religionsführer der Islamischen Republik „Azadi“ (Freiheit) getauft haben. „Wir bestehen einfach auf unseren Rechten“, sagt Lalla Maleki, eine der 26 jungen Frauen. „Wir machen nicht Wahlkampf.“

Die Iraner wählen am 17. Juni einen neuen Präsidenten – und der Wahlkampf trug Wahlplakate, Flugschriften und Tausende von Flugblättern ins Stadion. Im Iran gehören Fußball und Politik schon lange zusammen. Als sich die iranische Nationalmannschaft für die Weltmeisterschaft 1998 qualifiziert hatte, gab es spontane Straßenfeste im ganzen Land, die die geistlichen Führer im Iran völlig unvorbereitet trafen. Männer und Frauen tanzten ausgelassen zu verbotener westlicher Musik, die aus den Anlagen der Autos dröhnte. Die Party war noch größer – und kam den offiziellen Stellen schon etwas gelegener –, als der Iran bei der Weltmeisterschaft die USA besiegte.

Doch Frauen durften nach wie vor nicht auf die Ränge, auch wenn das Verbot inoffiziell gelockert wurde. Fast alle der etwa 100 Frauen, die am vergangenen Mittwoch in der VIP-Lounge saßen, waren vom iranischen Sportminister Mohsen Mehralizadeh eingeladen worden, der auch einer der Vizepräsidenten des Landes ist. Mehralizadeh, der Anwalt für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und gleichzeitig einer der Präsidentschaftskandidaten ist, hat in den vergangenen Monaten für Frauen den Einlass bei Spielen der Nationalmannschaft arrangiert.

Sein gradueller Vorstoß reflektiert die Geschwindigkeit der Reformen unter Präsident Mohammad Chatami, der 1997 erstmals gewählt wurde – in einem System, in dem ernannte Geistliche die tatsächliche Macht besitzen. „Die Frauen durften zuerst zu Dutzenden, dann zu Hunderten ins Stadion“, sagt Fatemeh Abolghasemi, die mit den anderen Frauen das Spiel verfolgte. Die Frauen, von denen sich einige heiser brüllten, saßen in vier getrennten Reihen auf der Haupttribüne. „Wir iranischen Frauen werden bekommen, was wir wollen“, sagt sie und verteilt ein Flugblatt für Mohsen Mehralizadeh. „Frauen brauchen Unterhaltung genau wie Männer“, fügt sie hinzu.

Ein kleiner Fortschritt – doch nicht für alle Frauen. Als die vom Sportminister eingeladenen Frauen mit Bussen in das Stadion gefahren wurden, versammelte sich die Gruppe der 26 am Tor und begehrte ebenfalls Einlass. Augenzeugen berichteten, dass sich eine Frau in dem Tumult das Bein gebrochen habe. Ihre Kameradinnen gaben nicht auf und stießen einfach die Pfosten um. Als sie im Stadion waren, wies ihnen Präsident Chatami, der das Spiel von dem „V-VIP-Bereich“ aus verfolgte – gleich neben ihm die vier Reihen schwarz gekleideter Frauen –, allerdings sofort Sitzplätze zu.

Die Männer um sie herum, besonders die jungen, sagen, es störe sie nicht. „Selbst wenn sie das ganze Stadion mit Frauen füllen würden, hätte ich nichts dagegen“, sagt Hamis Reza, der mit drei Freunden im oberen Bereich sitzt und sein Gesicht in den Farben Rot, Weiß und Grün der iranischen Flagge bemalt hat. „Frauen sind gut“, sagt der Teenager Atta Mohseni und lächelt.

Die Begegnung mit dem anderen Geschlecht ist ein Hauptthema im Iran, wo in den ersten 20 Jahren nach der islamischen Revolution 1979 die Sittenpolizei in den Straßen patrouillierte, einen rigiden Kleidercode für Frauen durchsetzte und Pärchen verhaftete, die es wagten, Händchen zu halten. In den vergangenen Jahren aber hat die sich verändernde Demographie zu etwas Entspannung in einem Land beigetragen, in dem zwei Drittel der Bevölkerung unter 30 sind und man mit 15 wählen darf. Saeid Safari sagt, er erwarte von dem nächsten Präsidenten, dass er „Freiheit für uns schafft und niemand dazwischenfährt, wenn wir Freundinnen haben“. Moralische Erwägungen anderer Natur sprechen für den Zugang von Frauen zu Fußballspielen: Die jungen männlichen Fans sind berüchtigt für ihre vulgären Spottgesänge. „Bei den Spielen der Nationalmannschaft waren die Sprechchöre nie so schlimm wie bei den Ligaspielen“, sagt Maleki, eine der 26. „Wenn sie uns rein lassen, hat das einen großen Vorteil: Wir werden ihnen Manieren beibringen.“

Übersetzt und gekürzt von Matthias Petermann (Vilar), Tina Specht (Amnesty), Svenja Weidenfeld (Iran) und Karen Wientgen (Blair).

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