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Wirtschaft: "Der Tarifabschluss 2000 war eine Katastrophe"

Frankfurt (Main) / Berlin (ro/alf). Der Rückhalt der IG Metall-Führung in der Basis der Gewerkschaft ist offenbar nicht so groß wie man bislang in der Zentrale in Frankfurt (Main) annimmt.

Frankfurt (Main) / Berlin (ro/alf). Der Rückhalt der IG Metall-Führung in der Basis der Gewerkschaft ist offenbar nicht so groß wie man bislang in der Zentrale in Frankfurt (Main) annimmt. An der ersten Fragebogen-Runde der von IG-Metall-Chef Klaus Zwickel angestoßenen Zukunftsdebatte beteiligten sich nur 120 000 der 2,7 Millionen Mitglieder. 16 Prozent der Befragten sagten, dass die IG Metall klare Zukunftskonzepte habe. Rund ein Drittel hält wenig von weiteren Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung. Für Zwickel ergibt sich daraus, dass sich die Gewerkschaft stärker als bisher um arbeitszeitpolitische Konzepte und eine Ergänzung des Flächentarifvertrages durch betriebsbezogene Regelungen kümmern muss.

Nach Auffassung von Zwickel ist die erste Zwischenbilanz für den Zukunftsreport, den die IG Metall vom 13. bis 15. Juni auf einem Zukunftskongress in Leipzig erarbeiten will, ein "toller Erfolg". Für den IG Metall-Chef ergeben sich aus der Umfrage mehrere Zuspitzungen, die nicht unbedingt seine eigenen Vorstellungen treffen. "Forderungen nach einer weiteren Arbeitzeitverkürzung über die 35-Stunden-Woche hinaus sind zurzeit nicht tragfähig." Zwickel machte aber deutlich, dass die Gewerkschaft das Heft nicht aus der Hand geben will. "Die IG Metall muss ein Konzept für eine Struktur von Tarifverträgen entwickeln, die allgemein geregelte Mindestbedingungen mit Differenzierungsmöglichkeiten verknüpft." Die Umfrage zeigt nach Ansicht von Zwickel auch, dass das Bündnis für Arbeit fortgesetzt werden, aber auch messbare Erfolge zeigen muss.

Ob die IG Metall schon in der Tarifrunde 2002 wieder kämpferisch auftritt, lässt Zwickel noch offen. Eigentlich wollte die Gewerkschaft Ende Oktober eine Orientierung für ihre Forderung geben. Dies werde angesichts der "unsicheren und unübersichtlichen" Konjunkturentwicklung auf Anfang Dezember verschoben, sagte Zwickel. Klar sei aber, dass es schwierig sei zu einer klaren Forderung zu kommen. Einerseits gebe es die Konjunkturabschwächung, andererseits gebe es bei den Metallern angesichts der glänzenden Bilanzen des vergangenen Jahres und der moderaten Abschlüsse der beiden letzten Jahre eine "nachlaufende Erwartung" und die Forderung nach angemessener Beteiligung an diesen Gewinnen.

Unterdessen befürchtet der ostdeutsche IG-Metall-Chef Hasso Düvel, dass der ostdeutschen Industrie die Facharbeiter ausgehen, weil die jungen Leute in den Westen ziehen. "Die Betriebe kriegen ein riesiges Problem", sagte Düvel. Gegenwärtig liege das Durchschnittsalter in der Metallbranche - ohne die Autoindustrie - bei 48 Jahren. Im Jahr 2006, wenn es Düvel zufolge kaum noch Schulabgänger im Osten gibt, könnte das Durchschnittsalter der Metaller auf 54 Jahren steigen. In westdeutschen Betrieben ist der Arbeitnehmer derzeit im Schnitt 40 Jahre alt. Der Kern des Problems liegt für den Leiter des IG-Metall-Bezirks Berlin, Brandenburg und Sachsen in der auseinander laufenden Entwicklung: "Die Schere zwischen Ost und West wird größer." Das wiederum belaste die Psyche der Ostdeutschen und immer mehr Eltern sagten ihren Kindern "haut ab".

In der Ostwirtschaft gibt es Düvel zufolge "zu wenig wertschöpfende Strukturen" und eine zu geringe Exportquote. Deshalb komme der Binnennachfrage eine größere Bedeutung zu als im Westen, was wiederum Düvel zu dem Rückschluss veranlasst, das die Einkommen in Ostdeutschland erhöht werden müssten. Im Moment bekomme ein ostdeutscher Arbeitnehmer in der Metallindustrie 82 Prozent des effektiven Gehalts seines Westkollegen. Berücksichtige man ferner die Arbeitszeit - im Osten 38 Wochenstunden, im Westen 35 - so liege das Effektivgehalt in den neuen Ländern bei rund 73 Prozent des Westniveaus. Ausnahmen sind die Arbeitnehmer in den Autofirmen. Düvel zufolge steigen demnächst die BMW-Mitarbeiter in Leizpig mit einem Gehalt ein, das inklusive Zulagen rund 20 Prozent über dem Tarif liegt. Die Entscheidung des Autoherstellers sei im Übrigen auch für Leipzig gefallen, weil die IG Metall Zugeständnisse bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit gemacht habe. So können demnächst BMW von Sonntagabend um 22 Uhr bis zur Frühschicht am Sonnabend gebaut werden, ohne das Wochenendzuschläge gezahlt werden müssen. Eine ähnliche Regelung wird es vermutlich auch für die Beschäftigten der "gläsernen Manufaktur" in Dresden geben, wo bislang rund 250 Beschäftige den neuen VW-Luxuswagen D1 bauen. Das Werk wird am 11. Dezember eröffnet, das Auto kommt 2002 zu einem Preis von über 100 000 Mark auf den Markt. Was die bevorstehende Tarifrunde anbelangt, hält sich Düvel bedeckt. Die IG Metall werde auf Grund der unsicheren Konjunkturlage erst sehr spät ihre Lohnforderungen beschließen. Die aktuellen Tarifverträge laufen Ende Februar 2002 aus, erst am 28. Januar will die IG Metall-Vorstand über die Lohnforderung beschließen. Der ostdeutsche Bezirkschef setzt allerdings auf eine deutliche Lohnsteigerung, auch weil der letzte Abschluss aus seiner Sichte "eine Katastrophe" war. "Im Jahr 2000 haben wir in der Metallindustrie Gewinne gehabt wie noch nie, und wir waren nicht dabei", bewertet Düvel die damalige Lohnerhöhung um 2,1 Prozent.

In den nächsten Tarifverhandlungen möchte der IG Metaller neben Lohn- und Gehaltsprozenten auch einen neuen Entgeltrahmentarif abschließen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Zusammenführung von Lohn- und Gehaltstarifverträgen, oder, anders gesagt, um die Überwindung der Trennung von Angestellten und Arbeitern. Das bisherige System habe dazu geführt, dass der Lohn von Fachabeitern um bis zu 1000 Mark unter dem Gehalt von Angestellten liege, obwohl es dafür keine inhaltlichen Gründe gebe. Düvel zufolge wird die angestrebte Angleichung der Arbeiterlöhne an die Angestelltengehälter nicht kostenneutral funktionieren. Deshalb möchte er einen Teil des Verteilungsvolumens aus dem Tarifabschluss dafür investieren.

Die Arbeitgeber sehen das allerdings anders. Sie teilen zwar die Einschätzung, dass das jetzige System geändert werden sollte, beharren aber auf strikter Kostenneutralität. "Den Betrieben dürfen keine zusätzlichen Kosten entstehen", sagt Werner Riek vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Er stellt sich künftig eine Aufteilung von Tariferhöhungen vor: Wer sich bislang auf Grund eines Angestelltenvertrags gut stand, bekäme dann weniger als der Kollege dessen Lohn heraufgestuft wird. Die teilweise großen Entgeltdifferenzen erklärt Riek im Übrigen mit der "jahrzentelang verfehlten Tarifpolitik". Wegen einer "falsch verstandenen Solidarität" habe es Abschlüsse zu Gunsten der Ungelernten gegeben und zu Lasten der Facharbeiter.

Dass die Entgeltsystematik bereits im kommenden Jahr verändert wird, scheint wegen der Komplexität ziemlich unwahrscheinlich. Schließlich wird in den Tarifbezirken Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg seit vielen Jahren über eine entsprechende Reform verhandelt. Wahrscheinlicher ist deshalb eine reine Lohnrunde im Frühjahr 2002, die ziemlich schnell abschlossen werden kann und somit die äußerst fragile Konjunktur nicht noch weiter belastet. Ob allerdings ein kräftiger Schluck aus der Pulle drin ist, so wie Düvel sich das vorstellt, ist fraglich. Gesamtmetall geht im kommenden Jahr von einem Rückgang der Produktion in der Metall- und Elektroindustrie von zwei Prozent aus. Viel Verteilungsspielraum ist da nicht.

ro, alf

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