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Wirtschaft: Der Wille zum Neustart

Wer Karriere machen will, muss mehr als nur ein guter Betriebswirt sein. Das dämmert auch Wirtschaftshochschulen, die nun mit neuen Inhalten experimentieren

Dipak Jain hat ein seltenes Talent: Auch weniger Erbauliches vermittelt er so, dass es für einen Lacher gut ist. „US-Airlines sind wie Business-Schools“, frotzelte der Wirtschaftsprofessor etwa vor kurzem. „Beide sind ausgebucht, aber beide verlieren: Fluggesellschaften Geld, Kaderschmieden Reputation.“

Was so witzig klingt, ist für die Branche der privaten Wirtschaftshochschulen, die zum Abschluss des Master of Business Administration (MBA) führen, sehr ernst. Jain ist der neue Dekan der französischen Insead Business School, einer der angesehensten Wirtschaftshochschulen der Welt. Was er da in zwei Sätzen auf einer internationalen Konferenz sagte, beschreibt den Zustand der Branche in Ultrakurzform.

Zwar ist die Finanzkrise vorbei, doch auch drei Jahre danach lecken sich die Chefs der MBA-Schulen noch die Wunden, die der Crash riss. Schließlich wurde an ihren Hochschulen all das gelehrt, was die Welt in den Abgrund der Finanzkrise riss: Die Fallanalysen, die vorgaukeln, Unternehmen ließen sich nach Schema führen, Optimierungstechnik, die vor allem auf die Macht der Zahlen setzt, und funktionales Wissen.

Auf die Business-Schools wartete eine bittere Botschaft: Die Optimierungswissenschaft Betriebswirtschaftslehre, die Inhalte und Methoden an den MBA-Schulen über Jahrzehnte bestimmte, funktioniert nicht mehr so wie früher. Ansehen und Gewicht der internationalen Wirtschaftshochschulen schwinden. Nun suchen sie mit Hochdruck nach neuen Wegen, um ihre Absolventen mit jenem Wissen auszustatten, das in den Chefbüros von morgen gefragt ist. Die Betriebswirtschaft, die die Lehre der Business-Schools seit mehr als 100 Jahren getragen hat, bedarf einer Ergänzung.

Stirnrunzelnd und mit bedeutungsschwerer Miene sagte zum Beispiel Jordi Canals, Dean der spanischen Schule IESE, auf der von ihm einberufenen Konferenz in Barcelona im Sommer dieses Jahres: „Was in der Vergangenheit gut funktioniert hat, wird nicht unbedingt auch in Zukunft funktionieren.“

Und Kollege Dipak Jain von Insead ergänzt: „Die Schulen müssen über die Grenzen des Business hinaus gehen.“ Um das zu schaffen, brauche es vor allem einen Verzicht auf das Alte. Die lange bewährte Disziplin „Business Administration“ wird damit zwar nicht abgeschafft – aber aus ihrer dominierenden Rolle gedrängt.

Anzeichen dafür sind schon seit einiger Zeit erkennbar. Die Vordenker der Branche haben den Umbruch längst auf ihrem Radar. Die Fokussierung auf die Betriebswirtschaftslehre in der Weiterbildung sei ein Irrweg, schimpfte zum Beispiel Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Telekom, schon vor zwei Jahren auf einer Konferenz in Berlin.

Die globalisierte Wirtschaftswelt ist komplexer als die BWL. Auch Stephan Jansen, einer der profiliertesten Hochschulpräsidenten in Deutschland, sagt: „Unternehmen haben Sehnsucht nach Sinnstiftern, nach Wachstumshelden – und nicht mehr nach den Erinnerungsposten der Rationalität, zu dem MBA-Absolventen aufgrund einer eher zu wenig komplexen Betriebswirtschaftslehre häufig degradiert wurden“, so der Chef der Zeppelin University in Friedrichshafen am Bodensee. Die sieht sich selbst nicht als Business-School und bietet auch keinen MBA an.

Wie aber konnte die Betriebswirtschaftslehre von der Disziplin mit der Lizenz zum Chefmachen zur Hauptursache für die Fehler der Managementausbildung werden?

Die Antwort darauf, sagen Kritiker, falle relativ leicht, wenn man auf die Inhalte blickt, die unter dem Namen BWL an den Hochschulen gelehrt werden. Eine Wissenschaft, die die Welt in Kästchen einteilt, hilft dem Praktiker in einer Umgebung ständig wechselnder Unsicherheiten wenig.

„In seiner gegenwärtig vorherrschenden Form fokussiert die BWL auf Teilkompetenzen, die zwar nicht unwichtig sind, aber bei weitem nicht den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts genügen“, sagt Roland Deiser, Gründungsdekan der Corporate University von Daimler und heute Chairman des European Corporate Learning Forum (Eclf), einer Initiative großer europäischer Konzerne zur Förderung der Weiterbildung.

Im Klartext heißt das: Disziplinen wie Marketing, Rechnungslegung, Personal- oder Produktionsmanagement, die im MBA-Studium nebeneinander her vermittelt werden, helfen der Führungskraft von morgen nur begrenzt, weil sie kein Gesamtbild vermitteln. „Die MBA-Didaktik der einfachen Kochrezepte zieht heute eben nicht mehr“, bilanziert Robert Bruner, Dekan der amerikanischen Darden School an der Universität von Virginia.

Deshalb werden die MBA-Schulen ihren Stoff neu zusammenstellen müssen. Die Fallstudie zum Mischkonzern General Electric etwa wird nicht mehr die Antwort auf alle Managementprobleme liefern. Die bisher übliche Mixtur aus Fallstudienlernen und Intensiv-BWL allein wird noch keinen guten Spitzenmanager produzieren. Zwar wird auch die Führungskraft von morgen in der Lage sein müssen, einen Betriebsabrechnungsbogen zu verstehen und einen Firmenwert zu errechnen. Aber mit solchem Wissen allein lassen sich schon heute weder Mittelstandsunternehmen noch Großkonzerne führen.

Dipak Jain kann sich deshalb vorstellen, repetitives Lernen – also Einheiten, die ausschließlich auf das Auswendiglernen von Inhalten setzten – aus dem Klassenraum zu verbannen. Wer Statistik, Buchhaltung und Analysetools lernen will, braucht dafür keinen Weltklasse-Professor, der 250 000 Euro im Jahr kostet. „Dafür reichen ein paar Lektionen am PC“, sagt der Insead-Dekan.

So würden die MBA-Schulen freien Platz schaffen im Lehrplan. Wertvolle Stunden im Seminar und im Hörsaal könnten endlich Themen gewidmet werden, die oft jenseits der BWL liegen – aber dennoch für moderne Führungskräfte unabdingbar sind.

Solche Themen jedenfalls gibt es viele. „In chaotischen, vernetzten und hierarchiearmen Unternehmen zurechtkommen“, nennt Martin Sorrell, Chef des Werbemultis WPP, einen Punkt, den die MBA-Studiengänge von morgen berücksichtigen sollten.

Auch die veränderte Weltordnung braucht ihren Platz auf dem Lehrplan des Business-Masters. „Zwar dominieren heute noch Männer mit weißer Haut, grauen Haaren und roter Krawatte in den Eckbüros der globalen Konzerne“, sagt Sorrell. „Aber die Geschäftswelt wird asiatischer. Firmenspitzen auch.“

Asiaten indes gehen auch Managementaufgaben anders an: In Asien zählt das Team alles, der Einzelne nichts. „Einsame Alpha-Männchen werden weniger gefragt sein“, ahnt Christian Finckh, Personalchef des Versicherungskonzerns Allianz.

Viele MBA-Anbieter haben schon ihren Weg gefunden, mit neuen Themen und ihren Gewichten umzugehen: Sie experimentieren. „Es herrscht New-Economy-Stimmung“, beschreibt Dekan Bruner den Aufbruch in seiner Branche. Viele würden neue Wege gehen, die vom technokratischen Ansatz der Führung wegzielten. Einige würden scheitern, aber der Wille zum Neustart sei da.

Wohin dieser führen kann, zeigt ein Beispiel aus Österreich: Die Business-School der Universität Linz, die Limak, befreite sich aus der Enge der BWL-Sichtweisen. Sie verbündete sich mit der Kunstuniversität vor Ort – und richtete einen MBA der Fachrichtung „Creative Process Leadership“ ein. Betriebswirtschaft steht hier nach wie vor auf dem Spielplan, muss sich aber die Bühne mit anderen Fächern teilen.

Neben den Wirtschafts-Professoren treten außerdeem Veranstalter, Film- und Theaterleute sowie Künstler als Dozenten auf. „Das verändert die eigene Haltung“, sagt der Limak-Dekan Karlheinz Schwuchow. Nichtökonomische Sichtweisen würden das in der BWL übliche Denken in Marktanteilsprozenten und Deckungsbeiträgen bereichern.

Das Ziel des Ganzen sei, sagt Schwuchow, durch das Design des Programms bereits erreicht: „Manager sollen lernen, außerhalb der gewohnten Bahnen zu denken.“ (HB)

Axel Gloger

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