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Wirtschaft: „Deutschlands Wohlstand ist in Gefahr“

Forschungsinstitute verlangen in ihrem Herbstgutachten tiefer greifende Veränderungen für mehr Wachstum

Berlin (brö). Die Herbstgutachter der Bundesregierung prognostizieren für 2003 eine stagnierende Wirtschaft und für das nächste Jahr 1,7 Prozent Wachstum. Die drei Jahre dauernde Abwärtsphase ist damit beendet. „Von einem Aufschwung kann aber noch nicht die Rede sein“, schränkte Gebhard Flaig ein, Konjunkturchef des Münchner IfoInstituts. Denn allein die höhere Zahl der Arbeitstage bedeute ein Wachstum der Wirtschaftsleistung um 0,6 Prozentpunkte. 2004 fallen viele Feiertage auf ein Wochenende.

Getragen werde die Erholung Anfang des kommenden Jahres von der Binnenkonjunktur und den geplanten Steuersenkungen. Im weiteren Verlauf von 2004 würden dann die Ausfuhren mit einer Zunahme von 5,3 Prozent zur wichtigste Stütze. Dennoch werde Deutschland mit einer Verschuldung von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2004 zum dritten Mal in Folge die europäische Defizitgrenze von drei Prozent überschreiten, sagen die Ökonomen. Auch die Arbeitslosigkeit bleibe mit einer Quote von 10,5 Prozent im Schnitt unverändert hoch (siehe Kasten).

Deshalb seien weitere Reformen nötig, damit aus dem Aufwärtstrend eine echte Erholung der Wirtschaft werde. Sonst werde in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren der Lebensstandard in Deutschland sinken, warnte Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) bei der Vorstellung des Gutachtens. „Das ist so ungefähr die schlimmste Prognose, die man einem Land machen kann“, urteilte er. Die niedrige Wachstumsrate reiche nicht aus, um die großen demographischen Probleme in Deutschland zu bewältigen. Es bedürfe „fast einer Revolution in der Wirtschaftspolitik“, um Deutschland wieder auf Kurs zu bringen.

Im Detail verlangten die Forscher einen stärkeren Abbau von Subventionen und im Gegenzug eine weitere Senkung der Steuern. Auch die Gesundheitsreform geht ihnen nicht weit genug. Sie sei nur ein „Verschiebebahnhof“ und erhöhe nicht die Effizienz des Systems, sagte Gustav Horn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Erwartungen an die Hartz-Konzepte für eine bessere Vermittlung Arbeitsloser seien zu hoch und lösten die grundlegenden Probleme auf dem Jobmarkt nicht. In der Finanzpolitik bemängelten die Experten Orientierungslosigkeit. Eine Senkung der Abgabenlast, Steuersenkungen zur Belebung der Nachfrage und eine gleichzeitige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte seien nicht miteinander vereinbar. Hier müsse sich die Regierung für einen klaren Kurs entscheiden. „Es ist der Eindruck einer Finanzpolitik auf Zuruf entstanden“, heißt es im Herbstgutachten.

In ihren finanzpolitischen Empfehlungen sind die Institute aber uneins: Das Hamburgische Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA), das Münchner Ifo-Institut und das Kieler Institut für Weltwirtschaft halten das von Rot-Grün geplante Vorziehen der Steuerreform auf Anfang 2004 für richtig, lehnen aber eine Finanzierung über höhere Schulden ab. Dagegen empfehlen das DIW in Berlin, das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, die Steuerreform zumindest teilweise ohne Gegenfinanzierung als Konjunkturstimulans wirken zu lassen. Zeitgleich müsse aber ein verbindlicher Zeitplan zum Subventionsabbau ab 2005 beschlossen werden.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) erklärte, das Gutachten sei ein Beleg dafür, dass die Wirtschaft nun wieder Fahrt aufnehme. Am Donnerstag will der Minister die neue Prognose der Regierung bekannt geben. Der Bundesverband der Deutschen Industrie mahnte „mehr politischen Mut und eine Erhöhung des Reformtempos“ an. Dies gelte für den Subventionsabbau, eine weitere große Steuerreform und auch für die Sanierung der Sozialsysteme.

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