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Wirtschaft: „Die Agenda 2010 ist erst der Anfang“

Rezzo Schlauch, Mittelstandsbeauftragter der Regierung, über weiteren Reformbedarf, die Kürzung von Subventionen und den Meisterbrief

Herr Schlauch, die SPD hat der Agenda 2010 des Bundeskanzlers zugestimmt. Sind die deutschen Sozialsysteme nun gerettet?

Das wäre vermutlich zu viel gesagt. Die jetzigen Maßnahmen stellen einen ersten, wenngleich sehr wichtigen Schritt zur Sanierung der Sozialsysteme dar. Beim Gesundheitssystem haben wir mit der Agenda 2010 einen Weg beschritten, den wir im Rentensystem in der vergangenen Legislaturperiode eingeschlagen haben. Die Eigenverantwortung für das Krankengeld entspricht in etwa der Einführung einer privaten Rentenvorsorge durch die Riesterrente. Aber das ist erst der Anfang. Insbesondere bei der Rente haben wir in dieser Amtsperiode noch weiteren Reformbedarf.

Wie muss denn die nächste Agenda aussehen?

Ich bin jetzt erst einmal dafür, die politische Kraft darauf zu verwenden, die Inhalte der Agenda 2010 bis zum Beginn des nächsten Jahres umzusetzen. Was danach kommt, wird die Koalition in den nächsten Monaten entscheiden müssen. Die Debatte um die Finanzierung des Staatshaushaltes hat ja die Richtung der Diskussion schon vorgezeigt. Und auch bei der Gewährung staatlicher Subventionen muss es Veränderungen geben. Denn schon im Bundeshaushalt 2004 fehlen 15 Milliarden Euro.

Wie viel Schaden wird die Konjunktur nehmen, wenn RotGrün das ganze Jahr über die Spardebatten der letzten Monate fortsetzt?

Es stimmt, eine Not leidende Konjunktur soll man nicht erdrosseln, und schon gar nicht dürfen wir die Investitionskraft schwächen. Aber zum Ziel, den Haushalt weiter zu konsolidieren, gibt es keine Alternative.

Die Arbeitnehmer werden weitere Einschnitte kaum hinnehmen, wenn gleichzeitig Unternehmen und Reiche kaum noch Steuern zahlen und sich um die Ausbildung und die Schaffung von Jobs drücken.

Das sehe ich auch. Es wird nicht gehen, weitere Reformen allein auf dem Rücken der sozial Schwachen auszutragen. Aber man muss in dem ganzen Streit um Kürzungen und Einsparungen auch die positiven Seiten sehen. Nehmen wir die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Nach der Agenda 2010 werden Sozialhilfeempfänger in den Vermittlungsprozess der Bundesanstalt für Arbeit integriert. Dies ist für diese Menschen positiv, denn es eröffnet ihnen die Chance, sich zu qualifizieren und am Geschehen des ersten Arbeitsmarktes teil zu haben. Unabhängig davon, dass das den betroffenen Menschen hilft, trägt diese Maßnahme zur Senkung der Lohnnebenkosten bei.

Diese Abgaben sind die Kosten unseres Sozialsystems. Warum können wir uns das auf einmal nicht mehr leisten?

Das ist sehr einfach. Wenn die Kosten menschlicher Arbeit zu hoch werden, dann lohnt es sich für Unternehmen nicht mehr, Menschen zu beschäftigen und für Arbeitslose nicht mehr, Jobs anzunehmen.

Das heißt, die Beiträge zur Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung müssen sinken?

Ganz genau. Nur so können wir erreichen, dass mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Finanzierung der deutschen Einheit auf Kosten der Sozialsysteme hat die Beiträge um vier Prozentpunkte nach oben getrieben. Aus diesem Fehler müssen wir lernen, sonst werden in Deutschland keine Jobs entstehen.

Der Finanzminister sieht das offenbar anders. Er will den steuerfinanzierten Zuschuss an die Rentenversicherung kürzen.

Klar ist, dass es auch im Rentensystem zu Veränderungen kommen muss. Welche das sein werden, das werden wir in den nächsten Monaten besprechen. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass die Steuerbelastung in Deutschland auf Grund der rot-grünen Steuerreform schon jetzt im internationalen Vergleich im guten Mittelfeld liegt und nach den Entlastungsstufen 2004 und 2005 weiter spürbar verringert wird. Die Höhe der Steuern ist mittlerweile kein Hemmnis mehr für neue Arbeitsplätze.

Die Realität sieht anders aus. Erst, seit 400-Euro-Jobs steuerfrei sind, interessieren sich Arbeitnehmer und Unternehmer dafür.

Ich sehe den Erfolg der Minijobs weniger unter dem Aspekt der Steuerhöhe. Gerade hier zu Lande ist es ein Volkssport, Steuern zu sparen. Ich halte nichts davon, nach noch mehr Steuerentlastungen zu rufen, um den Arbeitsmarkt anzukurbeln. Das 400-Euro-Modell, das wir Grünen lange gefordert haben, zeigt eher, dass es darum geht, in einzelnen Segmenten Verkrustungen und Bürokratie aufzuheben. Seit es unkompliziert geworden ist, Minijobs abzurechnen, werden sie auch angenommen. Einen ähnlichen Effekt erwarte ich übrigens auch von der Modernisierung der Handwerksordnung.

Sie meinen die faktische Abschaffung des Meisterzwangs?

Die Meisterprüfung wird nicht abgeschafft, sondern nur auf die Gefahren geneigten Gewerke beschränkt. In den übrigen Bereichen werden jetzt die Zugangshürden für die Menschen abgesenkt, die sich selbstständig machen wollen. Sie werden sehen, dass das den Markt für kleine Dienstleistungen beleben wird. Nehmen Sie Reparaturen im Haushaltsbereich, für die Sie bisher keinen Handwerker zu angemessen Preisen bekommen konnten. Wozu muss ich eine Meisterqualifikation haben, um solche einfachen Reparaturen kostengünstig anbieten zu können?

Die Handwerker warnen davor, dass Qualität und Verbraucherschutz gefährdet sind.

Beides wird durch eine Vielzahl anderer Einrichtungen gesichert. Der Meisterbrief ist dafür kein Garant, das haben wir alle selbst schon erlebt. Wenn sich die Zahl der Betriebe und Beschäftigten im Handwerk seit Jahren verringert, dann wäre das Handwerk gut beraten, sich unserer Reform zu öffnen und sich nicht zu verschanzen. Es kann nicht sein, dass ausgerechnet die mauern, die seit Jahren von der Politik Deregulierung und Liberalisierung fordern. Das gilt im übrigen auch für andere Berufsstände. Der Status quo bei allen Kammersystemen mit Zwangsmitgliedschaften passt nicht mehr in unsere Zeit und wird zunehmend zum Beschäftigungshindernis.

Wie passen Subventionsabbau auf der einen und die Förderung gerade junger Unternehmer auf der anderen Seite zusammen?

Warten wir erst einmal ab, auf welche Schritte sich die Koalition verständigen wird und welche Maßnahmen die Union mitträgt. Eines ist sicher, wenn wir die Frage der gerechten Verteilung der zur Verfügung stehenden Steuermittel offen diskutieren, dann müssen Subventionen und Steuervergünstigungen ebenfalls kritisch überprüft werden. Ich kann Ihnen aber versichern, dass Gründer und junge Unternehmer auch in Zukunft ausreichende öffentliche Fördermittel erhalten werden. Dies ist um so wichtiger, als sich die Banken zurückgezogen haben.

Wird der Subventionsabbau auch Solarbetriebe, Umweltschutz, Nacht- und Schichtarbeit betreffen?

Die Erfahrungen des Steuervergünstigungsabbaugesetzes haben doch gezeigt, dass es nicht funktioniert, wenn sich Politiker eine Subvention herausgreifen, deren Sinn hinterfragen und dann Kürzungsvorschläge machen. Das Subventions-Picking bringt nichts, wie das aktuelle Beispiel um die Eigenheimzulage zeigt, deren Neuordnung die Opposition wider besseren Wissens blockiert hat. Wir werden uns darauf verständigen müssen, die Subventionen pauschal anzugehen.

Also werden auch die Zuschläge für Sonntagsarbeit gestrichen?

Zu Einzelmaßnahmen kann und will ich noch nichts sagen. Nur so viel: Jede Finanzhilfe muss auf den Prüfstand gestellt werden. Womöglich müssen in Einzelbereichen die Tarifpartner mit an den Tisch, damit Kompensationsmöglichkeiten geprüft werden. Das wird mit Sicherheit kein einfacher Weg. Aber die Koalition wird dies in Angriff nehmen müssen und die Opposition wird zeigen müssen, ob sie weiter blockieren will oder sich durchringen kann, an der Modernisierung Deutschlands mitzuarbeiten.

Wie viel Kraft hat die Koalition noch, nachdem schon die Agenda 2010 die Sozialdemokraten fast zerrissen hat und der SPD-Regierungschef in Nordrhein-Westfalen rot-grüne Bündnisse in Frage stellt?

In Nordrhein-Westfalen wird das rot-grüne Bündnis einen konstruktiven Modus finden müssen. Im Bund habe ich an der Kraft der Koalition keinen Zweifel. Gerade die Diskussion um das Thema Verteilungsgerechtigkeit hat doch gezeigt, dass die SPD wandlungsfähig ist. Und die Grünen ergänzen das durch ihren Zugang zu Eigenverantwortung und sozialer Solidarität. Unklarer ist für mich die Entwicklung in der Opposition, die im Bundesrat die Mehrheit hat. In der Union hat die ehrliche Debatte über die Balance zwischen Eigenverantwortung, Solidarität und der Erneuerung unseres Landes noch gar nicht begonnen.

Zum Beispiel?

Nehmen Sie das Thema Zuwanderung. Wer sich angesichts unserer demographischen Probleme und dem Mangel an qualifizierten Facharbeitern bis heute für eine Abschaffung anstatt für eine gesteuerte Zuwanderung entscheidet, der beweist nicht nur, dass er nicht bereit ist, sich den Fragen der Zukunft vorurteilsfrei zu stellen. Die Union zeigt damit auch, dass sie im Augenblick wirtschaftspolitisch hinter die SPD zurückgefallen ist.

Das Gespräch führte Antje Sirleschtov.

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