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Wirtschaft: Die Angst der Langnasen vor dem Virus

Sars verändert das Leben der meist gut situierten Ausländer in den asiatischen Metropolen dramatisch

Von Rebecca Buckman

und Kathy Chen

Bislang war das süße Leben der Ausländer in Hongkong Gegenstand des allgemeinen Neids in der internationalen Business- Community. Manager von europäischen oder amerikanischen Firmen erfreuten sich an Annehmlichkeiten wie spottbilliger Kinderbetreuung oder exklusiver Privatklubs. Anwalt Eyan Cohen und seine Familie sind da keine Ausnahme. Sie haben eine geräumige Wohnung und ein Dienstmädchen, das im Haus lebt. Die Kinder besuchen teure Privatschulen, die Firma gibt großzügige Beihilfen für die Ausbildung. Am Wochenende geht es in den noblen Aberdeen Marina Club, dessen Mitgliedsbeiträge ebenfalls auf Firmenkosten gehen. Da lernen die vier Mädchen der Cohens schwimmen und Schlittschuhlaufen. In Hongkong könne man es mit der Familie „gut aushalten“, sagt Vollzeit- Mutter Tammy Cohen (38). Ein fast perfektes Leben.

Bisher. In den vergangenen Wochen mussten die Cohens, die aus der Nähe von New York stammen, zusehen, wie ihre abgeschirmte, fast kolonialartige Welt zerfiel. Wie eine Seifenblase platzte die Illusion des paradiesischen Lebens. Schuld ist Sars. Das tödliche Virus, das vermutlich vom nahen chinesischen Festland nach Hongkong importiert wurde, macht den betuchten Ausländern klar, dass sie in einer realen asiatischen Stadt leben – und nicht in einem Spielzeugland, das den Westen ersetzt und mit einigen asiatischen Annehmlichkeiten verziert wurde.

Die sorgfältig abgeschirmten Ausländer in Singapur oder Peking, von denen viele in pfirsich- oder rosafarbenen Villen in netten Vorstädten leben, müssen hilflos zusehen, wie ihre heile Welt bedroht wird. Zwar genießen sie auch jetzt noch eine Vorzugsbehandlung. Sie können ausreisen. Die Leute aus der Mittelschicht dagegen, die in Gebäuden wie dem Block E des Hongkonger Appartementkomplexes Amoy Gardens leben, haben ein weitaus weniger komfortables Leben: Viele wurden in Quarantänelager verfrachtet, nachdem sich mehr als 200 Bewohner mit Sars angesteckt hatten. Tammy Cohen und ihre Kinder dagegen verbringen ihre selbst auferlegte Quarantäne im Ferienhaus der Familie auf Long Island, New York.

Eyan Cohen, 40 Jahre alt und Partner der Anwaltssozietät Clifford Chance, hat Verständnis dafür, dass seine Familie sich vorübergehend in die sichere Heimat verabschiedet hat. „Wie viele Spiele kann man zu Hause spielen und wie viele Videos sehen, bevor man verrückt wird?“, fragt er. Das Dienstmädchen der Cohens ist auf die Philippinen zurückgekehrt, so dass Eyan Cohen jetzt mit dem Vogel der Familie alleine zu Hause ist. Das ganze vergangene Wochenende hat er vor dem DVD-Player verbracht.

Alle Sars-Todesfälle in China, betrafen Chinesen – bis zum vorletzten Sonntag, als ein Finne starb, der für die Internationale Arbeitsorganisation gearbeitet hatte. Der 53-jährige Pekka Aro war am 23. März von Bangkok nach Peking gereist und zeigte fünf Tage später Sars-Symptome. Er starb in einem Pekinger Krankenhaus. Dann infizierte sich ein weiterer Ausländer, ein Kanadier, mit der neuen Form der Lungenentzündung. Bis jetzt sind insgesamt 53 Menschen in China an der Krankheit gestorben.

Von diesen Nachrichten beunruhigt, überlegen viele Ausländer, ob sie in Peking ausharren oder in die Heimat abreisen sollten. Das US-Außenministerium und viele multinationale Unternehmen gestatten Angestellten, die abkömmlich sind, vorübergehend in ihre Heimatländer zurückzukehren. Aus Hongkong sind bereits Tausende geflohen, obwohl einige Experten warnen, die Gefahr, sich in einem überfüllten Flugzeug anzustecken, sei viel größer.

In Hongkong wirkt sich die Krankheit auf viele Lebensbereiche der Ausländer aus. Teure Läden wie das Modegeschäft Episode im Zentrum Hongkongs sind total verwaist. Die einzigen Menschen, die dort in der vergangenen Woche gesichtet wurden, waren schick gekleidete Frauen, die meerschaumgrüne Gesichtsmasken zu marineblauen Hosenanzügen trugen. Auch das Verhältnis zwischen den reichen Ausländern und ihren Haushaltshilfen ist arg strapaziert. Nina Kubik, eine 42-jährige Hausfrau aus Deutschland, die in Peking lebt, sagt, ihr Kindermädchen habe berichtet, dass andere Kindermädchen in ihrer Wohngegend Angst hätten, zur Arbeit zu gehen. Schließlich sei bekannt, dass vor allem Ausländer infiziert würden. Und nun hätten die Angestellten Angst, sich bei den Langnasen anzustecken.

Texte übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Sars, Bioterrorismus), Svenja Weidenfeld (Sars, Ausländer), Matthias Petermann (Sars, Meinung), Christian Frobenius (Irak) und Tina Specht (Nord Korea).

Rebecca Buckman, Kathy Chen

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