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Wirtschaft: Die Ausbeutung der Großen durch die Kleinen

Harte Verhandlungen kommen auf die Bundesregierung zu, wenn es darum geht, das Reformpaket "Agenda 2000" auf den Weg zu bringen.Am 24.

Harte Verhandlungen kommen auf die Bundesregierung zu, wenn es darum geht, das Reformpaket "Agenda 2000" auf den Weg zu bringen.Am 24./25.März in Berlin wird sich zeigen, ob die Regierung sich mit der Ankündigung durchsetzen kann, eine deutliche Senkung der deutschen Nettobeiträge zu erreichen.

Doch ohnehin sind die Nettozahlungen nur ein sehr unvollkommenes Maß für die Vorteile, die ein Land aus der EU-Mitgliedschaft zieht.Neben die budgetwirksamen Leistungen treten zahlreiche andere Effekte: vom Abbau von Zöllen über die Harmonisierung von Standards bis hin zur Sicherung politischer Stabilität in Europa.Diese Wirkungen sind allesamt schwer zu quantifizieren.

Transfers über den EU-Haushalt können für Geber- und Empfängerstaaten vorteilhaft sein, solange sie als Ausgleich für eine unterschiedliche Verteilung von Integrationsgewinnen dienen und damit vielfach Integrationserfolge überhaupt erst ermöglichen.Kritiker befürchten jedoch Kompensations- oder Tauschgeschäfte zwischen den Mitgliedsstaaten.Das Problem: Derartige Deals könnten deutlich über eine angemessene Aufteilung von Integrationsgewinnen hinausgehen.So drohen Umverteilungskoalitionen zu Lasten Dritter.Demnach hängt der Umfang der Nettotransfers nicht von sachlichen Kriterien ab, sondern überwiegend von der Möglichkeit, politische Entscheidungen zu beeinflussen.

Überprüft man empirisch, wovon das Ausmaß der Nettotransfers pro Kopf abhängt, so spielen Umverteilungsaspekte keine wesentliche Rolle: Denn von einem hohen Brutto-Inlandsprodukt pro Kopf kann keinesfalls immer zugleich auf hohe Nettotransfers pro Kopf geschlossen werden.Dabei strebt die EU eine solche Umverteilung grundsätzlich durch das im Maastrichter Vertrag verankerte Kohäsions- beziehungsweise Solidaritätsziel an.

Im EU-Ministerrat wird ein Großteil der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen.Die Zahl der Stimmen, die ein Land im Rat relativ zu seiner Bevölkerungsgröße hat, eignet sich als guter Machtindikator.Demnach haben kleine Länder einen deutlich überproportionalen Einfluß.Beispielsweise kommen in Irland auf eine Million Einwohner 0,8 Stimmen, in Deutschland dagegen nur 0,12.Beuten also die kleinen Staaten die großen Länder in der EU aus?

Der Machtindex zeigt für kleine Länder einen überproportionalen Einfluß.Hier ist ein signifikanter und verhältnismäßig enger Zusammenhang der Art festzustellen, daß relativ einflußreiche Länder - unabhängig von ihrer Wohlfahrtsposition in der EU - überproportional hohe Nettotransfers aus dem europäischen Haushalt erhalten.

Die Untersuchungen stützen also die von dem US-amerikanischen Ökonomen Mancur Olson zuerst formulierte These der Ausbeutung großer gesellschaftlicher Gruppen durch kleine auch für die Länder der EU.Sie erscheint auch insoweit plausibel, als die Stimmen kleiner Staaten bei der Mehrheitsbeschaffung mit besonderen Ausgabenprogrammen vergleichsweise billiger auf die eigene Seite zu ziehen sind als große.

Aus diesen Gründen erscheint vor allen zweierlei erforderlich: Zum einen ist eine Neuverteilung der Stimmen notwendig, die sich enger an der Bevölkerungszahl eines Landes orientiert.Den umgekehrten Weg verfolgt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium, wenn er die Beitragslast auch am Stimmengewicht orientieren will.Beides könnte letztlich zu einer proportionaleren Verteilung der Beitragslasten auf die Mitgliedsstaaten führen.

Zum anderen sollten die Transfers nicht länger über vielfach höchst komplizierte und ineffiziente Kanäle wie die Agrar- und Strukturpolitik vergeben werden.Zwar werden klar ausgewiesene Kompensationszahlungen, die sich nicht hinter geschickt auf ihre Verteilungswirkungen berechnete Sachprogramme verstecken müssen, mittelfristig kaum durchsetzbar sein.Daran wird ein Großteil der politischen Akteure auch kein Interesse haben.

Doch sollte zumindest daran gearbeitet werden, Aufgaben zurückzuverlagern, eigene nationale Verantwortung über mehr Eigenbeteiligung - beispielsweise in der Agrarpolitik - zu stärken und die Vergabe der Transfers transparenter und einfacher zu gestalten.Dadurch könnte die Spirale immer neuer Ausgabensteigerungen, von denen innerhalb der Länder überwiegend einzelne, lobbystarke Gruppen profitieren, gebremst werden.Dann dürfte das im EU-Durchschnitt wohlhabende Deutschland auch in Zukunft Nettozahler bleiben - und das aus eigenem Interesse heraus.

Dipl.-Volkswirt Carsten Rolle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Professor Ulrich van Suntum am Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

CARSTEN ROLLE

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