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Wirtschaft: Die gesetzlichen Krankenkassen werden noch teurer

Die Finanzlage ist angespannt – Besonders die früher so günstigen Betriebskrankenkassen erhöhen ihre Beiträge

Von Carsten Brönstrup

Die Krankenkassen-Beiträge werden in den kommenden Monaten womöglich wieder steigen. Schon in den verganenen Wochen haben einige Kassen ihre Preise erhöht, vor allem die bislang besonders günstigen Betriebskrankenkassen (BKK). Auch die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) wollten am Freitag weitere Aufschläge nicht ausschließen. Das hänge „von den gesundheitspolitischen Weichenstellungen nach der Wahl ab", sagte ein Sprecher des AOK-Bundesverbandes dieser Zeitung. Insider halten Beitragserhöhungen in mehreren AOK-Verbänden für möglich. Die großen Ersatzkassen Barmer, Techniker und DAK wollen indes bis zum Jahresende ihre Preise stabil halten. Das sei möglich, sofern es keine „Erdrutsche“ auf dem Arbeitsmarkt gebe, hieß es.

Die BKK für Heilberufe dagegen, eine der zehn größten Betriebskrankenkassen, wird ihren Satz zum 1. September von 12,9 auf 13,9 Prozent anheben. Das ist bereits die dritte Verteuerung seit Ende des Jahres 2001. Auch mehrere andere BKKn haben ihre Sätze jüngst erhöht, so die vormalige Philipp-Holzmann-Kasse Salus BKK (13,5 statt 12,3 Prozent) oder die WMF BKK (13,7 statt 11,9 Prozent). Seit Anfang Juli haben insgesamt 28 Betriebskassen ihre Beiträge herausgesetzt. Die Kassen rechtfertigen sich mit steigenden Kosten und hohen Ausgleichszahlungen an den internen Kassen-Finanzausgleich.

Mit den Erhöhungen gerät das Ziel von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) in Gefahr, den durchschnittlichen Beitragssatz bis zum Jahresende stabil zu halten. Derzeit liegt er bei 14 Prozent. Die CDU-Opposition erwartet eine neue Erhöhungsrunde zum 1. Januar auf 14,5 Prozent. Eine Ministeriumssprecherin sagte, bis zum Jahresende würden die Kassen ein ausgeglichenes Finanzergebnis erzielen. Aber noch haben die Institute große Geldsorgen. Nach Informationen des Tagesspiegels ist das Defizit der Krankenversicherung im ersten Halbjahr auf mehr als zwei Milliarden Euro angestiegen. Gegenüber dem ersten Quartal hat es sich damit mehr als verdoppelt – bis Ende März beliefen sich die roten Zahlen auf 865 Millionen Euro. Gesundheitsministerin Schmidt wird die Halbjahresbilanz der gesetzlichen Kassen am kommenden Montag offiziell vorstellen. Kurz vor der Bundestagswahl dürfte dies für erheblichen Wirbel sorgen.

Besonders betroffen von Fehlbeträgen waren die Ersatzkassen DAK, Techniker und Barmer. Allein ihre Defizite addieren sich auf eine Milliarde Euro. Probleme hatten auch die Allgemeinen Ortskrankenkassen mit einem Minus von 850 Millionen Euro. Bereits 2001 fehlten den Krankenkassen 2,9 Milliarden Euro. Viele erhöhten daraufhin zum Jahreswechsel die Beiträge.

Für die Einnahmeprobleme sind vor allem das schlechte Wirtschaftswachstum und die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich. Sie verursachen enorme Ausfälle – weil die gesamte Lohnsumme, die die Unternehmen an ihre Beschäftigten zahlen, nur um 0,3 Prozent gestiegen ist, fließen auch weniger Beiträge an die Kassen. Außerdem sind die Kosten für Arzneimittel weiter gestiegen. Sie waren 2001 der Hauptpreistreiber und hatten sich um mehr als elf Prozent verteuert. Deshalb hatte die Bundesregierung mit verschiendenen Gesetzen versucht, den Anstieg zu stoppen. Das ist bislang nicht gelungen: Die Techniker Krankenkasse in Hamburg etwa musste 6,8 Prozent mehr für Medikamente bezahlen.

Hoffen auf das Weihnachtsgeld

Ein weiterer großer Kostenfaktor seien Änderungen in der Krankenversicherung für Rentner gewesen, klagen die Kassen. Viele freiwillig versicherte Rentner müssen seit dem Frühjahr weniger Beiträge bezahlen. Grund ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März 2000. Die so entstehenden Mehrkosten sollen sich allein in diesem Jahr auf mehrere hundert Millionen Euro belaufen.

Die gesetzlichen Kassen hoffen nun auf die zweite Jahreshälfte. Dann erst werden die Arbeitnehmer Urlaubs- und Weihnachtsgeld in ihren Lohntüten finden, für diese Einkünfte müssen sie Sozialbeiträge zahlen. Jedoch haben in der Krise einige Unternehmen Extra-Leistungen wie das Weihnachtsgeld gekürzt oder gestrichen. Positiv werden sich außerdem die nach den Tarifrunden im Frühjahr erhöhten Einkommen bemerkbar machen. Weitere Zusatzeinnahmen versprechen sich die großen Kassen aus dem kasseninternen Finanzausgleich. Er soll für einen Ausgleich zwischen armen und reichen Kassen sorgen. Ersatzkassen wie die Barmer verweisen auf dreistellige Millionenbeträge, die sie in den Ausgleich zuviel gezahlt haben und demnächst zurückbekommen.

Die Finanzprobleme könnten dazu führen, dass die Versorgungsqualität sinkt, warnte Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe am Freitag in einem offenen Brief an die Vorsitzenden der großen Parteien. Durch „politische Manipulationen“ seien den Kassen Milliarden entzogen worden. Derzeit könnten die Krankenkassen nicht alle Patienten am medizinischen Fortschritt teilhaben lassen, mahnt Hoppe. Zudem drohe ein „dramatischer Ärztemangel“.

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