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Marcel Fratzscher ist Präsident des DIW.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wirtschaftswachstum in Deutschland: "Die goldenen Jahre neigen sich dem Ende zu"

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, warnt: 2017 geht es bergab. Ein Kommentar.

2017 könnte den Wendepunkt für die Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft einläuten. Nach drei wirtschaftlich sehr guten Jahren fühlt sich Deutschland heute wie Europas unverwundbarer Superstar. Während viele andere europäische Länder noch tief in der Krise feststecken, liegen hierzulande die Überschüsse der öffentlichen Haushalte, die Beschäftigtenzahlen und die deutschen Exporte auf neuen Rekordhöhen. Aber vieles spricht dafür, dass die Stärke der deutschen Volkswirtschaft ihren Höhepunkt überschritten hat – vor allem, weil die deutsche Wirtschaftspolitik die guten Jahre nicht genutzt hat, um die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen.
Das deutsche Wirtschaftswachstum könnte sich im kommenden Jahr fast halbieren. Nicht nur, weil es weniger Arbeitstage gibt, sondern auch weil Exporte, Investitionen und der private Konsum sich abschwächen werden. Deutschland gerät nun zunehmend in die Falle der Demographie: Ohne Zuwanderung werden die Beschäftigtenzahlen anfangen zu schrumpfen, da immer mehr Menschen in Rente gehen und immer weniger junge Menschen nachkommen. Die Löhne und damit auch die Einkommen und der private Konsum werden im kommenden Jahr wohl weniger stark wachsen. Die Arbeitslosenquote könnte sogar leicht steigen. Auch die Exporte werden sich angesichts einer schwächelnden Weltwirtschaft und des zunehmenden Protektionismus nur schwach entwickeln. Und die Risiken, dass die europäische Krise wieder aufflammt und die deutsche Volkswirtschaft schädigt, sind weiterhin enorm.

Die "Schwarze Null" könnte bald Vergangenheit sein

Dies stellt die Wirtschaftspolitik in Deutschland vor drei große Herausforderungen.
Zum einen steht die Finanzpolitik am Wendepunkt. Wehe, wer es wagt, dies auszusprechen: Die Jahre der „Schwarzen Null“ könnten bald der Vergangenheit angehören. Die Überschüsse von über 20 Milliarden Euro in diesem Jahr werden 2017 durch weniger Wachstum, einen weniger guten Arbeitsmarkt und geringere Steuern auf Unternehmensgewinne wohl auf einen Bruchteil zusammenschrumpfen. Auch wenn die Bundesregierung fest mit Überschüssen für den Bundeshaushalt im kommenden Jahr rechnet, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie auf die Rücklagen der vergangenen Jahre wird zurückgreifen müssen, um einen erneuten Schuldenaufbau zu verhindern.

Der Staat muss mehr investieren

Das Verfehlen der „Schwarzen Null“ wäre kein Drama, wenn der Staat sein Geld klug und produktiv ausgeben würde. Aber genau hier liegt die größte Gefahr im Jahr 2017. Alles deutet darauf hin, dass die Bundesregierung riesige Wahlversprechen machen wird, um Stimmen für die Bundestagswahl zu kaufen und die eigene Klientel zu bedienen. Klüger wäre es, wenn die Bundesregierung die gute Lage der öffentlichen Haushalte für Investitionen in die Zukunft nutzen würde. Die Nettoinvestitionen des Staates sind noch immer negativ. Dies bedeutet, der Wertverlust des Volksvermögens ist größer als die Summe der Investitionen des Staates. Es gibt zudem riesige neue Herausforderungen, etwa die dringend notwendige Schaffung einer modernen digitalen Infrastruktur und neuer Energienetze, an denen sich der Staat gemeinsam mit privaten Investoren auch beteiligen sollte.

In Europa lauern große Risiken

Das dritte große wirtschaftliche Risiko für Deutschland im Jahr 2017 wird die europäische Krise sein. Europa befindet sich zwar auf dem Pfad der Besserung, aber die Risiken bleiben enorm. Die größte Gefahr für die deutsche Volkswirtschaft geht von Italien aus. Die Schieflage der Banken und die politisch unkalkulierbare Lage könnten Italien im Extremfall wieder in die Rezession treiben und zu größeren Verwerfungen an den Finanzmärkten führen. Dies würde mal wieder den Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) erhöhen, als Feuerwehrmann einzuspringen, jedoch mit enormen Risiken. Der deutsche Sparer und die deutschen Banken werden sich wohl noch drei oder mehr Jahre auf Nullzinsen einstellen müssen.

2017 wird schwierig

2017 wird aus wirtschaftlicher Perspektive ein schwieriges Jahr für Deutschland. Wenn es gut geht, kann es eines der letzten goldenen Jahre werden. Leider haben unsere Wirtschafts- und Finanzpolitiker bislang kaum etwas getan, um diese goldenen Jahre zur Sicherung der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und des Wirtschaftsstandorts Deutschlands langfristig genutzt zu haben. Die Politik hat keine Spielräume für Wahlgeschenke. Trotzdem gibt die Regierung Geld aus, das sie nicht hat. Das wird zulasten zukünftiger Generationen gehen. Wenn die Bundesregierung jetzt nicht umschwenkt und Kurs auf die Zukunftssicherung nimmt.

Marcel Fratzscher

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