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Wirtschaft: Die Herbstkollektion schwimmt vor der Westküste

Auseinandersetzungen zwischen Reedereien und Hafenarbeitern legen 29 US-Häfen lahm – Milliardenverluste für die Wirtschaft

San Francisco. Peter McGrath fürchtet um sein Herbstgeschäft. Es geht weniger darum, ob die neuen Modefarben und Rocklängen den Kundinnen gefallen, nein, der Vize-Präsident der Handelskette J.C.Penny sorgt sich darum, ob die Herbstkollektion rechtzeitig in die Schaufenster kommt. Denn die Mäntel, Kostüme und Hosen im Wert von 30 Millionen Dollar warten im Bauch großer Schiffe vor der nordamerikanischen Westküste darauf, entladen zu werden.

Der seit Monaten anhaltende amerikanische Arbeitsstreit zwischen gewerkschaftlich organisierten Hafenarbeitern und den Hafenbetreibern ist schuld. Nachdem Verhandlungen über fünf Monate zu keinen neuen Verträgen führten, legten die Betreiber kurzentschlossen 29 Häfen zwischen San Diego und Seattle lahm und schlossen 10 500 Hafenarbeiter von der Arbeit aus. An den Häfen warten mehr als 160 Frachtschiffe. Ein Ende des Streiks ist nicht in Sicht.

Die Pacific Maritime Association, die die Hafenbetreiber und Reedereien repräsentiert, wirft der Hafenarbeitergewerkschaft ILWU Bummelstreiks vor, die die Produktivität um 54 Prozent reduziert hätten. So werden in Los Angeles – mit 2,7 Millionen Containern pro Jahr der geschäftigste Hafen der USA – pro Stunde nur noch 15 Container be- und entladen statt der üblichen 30.

Gewerkschaftsführer James Spinosa gibt zu, dass die Arbeiter Überstunden abgelehnt und ihre Arbeit verlangsamt hätten. Dies sei jedoch auf Sicherheitsbedenken zurückzuführen, erklärt er. In den vergangenen zwölf Monaten hatten fünf Arbeiter ihr Leben gelassen. Gleichzeitig betont Spinosa, dass die Gewerkschaft einem dreijährigen Vertrag nur zustimmen werde, wenn die Arbeitgeber einen Teil ihrer Forderungen akzeptieren. „Wir werden keinem Vertrag zustimmen, der unsere Mitglieder benachteiligt“, sagt Spinosa. Der Gewerkschaft geht es vor allem um die Sicherung gut bezahlter Jobs. Außerdem will sie vermeiden, dass die Reedereien immer mehr Arbeit outsourcen oder auf computergesteuerte Entlade- und Beladesystemen verlagern.

Die Hafenbetreiber wiederum wollen die Arbeit mit Hilfe optischer Scanner beschleunigen und argumentieren, dass der Mangel neuer Technologien langfristig Probleme beim vermehrten Handel mit Asien schaffe. Auch seien Häfen in Europa technologisch auf einem viel besseren Stand. „Was neue Technologien betrifft, steckt die Gewerkschaft den Kopf in den Sand", meint Arbeitgebervertreter Tom Edwards. Der diesjährige Konflikt erinnert ihn an die 60er Jahre, als die Einführung der Containerschiffe heftige Auseinandersetzungen produzierte.

Eine langfristige Stilllegung der Häfen hätte schwerwiegende Folgen für den amerikanischen Einzelhandel und die Zulieferindustrie. An der Westküste werden immerhin fast die Hälfte des gesamten Containerverkehrs in den Vereinigten Staaten abgewickelt und Waren im Wert von 300 Milliarden Dollar im Jahr ein- und ausgeführt. Experten schätzen, dass jeder Streiktag eine Milliarde Dollar Verlust bedeutet. In den Cargo-Räumen der Schiffe verrotten Lebensmittel, Eisenbahn- und Lastwagenunternehmen müssen ihre Transportdienste reduzieren.

„Sollte dies andauern", warnte bereits der amerikanische Regierungssprecher Ari Fleischer, „ist das ein Problem für die Wirtschaft." Zwar könnte Präsident George W.Bush eingreifen und eine Aufnahme der Arbeit anordnen – Beobachter halten dies jedoch für politisch riskant. Schließlich sind Anfang November Gouverneurswahlen. Und die Republikaner sind darauf angewiesen, in mehreren Bundesstaaten wichtige Wählerstimmen bei Gewerkschaftsmitgliedern zu gewinnen.

Gleichzeitig schließen Beobachter eine zeitweilige Verlagerung der Aktivitäten von der West- an die Ostküste aus, da die Containerschiffe, die den Pazifik durchpflügen, für den Panama-Kanal zu groß seien. Peter McGrath von J.C. Penny jedenfalls hofft, dass sich nicht die Ereignisse des Jahres 1971 wiederholen, als ein 134-tägiger Streit die Häfen an der Westküste lahm legte. „Wir haben einen Spielraum von sieben Tagen“, sagt Penny, „alles darüber wäre ein ziemliches Desaster." Rita Neubauer

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