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Wirtschaft: Die Laternenanzünder

Gasleuchten stiften in der Hauptstadt Licht – und Zwist. Für eine Berliner Firma sind sie ein Glücksfall.

Berlin - Mit Gaslaternen hat Peter Herzog viel erlebt: aufgebrachte Anwohner, die sich an die Masten ketten; ein Orkan, der sie reihenweise umknickte; Vögel, die tagsüber darin nisten und, sobald das Licht angeht, sich die Federn verbrennen. „Und Spinnen“, erzählt der Monteur. „Vor Spinnen darf man keine Angst haben.“ Mit größter Freude würden die Krabbeltiere die Leuchten als ihr Zuhause wählen. Seit fünf Jahren repariert Herzog für die Firma Braun Lighting Solutions die Berliner Gaslampen. Geht irgendwo in der Stadt eine Laterne aus, muss der 32-Jährige ausrücken. „Bei minus 20 Grad ist das natürlich nicht so spaßig.“

An diesem Herbstmorgen scheint die Sonne in Alt-Lichtenrade. Einer historischen Modellleuchte ist der Glühstrumpf durchgebrannt. Für Herzog heißt das: Leiter raus und rauf auf die Laterne. Schwindelig darf einem da nicht werden – auch nicht auf dem Hebefahrzeug, auf dem der Monteur und seine Kollegen fahren, um die hohen Hängeleuchten zu reparieren. „Glühstrümpfe sind sehr empfindlich“, erzählt Herzog, während er einen tauscht. Sie bestehen aus einem feinen Gerüst aus Salzen, das glüht, wenn Gas darüberströmt. „Die kleinste Erschütterung kann sie kaputt machen“, sagt er. Erst recht, wenn Autos gegen die Laternen fahren, was oft vorkomme.

Wie in Alt-Lichtenrade strahlen 40 500 Gaslaternen in Berlin – so viele wie in keiner anderen europäischen Stadt; die meisten im Süden und Westen. Die Berliner verteidigen ihr geliebtes Gaslicht, gleich mehrere Vereine wollen die Laternen unter Denkmalschutz stellen. Der Senat lehnt sie aber als Verschwendung ab. Etwa 270 Euro kostet die Pflege einer Gaslaterne im Jahr, sieben Mal so viel wie beispielsweise die Wartung einer LED-Leuchte. Nach und nach will der Senat deshalb die Gaslaternen durch energiesparende elektrische Lampen ersetzen. Bis 2016 sollen bereits 8000 Reihenleuchten elektrisch werden, in den breiten Straßen der Innenstadt brennt schon jetzt fast nur noch elektrisches Licht.

Auch Peter Herzogs Arbeitgeber bekommt die Sparsamkeit der Politik zu spüren. Im Auftrag des Energieversorgers Vattenfall wartet, repariert und erneuert Braun alle verbliebenen Gasleuchten der Hauptstadt. 2001 gründete André Braun die Firma. Vorher arbeitete der 46-Jährige beim Berliner Versorger Gasag und war dort für die Gasbeleuchtung zuständig. In der Anfangszeit erwirtschaftete sein Unternehmen 90 Prozent des Umsatzes mit Gas. Heute sind es noch 60 Prozent. „Wir haben gemerkt, dass, wenn die Gasbeleuchtung verschwindet, auch die Firma Braun verschwinden wird“, sagt er.

Seit einigen Jahren hat das Unternehmen deshalb eine neue Licht- und damit auch Geldquelle für sich entdeckt: LED. Während Peter Herzog auf die Laternen des alten Berlin klettert, bauen die Mitarbeiter in der Braun-Werkstatt die Technik, die deutsche und europäische Innenstädte in Zukunft beleuchten soll. „Aus energiewirtschaftlicher Sicht ist die Gasbeleuchtung nämlich Quatsch“, sagt André Braun. Er erklärt gern, dass die Laternen zu schwach strahlen und dass, weil sie das Licht zu allen Seiten hin gleichmäßig abgeben, auch Ecken beleuchtet werden, die gar kein Licht benötigen. „Außerdem sind die Laternen störanfällig“, sagt er, was noch mehr Kosten bedeute.

Inzwischen nehmen immer mehr europäische Kommunen Abschied vom Gaslicht. Auch die klassische elektrische Beleuchtung kommt für viele Gemeinden nicht mehr infrage. Für Braun bedeutet das neue Kunden. Mit 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz und 37 Mitarbeitern ist seine Firma zwar noch klein. Doch sie ist auf einem wachsenden Markt aktiv: Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt das weltweite Marktvolumen für LED auf knapp ein Fünftel des Gesamtmarktvolumens für Beleuchtungstechnik. Bis 2020 gehen Experten von einem Anteil von 70 Prozent aus. In Europa werden rund 1,5 Milliarden Euro mit LED umgesetzt – und in so mancher historischen Straße brennen schon jetzt die neuen Lampen. Die Technik von Braun leuchtet zum Beispiel in Prag, Warschau und Dublin. Der Berliner hat die historischen Leuchten der Dresdener Semperoper umgerüstet und die Schinkelleuchten der Leipziger Innenstadt. „Dabei hatte Leipzig eigentlich gar kein Gaslicht“, erzählt André Braun. Die Stadt wollte aber Laternen haben, die ähnliches Licht wie Gaslaternen ausstrahlen – der Stimmung wegen. Inzwischen ist auch das möglich.

Die Technik dazu hat André Braun selbst entwickelt und patentiert. Das Innenleben der Hightech-Laternen kennt er genau. Sein Favorit: eine LED-Leuchte, deren Licht sich gezielt in eine Richtung lenken lässt. Will eine Gemeinde Licht auf der Straße, nicht aber auf dem Bürgersteig, kann sie einen Teil einfach ausschalten und so Strom sparen.

Julia Rotenberger

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