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Wirtschaft: „Die Lebensversicherer helfen sich selbst“

Jochen Sanio, Chef der Finanzaufsicht des Bundes, erwartet trotz der Probleme der Branche keine Insolvenzwelle

Bonn (ali/rl/HB). Die Lebensversicherer werden die Schwierigkeiten ihrer Branche durch Selbsthilfe bewältigen. Das erwartet jedenfalls Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Einige wenige Versicherer werden in den Armen eines stärkeren Wettbewerbers landen, sagte Sanio im Gespräch mit dem Handelsblatt. Mit einer großen Übernahmewelle rechnet der BaFinChef im laufenden Jahr jedoch nicht. „Sollte es in Einzelfällen zu finanziellen Schwierigkeiten kommen, die die Unternehmen nicht selbst lösen können, sind wir sehr zuversichtlich, dass ein anderer Versicherer einspringt“, sagt Sanio. So ist etwa bei der in Schieflage geratenen Detmolder Familienfürsorge die HUK Coburg eingesprungen – einer der wenigen Fälle, die publik wurden.

So folgt die neue Allfinanz-Aufsicht der bewährten Tradition der alten Versicherungsaufsicht: Schieflagen werden möglichst geräuschlos durch Übernahmen geregelt. „Warum sollen wir nicht weiter nach den Methoden verfahren, die sich in der Vergangenheit bewährt haben“, sagt Sanio, der genau weiß, dass die Versicherer dem im Mai erfolgten Zusammenschluss der drei Aufsichtsbehörden für Banken, Börsen und Versicherer skeptisch gegenüber standen.

„Nur wenige kleinere Gesellschaften benötigen tatsächlich eine intensivere, das heißt verschärfte Aufsicht,“ meint BaFin-Präsident Sanio. Zwei Fragebogenaktionen mit Stichtagen Ende Juni und Ende Oktober, mit denen sich die BaFin in diesem Jahr wegen der Krise an den Kapitalmärkten bei den Lebensversicherern ein detailliertes Bild über deren Lage verschaffte, stützten diese Aussage. Bei der Umfrage unter den Lebensversicherern, die schon das zweite Jahr in Folge unter fallenden Zinsen und Aktienkursen leiden, wurde auch geprüft, ob die Bilanzen ein weiteres Abrutschen des Dax aushält. Zwar war das Ergebnis der ersten Umfrage zunächst alles andere als beruhigend: Bei 14 Unternehmen war die BaFin mit der finanziellen Situation unzufrieden – Namen nennt die Behörde allerdings nicht. Doch „die Lebensversicherer haben sehr schnell reagiert“, lobt Chef-Aufseher Sanio. Viele Gesellschaften haben ihr Eigenkapital aufgestockt – zum Beispiel Mannheimer und HUK Leben – oder sich von riskanten Anlagen getrennt.

Die beabsichtigte Wirkung ist nicht ausgeblieben: „Bei der zweiten Frageaktion zum 31. Oktober 2002 blieben noch nicht einmal die Hälfte der 14 Lebensversicherer als Problemfälle übrig. Zum Jahreswechsel hat sich diese Zahl nochmals erheblich reduziert“, resümiert Sanio. „Der Jahresabschluss 2002 ist bei keiner Gesellschaft gefährdet“, sagt er ausdrücklich. Und selbst die verbliebenen Problemfälle müssen nach Sanios heutiger Einschätzung nicht durch die neue Auffanggesellschaft Protektor gerettet werden. „Die Gründung der Protektor AG stellt zwar eine entscheidende vertrauensbildende Maßnahme dar“, sagt Sanio, doch „aus heutiger Sicht ist es eher wahrscheinlich, dass sie gar nicht operativ tätig werden muss.“ Die Lebensversicherer managen Kapitalanlagen im Wert von gut 570 Milliarden Euro.

In der Phase des Börsenbooms hielten die Gesellschaften jede dritte Aktie in Deutschland. Dass die Krise an den Kapitalmärkten nicht spurlos an ihnen vorübergegangen ist, merken die Kunden der Versicherungen an der Kürzung ihrer jährlichen Gewinngutschriften. „Alle, auch die Lebensversicherer, befinden sich in einem Lernprozess“, bemerkt Sanio. Dass bei der Anlage der Kundengelder „ein professionelles Risikomanagement von Nöten ist“, hat er den Vertretern der Assekuranz auf ihrer Verbandstagung bereits klar gemacht. Dabei werde das Amt die Unternehmen aufsichtlich begleiten. Die BaFin-Experten scheuen sich nicht, wenn nötig, selbst den Rat von Spezialisten einzuholen.

„Übergangsphasen sind gefährlich“, weiß Sanio. Hinzu komme, dass die Behörde noch unter Personalmangel leide. Die Folge: Im Schnitt kann das Amt jedes Versicherungsunternehmen nur alle zehn Jahre vor Ort prüfen. „Neben diesen Routineprüfungen haben wir allerdings eine erheblich höhere Zahl an Sonderprüfungen durchgeführt“, fügt Sanio hinzu. Dies soll ein Signal an den Markt sein. Sanios Ziel ist, dass im Schnitt alle drei bis vier Jahre jedes Versicherungsunternehmen unter die Lupe genommen wird. Die Aussichten dafür stehen günstig: Die BaFin wird um insgesamt 430 neue Aufseher aufgestockt – die Personalsuche läuft auf Hochtouren.

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