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Wirtschaft: Die positive Einschätzung der tschechischen Wirtschaft durch deutsche Investoren steht im Widerspruch zur realen Situation

Ein Jahr nach dem Amtsantritt der sozialdemokratischen Minderheitsregierung scheint die Kette der Hiobsbotschaften aus der tschechischen Wirtschaft kein Ende zu nehmen. Nach den jüngsten statistischen Daten sank im Vergleich mit demselben Zeitraum des Vorjahres die Industrieproduktion seit Jahresanfang um 8,5 Prozent.

Ein Jahr nach dem Amtsantritt der sozialdemokratischen Minderheitsregierung scheint die Kette der Hiobsbotschaften aus der tschechischen Wirtschaft kein Ende zu nehmen. Nach den jüngsten statistischen Daten sank im Vergleich mit demselben Zeitraum des Vorjahres die Industrieproduktion seit Jahresanfang um 8,5 Prozent. Rückwärts entwickelte sich ebenfalls die Arbeitsproduktivität in den Betrieben. Dennoch stiegen die Reallöhne bei rückläufiger Inflationsentwicklung im Durchschnitt um mehr als drei Prozent.

Viele Industriebetriebe, die ihre Reformaufgaben ignorierten, stehen nach wie vor am Rande des Ruins und drängen auf staatliche Hilfe. Die spärlichen Anzeichen eines Wirtschaftswachstums dürften daher kaum eine gesunde Grundlage haben, sondern sind wohl auf den gestiegenen Konsum sowie das hohe Haushaltsdefizit zurückzuführen. Auch die gestiegenen Auslandsinvestitionen im ersten Quartal 1999 erwiesen sich beim näheren Hinsehen als eine optische Täuschung: Nach Angaben von Jan Amos Havelka, dem Chef der offiziellen tschechischen Investmentagentur Czechinvest, waren große Bauvorhaben, die jetzt beispielsweise von den internationalen Supermarktketten in Tschechien verwirklicht werden, bereits seit vier Jahren angekündigt. Es hat lediglich so lange gedauert, alle notwendigen Baugenehmigungen im Dschungel der tschechischen Behörden zu besorgen.

Den widrigen Umständen zum Trotz ziehen deutsche Investoren, die sich in der tschechischen Wirtschaft engagieren, eine vorwiegend positive Bilanz. In der Früh-jahrsumfrage, die von der deutsch-tschechischen Handelskammer in Prag unter den rund 120 deutschen Mitgliedern durchgeführt wurde, bestätigten 78 Prozent der Befragten, dass sie ihre Umsätze im vergangenen Jahr steigern konnten. Die Lage ihres tschechischen Unternehmens stuften 44 Prozent als "gut", 41 Prozent als "befriedigend" ein. Unzufrieden waren lediglich 14 Prozent.

Auch für 1999 überwog die optimistische Einschätzung der eigenen Wirtschaftsaussichten in Tschechien. Man rechnet mehrheitlich mit einer Ausweitung des eigenen Betriebs, obgleich 71 Prozent der befragten deutschen Investoren hinsichtlich der Gesamtentwicklung der tschechischen Wirtschaft in diesem Jahr ausdrücklich eine Verschlechterung erwarten. Die Kluft zwischen diesen Einschätzungen erklärt sich mit der relativ starken Ausrichtung vieler Investoren auf ihr Heimatland. Die Hauptkunden dieser Unternehmen sitzen in Deutschland (45 Prozent) oder im übrigen Westeuropa (28 Prozent). Von den in Tschechien von deutschen Firmen produzierten Erzeugnissen lassen sich lediglich 21 Prozent auf dem tschechischen Markt absetzen. Allerdings wächst der Anteil der heimischen Zulieferungen zügig an: Momentan stammen bereits 39 Prozent der Zulieferungen aus Tschechien. Weitere 35 Prozent der befragten deutschen Investoren gaben an, sich künftig nach den bislang importierten Teilen für ihre Erzeugnisse in Tschechien umsehen zu wollen. Für die tschechische Wirtschaft ist das ein wichtiges Signal: Das Land, das wegen seiner gut ausgebildeten und billigen Arbeitskräfte vorwiegend die Rolle einer "verlängerten Werkbank" spielt, hätte durchaus eine Chance.

Als ein Musterbeispiel einer solchen Entwicklung kann die heute allerseits als erfolgreich bewertete Übernahme der Skoda-Automobilwerke in Mlada Boleslav durch den Wolfsburger VW-Konzern dienen. Das anfängliche Misstrauen "den Deutschen" gegenüber legte sich schnell. Bereits die ersten Erfahrungen nach der Übernahme im April 1991 trugen dazu bei, denn statt den erwarteten "Deutschen" kam nach Mlada Boleslav ein bunt gemischter Haufen von Führungskräften aus allen Ecken dieser Welt. Die Hälfte von ihnen zog bereits wieder weiter, weil sie durch tschechische Nachwuchskräfte ersetzt werden konnte. Dennoch mussten "die Deutschen" anfangs für manches herhalten: Anstatt unpopuläre Entscheidungen zu treffen und zu begründen, war es einfacher, diese als angebliche Befehle und Verbote des ausländischen Managements weiterzugeben. Verantwortung zu tragen und zu eigenen Entschlüssen zu stehen, ist immer noch nicht selbstverständlich.

Dennoch gibt es nach beinahe 10 Jahren offener Grenze zwischen deutschen und tschechischen Firmen mehrere Tausend vertraglich festgelegter Kooperationen verschiedenster Art. Vieles, darunter die Bürokratie auf den Behörden, macht ihnen das Leben schwer. Vor allem die mittelständischen Betriebe, die sich von der Grenznähe mit der Tschechischen Republik eine flexible Kommunikation zwischen ihrem neuen Standort für die preisgünstige Fertigung versprachen, können ein Lied davon singen. Verbreitetes Übel scheint auch die Korruption zu sein. Die Prager Regierung versucht zwar seit kurzem, mit Steuererleichterungen und weiteren Vergünstigungen die Investoren ins Land zu locken, konkrete Verhandlungen scheitern jedoch oft am Kleingedruckten.

In der Untersuchung der deutsch-tschechischen Handelskammer bekamen daher die Rahmenbedingungen keine guten Noten. Lediglich die Infrastruktur der Tschechischen Republik bewerteten deutsche Investoren auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (mangelhaft) mit 2,8. Das Steuersystem, die Wirtschaftspolitik sowie die öffentliche Verwaltung schnitten deutlich schlechter ab. Glatt durchgefallen ist das besonders schlecht funktionierende Rechtssystem in Tschechien. Die mangelhafte Umsetzung des Rechts stört allerdings nicht nur deutsche Investoren, sondern wird heute in Tschechien zunehmend als das wichtigste Hindernis der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung erkannt.

Ludmila Rakusan

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