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So viele Karrierepfade. Nur eines weiß man: So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Aber die Antwort darauf zu finden, wie es stattdessen sein soll, ist oft nicht leicht. Ein Blick auf die eigenen Talente und die eigene Vision von Beruf und Arbeitsalltag hilft, seinen Weg zu finden. Und dann heißt es: neues Jahr, neues Glück! Foto: picture alliance/dpa

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Wirtschaft: Die Reise ins Ich

Was kann ich, was will ich? So gelingt die Suche nach dem eigenen beruflichen Ziel.

Manuela Lüdtke-Jahn erhält jetzt oft kleine Dankeschön-Präsente von ihren Kunden. Darunter sind Vasen, Blumensträuße, kleine Spielzeuge, Obst und Brot. „Das wäre mir in meiner alten Arbeit nicht passiert“, sagt sie. Lüdtke-Jahn betreibt seit vier Jahren einen Geschenke-Laden in Schöneberg. Zuvor war sie 25 Jahre in der Arzneimittelherstellung tätig. Als es in ihrem Unternehmen personelle Veränderungen gab, wurde ihr nach und nach bewusst, dass sie sich nach einem Neubeginn sehnte.

Damals war Lüdtke-Jahn 44 Jahre alt, heute ist sie 48. Für viele Berufstätige ist in diesem Alter eine berufliche Neuorientierung nicht mehr denkbar. Dabei schätze man, dass vier von fünf Menschen im Beruf unzufrieden sind, sagt Berufsberaterin Beate Westphal. Die meisten von Westphals Kunden kämen jedoch nicht aus der Verzweiflung heraus zu ihr, sondern weil sie abenteuerlustig und neugierig auf ihre verborgenen Talente seien. Sie und ihre Mitarbeiter haben in Westphals „Talentcafé“ in Berlin-Mitte bereits über tausend Kunden beraten.

Beate Westphal bezeichnet sich selbst als „Traumjobdetektivin“. Im Gespräch mit ihren Kunden versucht sie, deren Talente und Vorlieben herauszufinden und sich damit nach und nach dem Traumjob zu nähern. Vor jedem Jahreswechsel steigen die Anfragen. „An Weihnachten wollen die meisten das geklärt haben. Loslegen wollen sie dann im Januar – neues Jahr, neues Glück“, sagt Westphal. Sie habe auch häufig Geburtstagskinder in der Beratung. Das neue Lebensjahr ist für viele ein Anlass, die berufliche Situation zu überdenken. „Das berufliche Glück will immer gefüttert werden“, sagt die Traumjobdetektivin. Das muss nicht immer eine komplette Veränderung sein, aber irgendwann reicht das Gehalt nicht mehr oder ein neues Interesse oder eine neue Kompetenz drängen an die Oberfläche und sollen in den beruflichen Alltag integriert werden.

„Wie kannst du so einen gut bezahlten Job aufgeben?“ Diese Frage hörte Manuela Lüdtke-Jahn oft. Und ja: Sie war gut bezahlt und arbeitete in einer Führungsposition. „Ich war 25 Jahre lang mit Herz und Seele dabei.“ Doch auch Traumjobs ändern sich. Lüdtke-Jahn folgte ihrem Gefühl. Zunächst besuchte sie Beate Westphal im Talentcafé. Nach dem Termin stand fest: Sie wollte mehr mit Menschen zu tun haben, vielleicht in einer beratenden Tätigkeit. Lüdtke-Jahn begann, über Selbstständigkeit nachzudenken. Dann stieß ihr Mann auf einen Geschenkeladen zum Verkauf und musste an sie denken. „Meine Verwandten und Bekannten sagen oft, dass ich immer so tolle Geschenke finde“, sagt Lüdtke-Jahn. Im Sommer 2008 sah sie sich den Laden an und wusste: „Das ist es.“ Im Januar 2009 war sie Ladenbesitzerin.

Nicht immer müssen die Änderungen drastisch sein. Um herauszufinden, wo Wünsche und Unzufriedenheit liegen, hat Beate Westphal den Traumjob-TÜV erfunden. Er stellt die Frage nach den Talenten – mit welcher Tätigkeit hatte man zuletzt Spaß und gleichzeitig Erfolg? Westphal sagt: „Da muss man unterscheiden zwischen gut gemacht und gern gemacht. Das sieht man ja zum Beispiel bei ‚Deutschland sucht den Superstar‘.“

Doch auch im verqueren Traum von der Bühnenkarriere könne ein „sachdienlicher Hinweis“ liegen. Wer gerne auf der Bühne steht, möchte Aufmerksamkeit. Das ist ein wichtiger Punkt für den Traumjob-TÜV. Auch nach der erwünschten Umgebung wird gefragt, nach den Menschen, mit denen man zu tun haben möchte, nach der Gehaltsvorstellung.

Solange man sich seine Wünsche vor Augen führt, besteht auch eine Chance, im bisher ungeliebten Job noch glücklich zu werden. „Man kann sogar das Problem mit den gemeinen Kollegen verändern“, sagt Westphal. Wenn im Team ständig nur genörgelt wird, könne man gezielt anfangen, sich jeden Tag über etwas zu freuen, zum Beispiel über das gute Essen in der Kantine.

Stefan Nowack sieht die Unzufriedenheit häufig bei Akademikern. Nowack ist Projektleiter beim Verein „Arbeit und Bildung e.V.“ und freiberuflicher Berufsberater. Zu ihm kommen häufig Menschen, die sich vor dem Studium keine Gedanken über die berufliche Perspektive gemacht haben. „Sie stoßen dann auf berufliche Realitäten, mit denen sie nie gerechnet hätten.“ Das betrifft oft Geisteswissenschaftler, Juristen, Musiker und Architekten. Ein Architekt, Mitte 30, erzählte Nowack, er bringe anderen gerne etwas bei. Heute arbeitet er als Berufsschullehrer.

Nowack rät meist dazu, die bisherige Qualifikation als Grundlage für die Umorientierung zu nehmen. „Bis zum 30. Lebensjahr ist eine berufliche Neuorientierung möglich, aber nicht ohne Risiko“, sagt Nowack. Bei der Selbstständigkeit könne das anders sein, sie habe häufig mit Inspiration zu tun. Oft lägen schon bestimmte Kompetenzen und eine gewisse Professionalität vor. Wenn nicht, rät Nowack davon ab. Zum Beispiel bei einem Kunden, der einen Mülltransport organisieren wollte, sich aber nicht mit Gesetz und Grundlage der Müllentsorgung beschäftigt hatte.

Bestimmte Interessen und Kompetenzen, die nach Ausdruck verlangen, müssen jedoch nicht immer zu einer beruflichen Umorientierung führen. Beate Westphal rät ihren Kunden oft dazu, sie in der Freizeit oder im Ehrenamt auszuleben. „Ein Veganer muss ja nicht gleich Ernährungsberater werden. Er kann ja weiter, zum Beispiel in der Bank, arbeiten und sich nebenbei in einem Verein für vegane Ernährung engagieren“, sagt Westphal.

Auch eine nebenberufliche Tätigkeit ist denkbar. „Das Jobpatchwork ist interessant, da habe ich ein Standbein und ein Spielbein“, sagt Westphal. Die Traumjobdetektivin ist selbst das beste Beispiel für die erfolgreiche Traumjobsuche. Beate Westphal finanziert ihre Berufsberatung quer, und zwar durch ihre Keksbäckerei. Sie verkauft die hochwertigen und nicht ganz billigen Backwaren an Manager, die die Kekse auf ihren Konferenztischen platzieren. „Es ist toll, neben der Traumjobsuche auch mit meinen Händen etwas zu schaffen“, sagt Westphal. Dafür hat sie extra Backen gelernt.

Auch Manuela Lüdtke-Jahn hat bei ihrer Traumjobsuche verborgene Talente in sich aufgespürt. In der Geschenkverpackung sei sie richtig kreativ geworden – „ich habe gar nicht gewusst, dass das in mir steckt.“ Ihren Geschenkeladen möchte sie am liebsten noch bis zur Rente betreiben. Vielleicht schreibt sie auch ein Buch über ihre Erfahrungen in der Selbstständigkeit. Die Buchautorin wäre also ein weiteres Kapitel.

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