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Wirtschaft: Die Schweiz besitzt "viel mehr Gold als nötig"

ZÜRICH .Die Schweiz wird bald für den größten Teil ihres Goldbesitzes währungspolitisch keine Verwendung mehr haben, wenn die Goldbindung des Frankens aufgehoben wird.

ZÜRICH .Die Schweiz wird bald für den größten Teil ihres Goldbesitzes währungspolitisch keine Verwendung mehr haben, wenn die Goldbindung des Frankens aufgehoben wird.Der Notenumlauf muß nach der Verfassung noch bis zu 25 Prozent durch Gold gedeckt sein.Die Regierung in Bern hatte 1992 dem Internationalen Währungsfonds (IWF) versprechen müssen, die Goldbindung zu lösen, als die Schweiz dem IWF beitrat.Dessen Statuten schließen eine Koppelung der Währungen der Mitgliedsländer an das Edelmetall aus.Die Freigabe des Goldes wird zur Zeit beraten und ist in einer umfassenden Novellierung der Notenbankverfassung vorgesehen.

Das kleine Land im Zentrum Europas hatte mit einem starken Franken als Fluchtburg der Stabilität und Sicherheit in den vergangenen Jahrzehnten eine Menge Devisen und Gold aufhäufen können.In einem Gespräch mit dem Handelsblatt bezifferte Hans Meyer, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, die Goldreserven der Notenbank auf 2600 Tonnen, die einem aktuellen Marktwert von 34 Mrd.Franken entsprechen.Die Devisenreserven belaufen sich auf 45 Mrd.Franken."Die Schweiz besitzt weit mehr Reserven, als wir benötigen," sagte Meyer.Man könne sie nicht ins Uferlose wachsen lassen.1990 vereinbarte die Nationalbank mit der Regierung, die freien Devisenreserven nur noch im Ausmaß des Sozialprodukts zu erhöhen.

Der Goldbesitz entspricht dem Deutschlands oder Frankreichs.Gemessen an der Größe der Länder, ist er zehnmal höher als in der Bundesrepublik, versicherte Meyer.Nach Ansicht der Notenbank reichen 1300 Tonnen als Reserve völlig aus.Was mit dem Gold geschehen soll, ist laut Meyer noch völlig offen."Wir werden natürlich bei einem eventuellen Verkauf auf den Goldmarkt Rücksicht nehmen, allein schon aus eigenem Interesse." Man wolle mit Verkäufen nicht einen Preisverfall auslösen.

Meyer, seit Mai 1996 an der Spitze der Nationalbank mit Sitz in Bern und Zürich, zeigt sich beeindruckt vom guten Start des Euros.Zum Franken hält sich die neue europäische Währung seit dem Start des Euros recht stabil.Währungsstabilität braucht die Schweiz wegen der starken wirtschaftlichen Verflechtung mit den Euroländern auch dringend.Gestört werden könnte die Beziehung, wenn der Euro nachhaltig geschwächt und der Schweizer Franken erneut zur Fluchtwährung wird."Wir hoffen deshalb, daß Europa das eigene Haus in Ordnung hält, damit das nicht geschieht.Umgekehrt müssen wir dasselbe tun", sagte Meyer.

Ob der Euro auf Dauer stark sei, müsse man sehen, sagt der Schweizer vorsichtig.Skepsis klingt durch: "Wir brauchen eine nachhaltige Konvergenz.Jedes Land muß Disziplin üben." Das sei in erster Linie ein gesellschaftliches Problem.Die Unabhängigkeit der Notenbank sei wichtig, aber man dürfe die Möglichkeiten einer autonomen Geldpolitik nicht überschätzen.

Eine starke Aufwertung des Franken wollen die Währungsbehörden nicht hinnehmen.Meyer ist bereit, mit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik dagegen zu halten, die Liquidität des Bankensystems auszuweiten und die ohnehin niedrigen Zinsen zu senken.Inflationäre Folgen werden von einer solchen Geldvermehrung nicht erwartet.Im Land herrscht praktisch Preisstabilität.

Die Nationalbank hatte sich schon mit ähnlichen Mitteln der Geldausweitung und - Verbilligung 1998 einer Franken-Aufwertung entgegengestemmt, als Anleger ihre Gelder aus den Krisenregionen Asiens und Lateinamerikas abzogen und in sicheren Währungen investierten.Mit dem Euro hatte diese "Flucht in die Qualität" nichts zu tun, sie trug aber maßgeblich dazu bei, daß die Kapitalmarktzinsen in Europa auf Nachkriegstiefs sinken konnten."Wenn der Euro sich positiv entwickelt, werden wir in Europa alle davon profitieren, auch wir hier in der Schweiz," hofft der Nationalbankchef.Dann dürften sich auch die Bürger eher für den Euro und einen Beitritt zur Europäischen Union erwärmen.Nach Meyers Ansicht verhalten sich die Schweizer immer noch "sehr ambivalent" zur EU.Seit 1992, als sie sich mit knapper Mehrheit gegen einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) aussprachen, habe sich nicht viel verändert.Nach gerade erst fünf Wochen Erfahrung mit dem Euro sei es für eine Prognose viel zu früh, man könne vielleicht in drei Jahren eine Zwischenbilanz ziehen.In drei Jahren gibt es den Euro auch ganz greifbar als Noten und Münzen.Wird man dann im Schweizer Urlaub mit Euronoten zahlen können? Meyer hält dies für möglich, ist aber skeptisch, ob die europäische Valuta sich zu einer echten Parallelwährung neben dem Franken etablieren wird und Konsumenten und Sparer die fremde Währung halten wollen.Sicher ist, daß große Konzerne den Euro als Recheneinheit verwenden.Vom Euro umgeben, wird der geldpolitische Manövrierraum der Nationalbank weiter eingeengt, aber nicht beseitigt."Ganz autonom waren wir sowieso niemals," versichert der 62jährige Währungsexperte, der nach Wirtschaftsstudium und Promotion sein ganzes berufliches Leben in der Nationalbank verbracht hat."Die Lage hat sich mit dem Euro für mich nur graduell verändert."

Sollte die Europäische Zentralbank, wie viele Experten erwarten, in den kommenden Monaten ihren Leitzins von jetzt drei Prozent senken, verringert sich die Spanne zu den schweizerischen Geldmarktzinsen (Dreimonatssätze bei 1,13 Prozent, Diskontsatz ein Prozent).Dies könnte eine Frankenaufwertung zur Folge haben.Im letzten Jahr hatte die Nationalbank in ähnlichem Umfeld die Zinssätze unter den Diskontsatz fallen lassen, um den Kursanstieg zu bremsen.

Meyer räumt ein, daß der traditionelle schweizerische Zinsvorsprung schrumpfen könnte, wenn der Euro stabil bleibt.Der Wirtschaft ginge dann eine günstige Refinanzierung und damit ein Wettbewerbsvorsprung verloren.Die Nationalbank verfolgt konzeptionell - wie die Bundesbank und die Europäische Zentralbank - eine Geldmengensteuerung.

Dieser "pragmatische Ansatz" spiegelt ziemlich gut die Art und Weise wieder, wie neuerdings auch die EZB Geldpolitik macht.Dazu gehört seit letztem April auch eine neue Art der Versorgung der Banken mit Zentralbankgeld durch Wertpapier-Pensionsgeschäfte, die auch für die EZB der wichtigste Kanal für die Versorgung der Banken mit Euro ist.Meyer räumt ein, daß eine an vielen Daten orientierte Geldpolitik Verwirrung stiften kann.Er spricht von einer Gratwanderung."Wenn der Grat schwierig wird, muß man dies kommunizieren." Die Notenbank dürfe nicht den Eindruck erwecken, sie suche hilflos den Weg.

Die Krisen Asiens und Lateinamerikas decken nach seiner Ansicht erhebliche Defizite zwischen wirtschaftlichen Ambitionen und gesellschaftlicher Realität auf.Man habe in den Regionen die Notwendigkeit eines Gleichgewichts der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung unterschätzt.Meyer hält wenig davon, mit dem Finger auf den IWF zu zeigen."Man schlägt den Sack und meint den Esel." Die Verantwortung liege bei den einzelnen Ländern, nicht beim IWF.

WERNER BENKHOFF, HEINZ-EGON FEISLACHEN (HB)

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