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Die Suche nach dem Gleichgewicht: Jeder Dritte ist nicht zufrieden mit seinem Job

"Gute Arbeit" lautet die Losung der Gewerkschaften zum 1. Mai in diesem Jahr. Vor einem Jahrhundert wären sie mit dieser Forderung wohl ans Fließband einer Fabrik geführt worden. Eine solche zerkleinerte, mechanische Arbeitsweise werde dem Menschen am besten gerecht, nahmen Arbeitswissenschaftler damals an. Heute setzt man auf Selbstverwirklichung.

Inhalte und Sinnhaftigkeit ihres Tuns gaben Deutsche in einer Befragung des Geva Instituts in München als Quellen ihrer Arbeitszufriedenheit an, neben Gehalt, Betriebsklima und Verhältnis zu Kollegen. Möglichst viel Mitbestimmung fordern Psychologen, sie haben herausgefunden, dass selbst eine hohe Arbeitsintensität nicht zu Stress führen muss – falls Entscheidungsspielraum besteht. Das passt dazu, wie man sich den Menschen heute vorstellt, als ein auf Autonomie bedachtes Wesen.

Im Taylorismus am Ende des 19. Jahrhunderts – so benannt nach dem Ingenieur Frederick Taylor – dagegen glaubte man, die Menschen seien nur an Geld interessiert und grundsätzlich verantwortungsscheu. Ihren Aktionsradius hielt man deshalb, wie am Fließband, möglichst klein. Eine neue Vorstellung formte sich in den 20er Jahren eher zufällig: Steigert Licht die Leistung, lautete die Frage der Untersuchung in den Hawthorne-Werken in Illinois. Dem war so, jedoch hielt der Effekt an, als die Beleuchtung wieder zurückgenommen wurde. Also musste es am Versuchsleiter liegen. Offenbar motivierten seine Anwesenheit und Fragen die Arbeiter. Damit war der Mensch als soziales Wesen, interessiert an Interaktion, entdeckt. Der Psychologe Abraham Maslow ging noch weiter und benannte Selbstverwirklichung als oberstes Ziel des Menschen, auch in der Erwerbsarbeit.

Inzwischen spricht die Arbeitsforschung etwas hilflos vom „komplexen Menschen“: Die Lebensformen sind zersplittert, ein einheitliches Menschenbild gibt es nicht mehr. Arbeitszufriedenheit, so sagt man heute, ist eine Frage des Gleichgewichts: die Anforderungen der Tätigkeit und die Ressourcen des einzelnen müssen zueinanderpassen. Bei rund einem Drittel der deutschen Arbeitnehmer scheint das nicht so zu sein. Sie sind unzufrieden oder zumindest desinteressiert, ergab eine Studie im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums. Dafür machen Soziologen auch die zunehmende Unsicherheit verantwortlich. Richard Sennett beschreibt in seinem Buch „Der flexible Mensch“, wie schwer es falle, ein Identitätsgefühl zu entwickeln, wenn man sich durch Brüche in der Arbeitsbiographie ständig neu erfinden müsse. Jeder dritte Deutsche glaubt nicht, dass ihm sein Job sicher ist. Inzwischen weisen Psychologen wieder vermehrt daraufhin, wie wichtig Identifikation mit dem Unternehmen, Anerkennung durch Vorgesetzte, eine gewisse Routine und Sicherheit sind.

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