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Wirtschaft: „Die VW-Affäre trifft auch die IG Metall“

Gewerkschaftsvize Berthold Huber über das System Volkswagen, die Gefährdung der Mitbestimmung und Druck durch die Union

Herr Huber, wie sehr trifft die VWAffäre die IG Metall?

Volkswagen und mögliche Verfehlungen sind eine willkommene Gelegenheit für einige Leute, um die Mitbestimmung, die Beteiligung der Arbeitnehmer, kaputtreden zu wollen. Insofern trifft die Affäre auch die IG Metall.

Ist das System VW, die Kumpanei zwischen Betriebsrat, IG Metall und Unternehmen, nun erledigt?

Sie unterstellen Kumpanei, wo über Jahrzehnte hinweg eine Zusammenarbeit von Management und Belegschaft gewachsen ist und hervorragende Unternehmensergebnisse möglich gemacht hat. Wir haben bei Volkswagen eine besondere Situation: Volkswagen wurde von den Nazis aufgebaut – übrigens mit Vermögen, das sie zuvor vom Metallarbeiterbund enteignet hatten. Nach dem Krieg war das Unternehmen lange in staatlicher Hand, daher ist auch heute noch das Land Niedersachsen maßgeblich beteiligt. Alles in allem haben sich im Verlauf der Jahrzehnte bestimmte Formen der Zusammenarbeit ergeben, die sich von anderen Unternehmen unterscheiden.

Und das soll so bleiben?

Wir können doch nicht wegen der Verfehlungen Einzelner sagen, dass VW in den letzten 50 Jahren nicht erfolgreich war. Im Gegenteil: Ich kann nur wiederholen, dass VW mit dieser Art der Zusammenarbeit überaus erfolgreich war.

Betriebsräte fliegen mit Gattinnen auf Kosten des Unternehmens durch die Welt. Ist das in Ordnung?

Ob das sich so abgespielt hat, muss erst noch zweifelsfrei festgestellt werden. Was aus welchen Gründen bei Volkswagen passiert ist, kann ich nicht beurteilen. Aber ich kann Ihnen Folgendes sagen: Ich war zehn Jahre Betriebsrat und habe keine Reisen oder Ähnliches finanziert bekommen. Die überwältigende Mehrheit von über 60 000 Betriebsräten, die in der IG Metall sind, wird jetzt von Verfehlungen, so sie denn stattgefunden haben, in Misskredit gebracht. Das ist nicht in Ordnung.

VW ist aber eines der größten und wichtigsten Unternehmen des Landes, in dem fast jeder Beschäftigte der IG Metall angehört.

Es gibt auch noch Siemens, Daimler und viele andere. Dort sind solche Verknüpfungen nicht bekannt. Auch deswegen ist es nicht legitim, über einzelne, möglicherweise historisch gewachsene Dinge in Wolfsburg das gesamte Mitbestimmungssystem in die Pfanne zu hauen.

Außer dem FDP-Politiker Brüderle tut das auch niemand.

Brüderle steht mit seinen Angriffen auf die Mitbestimmung nicht allein. So ist zum Beispiel die Absicht des niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff eindeutig erkennbar, er will die Mitbestimmung anschießen. Die Affäre wird zum Vorwand genommen, um die Mitbestimmung in Frage zu stellen.

Der erste Vorsitzende der IG Metall ist stellvertretender Vorsitzender des VW-Aufsichtsrats. Kann es sein, dass der Aufsichtsrat und die Aufsichtsratsspitze von den Vorgängen nichts wussten?

Ja, das kann durchaus ein, weil es nicht die Sache des Aufsichtsrates ist, Reisekostenabrechnungen zu überprüfen.

Obwohl doch ein Teil der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat, nämlich die Betriebsräte, womöglich an den so genannten Lust- und Luxusreisen teilgenommen hat?

Das sind Spekulationen, an denen ich mich nicht beteiligen möchte. Ich rate dringend dazu, die Ergebnisse der Untersuchungen abzuwarten.

Ist es möglich, dass das Verhalten des zurückgetretenen VW-Betriebratschefs Klaus Volkert, der ja auch im IG-Metall-Vorstand sitzt, der IG-Metall-Führung nicht bekannt war?

Das Verhalten des bisherigen Betriebsratsvorsitzenden kann man erst dann bewerten, wenn die Ergebnisse der inneren Revision und Wirtschaftsprüfung vorliegen. Ich gehe davon aus, dass der Nachfolger von Klaus Volkert im Amt des Betriebsratschefs auch dessen Nachfolge im IG-Metall-Vorstand antritt. Im Übrigen: Soll ich die Betriebsräte fragen, wann sie zuletzt auf Reisen waren und ob sie die Ehefrau dabei hatten?

Vielleicht sollten Sie das fragen, weil die Affäre ausstrahlt auf die IG Metall, auf das Image von Betriebsräten und der Mitbestimmung.

Darüber mache ich mir sehr wohl Sorgen. Doch niemand kann erwarten, dass wir als Kriminalkommissare auftreten. Es gibt auch noch Vertrauen. Und ich habe Vertrauen zu unseren 60 000 Betriebsräten. Diese Betriebsräte haben eine enorme Verantwortung für Beschäftigung, für reibungslose Abläufe und ein produktives Betriebsklima. Und sie werden dieser Verantwortung gerecht.

Auf die Betriebsräte kommt noch mehr Arbeit zu, wenn eine unionsgeführte Regierung die Einrichtung von betrieblichen Bündnissen erleichtert. Wie stellt sich die IG Metall darauf ein?

Ich glaube, dass die meisten Menschen noch gar nicht begriffen haben, was die Union plant. Im Kern geht es darum, dass von Tarifnormen abgewichen werden kann, wenn es der Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen dient. Wir machen seit Jahren die Erfahrung, dass damit Belegschaften schlicht erpresst werden. Bislang gibt es noch einen Schutz, weil die Tarifvertragsparteien, also auch die Gewerkschaft, der Abweichung von tariflichen Normen zustimmen müssen. Die Union will diesen Schutz einreißen. Sie kann sich aber sicher sein, dass wir gegen diese Pläne in den Betrieben und der Öffentlichkeit mobilisieren werden.

Warum sollen Belegschaften sich nicht für längere Arbeitszeiten oder weniger Weihnachtsgeld entscheiden dürfen, wenn dadurch die Arbeitsplätze gesichert werden?

Geld oder Arbeitsplatz – mit dieser Drohung wird die Belegschaft unter Druck gesetzt. Die Union will diese Erpressung legalisieren. Dass dann womöglich viele Belegschaften nachgeben, weil wegen der Massenarbeitslosigkeit sehr viele Beschäftigte Angst haben, wäre leider nur allzu verständlich. In der Folge bekommen wir aber ein anderes System, eine neue Qualität von Unterbietungskonkurrenz von Betrieb zu Betrieb.

Warum lässt sich eine Belegschaft leichter erpressen als eine Gewerkschaft?

Die Gewerkschaft schaut, inwieweit andere Firmen, die in derselben Branche tätig sind, von einer Tarifabweichung betroffen wären. Eine Gewerkschaft ist unabhängig vom einzelnen Unternehmen, und man kann sie nicht entlassen. Die Gewerkschaft hat also eine Schutz- und eine Entlastungsfunktion.

Trotzdem macht die IG Metall mit, wenn es um mehr Spielräume für betriebliche Entscheidungen geht.

Die Tarifpolitik rückt zweifellos stärker an den Betrieb ran. Ich bin Verfechter eines Systems, das den Flächentarif als Basis hat, aber gleichzeitig über Ergänzungsmöglichkeiten verfügt. Also ein Tarifvertrag mit Atmungsmöglichkeiten für den Betrieb und die Beschäftigten.

Die IG Metall entdeckt die Dezentralisierung.

Die haben wir schon vor Jahren entdeckt. Es gibt in einer Branche ganz unterschiedliche Betriebssituationen. In der Autoindustrie etwa geht es Opel seit Jahren nicht gut, Porsche aber bestens. Die Unterschiede berücksichtigen wir in der Tarifpolitik. Der Tarifvertrag muss Flexibilität nach oben und unten haben. Und er muss die Menschen vor Erpressung schützen.

Das ist die betriebliche Ebene. Was steht im Mittelpunkt der nächsten Tarifrunde?

Es gibt verschiedene Themen. Beispielsweise wollen wir eine Umwidmung der vermögenswirksamen Leistungen für die Altersvorsorge und eine Vereinbarung über zusätzliche Ausbildungsplätze. Beides lehnen die Arbeitgeber bislang ab, sie wollen keine verbindliche Verabredung. Ähnlich schwierig ist es, die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens verbindlich im Tarifvertrag zu regeln. Das ist bedauerlich, denn wir brauchen ein besseres System der Ausbildung und Weiterbildung. Aber alle diese Punkte treten in den Hintergrund, wenn sich die Bedingungen der Tarifpolitik durch die Umsetzung der CDU/FDP-Pläne verändern und wir darauf reagieren müssen.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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