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Bunte Arbeitswelt. Unter 130 Ausbildungsberufen im Handwerk können sich Abiturienten entscheiden. Foto: Fotolia/Andrey Popov

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Wirtschaft: Die Wahl

In Deutschland wird gerade über den „Akademisierungswahn“ diskutiert. Das kommt dem Handwerk gerade recht. Es ist auf der Suche nach Azubis – und bietet Abiturienten durchaus gute Karrierechancen.

Hätte sich Lars Winter vor vier Jahren anders entschieden, säße er vielleicht an diesem Vormittag in einem Hörsaal. Vorn würde ein Professor reden und in den letzten Reihen die Studenten tuscheln. Lars Winter trüge keinen Blaumann und seine Hände wären sauber, nicht so schwarz wie jetzt. Doch Winter beschloss, nicht an die Uni zu gehen, sondern eine Ausbildung zu machen, zum Elektroniker für Maschinen- und Antriebstechnik. Heute arbeitet der 27-Jährige als Geselle in seinem Lehrbetrieb.

Seit der Philosoph und Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Julian Nida-Rümelin, in einem Interview Anfang September von einem „Akademisierungswahn“ in Deutschland sprach, der gestoppt werden solle, sind Menschen wie Lars Winter in den Mittelpunkt gerückt. Menschen, die trotz Abitur nicht den akademischen Weg einschlagen, sondern eine Lehre machen.

Schaut man sich die Zahlen der Auszubildenden im Handwerk an, wird deutlich, dass Lars Winter zu einer Minderheit gehört. Im vergangenen Jahr hatte jeder Zweite der angehenden Lehrlinge einen Hauptschulabschluss (50,1 Prozent), jeder Dritte verfügte über den Realschulabschluss (36,6 Prozent). 3,9 Prozent der Auszubildenden im Handwerk hatte gar keinen Abschluss – und nur knapp jeder zehnte (9 Prozent) das Abitur. Die Berufsausbildung hat ein Imageproblem.

Früher galt ein Handwerk als solider Beruf: Dachdecker, Elektroniker oder Bäcker, die mit ihren Händen Werte schaffen. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett, der 2008 das Buch „The Craftsman“ (Der Handwerker) veröffentlichte, stellt das Handwerk als kulturelle Grundlage der Gesellschaft dar. In einem Fernsehinterview kritisierte er kürzlich, dass das Gleichgewicht ins Wanken geraten sei und es heutzutage zu viele „Kopfarbeiter“ gebe, zu viele Akademiker in den Hörsälen und Elfenbeintürmen.

Und die Zahlen sprechen dafür, dass es bald noch mehr werden. In Deutschland liegt die Abiturientenquote bei mehr als 30 Prozent eines Jahrgangs, Tendenz steigend. Und die Mehrheit der Abiturienten wollen nicht Tischler oder Kfz-Mechaniker werden, sie wollen studieren. Darin sieht Nida-Rümelin ein Problem, die „einzigartige Qualität des deutschen Bildungssystems“ hält er für bedroht. Er fordert, dass „hochwertige Berufsausbildungen“ weiter im dualen System erfolgen müssten. Das heißt: Nicht jeder, der studienberechtigt ist, sollte auch studieren. Die berufliche Lehre, für die sich auch Lars Winter entschieden hat, hält er für eine gute Alternative.

Lars Winter ist heute Geselle. Auch in seinem Jahrgang seien die meisten Mitschüler an die Uni gegangen. Kein Wunder, die Lehrer in der Oberstufe hätten immer nur vom Studium gesprochen, das Handwerk oder andere berufliche Ausbildungen seien nie thematisiert worden. Viele haben sich trotz schlechten Abis für die Uni entschieden. Auch er selbst wollte studieren, Maschinenbau, weil er Physik schon immer mochte. Und auch er selbst hatte keine besonders gute Note. Mit 3,3 hätte er einige Semester auf einen Studienplatz warten müssen. Deshalb ging er erst einmal zur Bundeswehr. 15 Monate Grundwehrdienst, 15 Monate Zeit zum Nachdenken.

Mit Abitur eine Lehre zu beginnen, hat durchaus Vorteile. Die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt sind gut. Die Betriebe klagen über Nachwuchsmangel. Mit dem besseren Schulabschluss stehen Abiturienten im Vergleich zu ihren Mitbewerbern gut da. Zudem ist die handwerkliche Ausbildung in den vergangenen Jahren zunehmend anspruchsvoller geworden. „Die Abiturienten sind da sehr wichtig“, sagt Barbara Gantenbein vom Verein Initiative Handwerk Berlin/Brandenburg.

Abiturienten haben meist auch die Möglichkeit, die Ausbildungszeit zu verkürzen. Für diejenigen, die bei Beginn der Berufsausbildung älter als 21 Jahre sind, besteht keine Berufsschulpflicht. Allerdings muss der Besuch mit dem auszubildenden Betrieb abgestimmt werden. Wer nach der Lehre doch noch studieren möchte, kann sich zusätzliche Wartesemester anrechnen lassen und spart sich, je nach Studiengang, Praktika.

Lars Winter hat seine Ausbildung bei Menzel Elektromotoren gemacht, einem Familienbetrieb in Berlin-Moabit. Hinter Klinkerbaufassaden liegen die Werkstätten. Winter steht seit sieben Uhr morgens in der Dreherei, in einen Gleichstrommotor muss er eine neue Buchse einsetzen. Die Schutzbrille hat er sich in die Haare geschoben. „Ich glaube, dass die Entscheidung – ob Studium oder Lehre – auch viel mit dem Elternhaus zu tun hat“, sagt er. Seine Eltern haben beide in der ehemaligen DDR Elektrotechnik studiert. „Bei ihnen war das Ausbildung und Studium in einem“, erklärt er. Die Eltern schätzen das Handwerk und rieten ihren beiden Söhnen „Macht das, was euch Spaß macht!“ Beide entschieden sich für eine handwerkliche Ausbildung.

Das Elternhaus sei entscheidend für die Entscheidung Studium oder Lehre, meint auch Barbara Gantenbein von der Initiative Handwerk. Besonders die Eltern wollten oft unbedingt, dass ihr Kind studiere. Viele Eltern würden die Vorteile nicht sehen, unterschätzten, dass das Lehrgeld schon früh eine größere Unabhängigkeit ermögliche als ein Studium. Und dass man nach der Ausbildung gut verdiene.

Das kann der Geschäftsführer von Menzel Elektromotoren, Mathis Menzel, bestätigen. „Für das Geld, das die meisten Architekten nach dem Studium verdienen, würde kein Geselle bei uns zur Arbeit kommen“, sagt Menzel. Ein Lehrling im ersten Ausbildungsjahr erhält in dem Unternehmen 840 Euro brutto. Das Einstiegsgehalt eines Gesellen liegt bei rund 2600 Euro brutto.

Jahrelang galt ein Studium als Garant für finanzielle Sicherheit: An der Uni gewesen zu sein, das war schon was. Inzwischen hat sich vieles verändert: die Qualität der Ausbildung an den Universitäten, der Arbeitsmarkt. Stephan Schwarz, Präsident der Handwerkskammer Berlin, sagt: „Heute ist ein Studium nicht mehr unbedingt gleichbedeutend mit sozialem Aufstieg oder gutem Einkommen.“ Einem ausgelernten Elektroniker gehe es finanziell oft besser als schlecht bezahlten Archäologen, Politologen oder Theaterwissenschaftlern. Wer den Meisterbrief erwirbt, muss, wie die Hochschulabgänger, kaum befürchten, keine Stelle zu finden. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zeigt, dass die Arbeitslosenquote der Meister und Techniker im Jahr 2010 sogar geringfügig niedriger war als die der Akademiker – die bundesweit unter drei Prozent liegt.

Lars Winter ist nach der Lehre direkt übernommen worden. Seine Zukunft im Blaumann sieht gut aus: Einer Prognose des Bundesinstituts für Berufsbildung zufolge werden 2030 in Deutschland mehr als eine Million Fachkräfte mit Berufsausbildung fehlen.

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