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Wirtschaft: Die Wanderarbeiter

Immer mehr Chinesen zieht es nach Europa – das hat spürbaren Einfluss auf die Wirtschaft

Von David Murphy Inmitten grüner Wiesen in einer Vorstadt von Budapest zeugt ein gewaltiges Monument von den zunehmenden Geschäftsambitionen der Chinesen. Das neue Asia Centre, eine mehrgeschossige Glas und Stahlkonstruktion, beherbergt 850 Geschäfte, die asiatische – vor allem chinesische – Produkte anbieten. In dem 200 Millionen Euro teuren Bauwerk sollen die Tausenden chinesischen Händler in Budapest unter einem Dach vereint werden. „Wir wollen eine Plattform für chinesische Produkte in der EU bieten“, sagt Manager Szabolcs Kapas.

Aber das Asia Centre ist mehr als ein gigantisches Einkaufszentrum. Es gibt den Zehntausenden chinesischen Immigranten, die in Ungarn und anderen Teilen Europas gelandet sind, ein Gefühl von Dauerhaftigkeit. Ihre scharenweise Ankunft seit Anfang der 90er-Jahre ist die menschliche Manifestation Chinas wachsender diplomatischer und ökonomischer Schlagkraft, seinen zunehmenden internationalen Bindungen und auch der gelockerten Reisebestimmungen für das eigene Volk. Immer mehr Chinesen arbeiten, studieren oder reisen in immer mehr europäischen Ländern. So bevölkern jetzt chinesische Jugendliche die Pubs von Dublin, chinesische Touristen die Pyramiden in Kairo und chinesische Prostituierte die Rotlichtviertel in Tokio.

Nach 30 Jahren kommunistischer Isolation begann die erste Ausreisewelle zu Beginn der 80er-Jahre, damals vornehmlich in klassische Einwanderungsländer wie Nordamerika. Aber auch Europa hat zuletzt einen dramatischen Zuwachs an chinesischen Einwanderern verzeichnet.

2003 berichtete die Internationale Organisation für Migration in Genf, dass sich im vergangenen Jahrzehnt die Zahl der chinesischen Immigranten in Spanien auf 36000 versechsfachte. Im gleichen Zeitraum wuchs in Italien die chinesische Bevölkerung um das Dreifache auf 50000, in Irland in weniger als zehn Jahren von fast Null auf 40000 – mehr als ein Prozent der Bevölkerung. In Ungarn leben jetzt fast 30000 Chinesen, in Deutschland 75000, in Frankreich 42000.

Für China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen sind diese Zahlen ein Klacks, aber auf die Einwanderungsländer haben sie eine spürbare Wirkung. In Irland zum Beispiel sind die meisten Chinesen mit Arbeits- und Studentenvisa eingereist, aber sie scheinen vor allem zu arbeiten. In Bars, Geschäften und Tankstellen haben sie die Iren ersetzt, die in Irlands ökonomischem Aufschwung besser bezahlte Stellen angenommen haben. In dem kleinen Land, wo die Einwanderungsbestimmungen noch geformt werden, „hält man die Chinesen für Leute, die kommen und hart arbeiten“, sagt Mary Harney, stellvertretende Premierministerin Irlands. Dieses Jahr gab es erstmals ein offizielles chinesisches Neujahrsfest in Dublin.

Die Geschichte zeigt, dass die Immigranten den ökonomischen Verbindungen zwischen ihrer alten und neuen Heimat Auftrieb geben. Auch der jüngste Zustrom aus dem Reich der Mitte hat die chinesisch-europäischen Handelsbeziehungen gefördert. Der Handel zwischen Irland und China habe sich seit dem Jahr 2000 mit 2,8 Milliarden Euro mehr als verdoppelt, sagt Alan Hobbs, Pekinger Repräsentant von Enterprise Ireland. Im Jahr 2000 belegte China auf der Liste der ungarischen Handelspartner den 14. Platz; im letzten Jahr war es Platz sechs.

Die heutigen chinesischen Einwanderer sind echte Weltbürger, die radikal mit der Tradition gebrochen haben, in der das Leben durch Staat, Arbeitsstelle und Familie organisiert wurde. Sie sind unabhängig, technikbegeistert und flexibel. Einige scheinen Europa schneller als die Europäer als grenzenlose Einheit begriffen zu haben. So hat der 27-jährige Huang Kai aus der Provinz Fujian zuerst in Zypern Englisch studiert und ging dann nach Budapest, wo er chinesische Schuhe verkauft. Wenn das Geschäft wegen der Konkurrenz durch das neue Asia Centre zurückgehen sollte, sagt er, geht er vielleicht nach Spanien oder Italien.

Die Folgen der Auswanderungswelle wird man auch in der alten Heimat spüren. Dort haben die meisten Führungskräfte in Industrie und Wirtschaft in den 90er-Jahren im Ausland studiert und gearbeitet. „Diese Veränderungen werden ebenso wichtig sein wie die Veränderungen im Banken- und Steuersystem, denen so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird“, sagt Huang Ping von der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. „In Zukunft wird eine Öffnungspolitik nicht mehr vonnöten sein. China ist dann bereits offen.“

Übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Vasella), Sonja Weidenfeld (China), Tina Specht (USA) und Matthias Petermann (Europa).

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