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Wirtschaft: Die Zeugen der Anklage

... sind in den USA mitunter die früheren Anwälte der Angeklagten. Der Fall des Starbankers Quattrone könnte Schule machen

Von Laurie P. Cohen

und Randall Smith

Der Prozess gegen den ehemaligen Starbanker Frank Quattrone begann wie alle Geschworenen-Prozesse in den USA: mit der Frage des Bundesrichters an die Geschworenen, ob sie in der Lage seien, unbefangen zu urteilen. Nachdem Richter Richard Owen den Fall vorgetragen und die Geschworenen intensiv befragt hatte, schieden schließlich 14 Kandidaten aus. Sie seien angesichts der vielen Wirtschaftsskandale der vergangenen Monate nicht mehr unbefangen.

Quattrone wird vorgeworfen, als Mitarbeiter der Investmentbank Credit Suisse First Boston (CSFB) Beweismittel vernichtet und Zeugen beeinflusst zu haben. Als Leiter des Technologieteams der Bank brachte er junge, vielversprechende Technologiefirmen an die Börse – ein Bereich, in dem viele Anleger in den vergangenen Jahren eine Menge Geld verloren haben.

Unter den übriggebliebenen Geschworenen sind ein Hedge-Fund-Vorstandsassistent, ein Mitarbeiter der US-Notenbank, ein Sprachtherapeut, ein Grafik-Designer, ein Bankangestellter, ein arbeitsloser Reisebürokaufmann, der Besitzer eines Dekikatessengeschäftes, ein Sozialarbeiter, eine Krankenschwester und schließlich der Mitarbeiter eines Pfadfindervereins für Mädchen.

Nicht nur für das Problem, tatsächlich unbefangene Geschworene zu finden, ist der Quattrone-Prozess beispielhaft. Er könnte auch sehr weit reichende und grundsätzliche Folgen für den Umgang von Rechtsanwälten und Mitarbeitern großer Konzerne haben. Als Hauptzeuge der Staatsanwaltschaft nämlich ist David Brodsky geladen. Der Mann ist Rechtsanwalt und war früher bei der Credit Suisse First Boston angestellt.

Er wird wahrscheinlich aussagen, dass er Quattrone vor den Untersuchungen der US-Börsenaufsicht SEC und der Bundesstaatsanwaltschaft gewarnt hat und zwar mehrere Monate, bevor Quattrone jene E-Mail an seine Kollegen abschickte, die ihn jetzt vor Gericht bringt. In einer E-Mail vom 5. Dezember 2000 – die nun zentrales Beweisstück im Prozess ist – wies Quattrone seine Untergebenen an, ermittlungsrelevante Dokumente zu beseitigen.

Mitarbeiter von Kapitalgesellschaften, die bisher davon ausgehen konnten, dass ihre Gespräche mit Rechtsanwälten vertraulich blieben, könnten sich täuschen. Staatsanwälte und Aufsichtsbehörden rufen nämlich immer häufiger Rechtsanwälte in den Zeugenstand. Immer mehr Unternehmen sind nun schnell bereit, auf ihr Recht, dass ihr Anwalt ihre Informationen vertraulich behandelt, zu verzichten. Sie zwingen ihre Anwälte, mit dem Staatsanwalt zusammenzuarbeiten. Der Grund: Sie wollen damit lästigen Anklagen und Geldstrafen entgehen.

Gesetzesänderungen machen es außerdem wahrscheinlicher, dass Unternehmensanwälte in Zukunft über ihre Firma und Kollegen aussagen.

Für die Staatsanwaltschaft sind Rechtsanwälte besonders wertvolle Zeugen. „Aus einem sehr überzeugenden strategischen Grund geben sie großartige Zeugen ab: Sie sagen die Wahrheit“, sagt Stephen Gillers, ein Professor für Rechtsethik in New York. „Je nachdem, wie sehr ihre Zeugenaussage einem früheren Klienten oder einem Mitarbeiter des Klienten schadet, wird die Jury eher ihm als anderen glauben.“

Rechtsanwälte selbst dürfen nicht aus eigener Initiative vertrauliche Informationen ihrer Klienten an Behörden weiterreichen. Nur ihr Klient darf sie dazu bemächtigen. Die CFSB hat Brodsky von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden, nachdem die Investmentbank im Februar von dem E-Mail-Verkehr zwischen Quattrone und Brodsky erfuhr. Aus den E-Mails ging hervor, dass Quattrone von drei Ermittlungen der Börsenaufsicht gegen die CSFB wusste, als er Kollegen zur Vernichtung von Dokumenten aufforderte. Brodsky will sich zu dem Vorfall nicht äußern. Er ist jetzt Partner eines New Yorker Anwaltsbüros.

Quattrone hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Mit der im Dezember 2000 versandten E-Mail habe er die Mitarbeiter nur ermutigen wollen, überflüssige Dokumente zu vernichten – nicht aber für Ermittlungen und Gerichtsprozesse relevante Unterlagen aus dem Weg zu schaffen.

Der Rechtsanwalt Brodsky wurde zu einem Schlüsselzeugen in den Ermittlungen gegen Quattrone, nachdem die Staatsanwaltschaft herausfand, dass er Quattrone zwei Tage vor der besagten E-Mail auf die Ermittlungen von Börsenaufsicht und Staatsanwälten hingewiesen hatte. „Wie Sie wahrscheinlich wissen, untersuchen sowohl SEC als auch NASD unsere Aktienverkäufe am IPO-Markt“, schrieb Brodsky in einer Mail an Quattrone am 3. Dezember 2000. „Es gibt neuere, äußerst Besorgnis erregende Entwicklungen, über die ich mit Ihnen so bald wie möglich sprechen muss.“

Die amerikanischen Behörden haben wegen der Wirtschaftsskandale die Anwaltsrechte unter die Lupe genommen und für Einschränkungen plädiert. Zuerst haben die Juristen dieses Ansinnen abgelehnt. Doch auf seiner Jahrestagung im August plädierte der amerikanische Anwaltsverband für eine Änderung seines Verhaltenskodexes. Danach dürfen Rechtsanwälte künftig vertrauliche Informationen ihrer Klienten an die Behörden weiterreichen, wenn sie glauben, damit eine Straftat oder ein Verbrechen verhindern zu können.

Übersetzt und gekürzt von Tina Specht (Schnellrestaurants), Karen Wientgen (Quattrone), Christian Frobenius (EU-Luftverkehr), Matthias Petermann (US-Steuern) und Svenja Weidenfeld (Hongkong)

Laurie P. Cohen, Randall Smith

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