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Wirtschaft: Dorf für Dorf sucht Indonesien Vergeltung

Vor einigen Tagen in Sleman, Indonesien.Es ist mittag.

Vor einigen Tagen in Sleman, Indonesien.Es ist mittag.Etwa 700 Indonesier marschieren auf das Regierungsgebäude des Distrikts zu.Eine aufgewühlte Masse mit Motorrädern und roten Fahnen.Der Rücktritt des früheren Staatschefs Suharto im Mai hat sie nicht zufriedengestellt.Sie wollen die Köpfe ihrer Dorfoberen und des Distriktvorstehers.Die Demonstranten hissen ihre Fahnen, besetzen den Eingang des Gebäudes und schimpfen über die Verbindungen der Offiziellen zur Familie Suhartos.Doch die Bürokraten lassen sich nicht blicken; die Dorfbewohner schwören, zurückzukommen.

Die Indonesier sind auf Kopfjagd.Die wirtschaftliche Verzweiflung hat einen Rachefeldzug ausgelöst, der nun nach politischen Veränderungen auf jeder Ebene strebt.Auf allen Inseln des Landes hat nach dem Fall von Suharto ein Treiben auf die begonnen, die mit der Korruption verstrickt waren.Ohne Kontrolle, warnen Indonesier, könnte die gegenwärtige Säuberungsaktion noch viel blutiger werden.

"Die Dorfoberen waren in ihrem Machtmißbrauch noch viel arroganter als Suharto", sagt Suwandi Subrato, einer der Führer der United Development Party in Sleman.Das Aufbegehren des Volkes beunruhigt inzwischen sogar bekennende Reformbefürworter.Sie befürchten, daß die Situation ins Chaos führen könnte.In Indonesien fehlt es an funktionierenden demokratischen und rechtsstaatlichen Einrichtungen.Deshalb hat die Verwaltung wenig Mittel, den Reformgeist zu kanalisieren und Auswüchse zu verhindern."Wenn die Leute die Möglichkeit haben, sich zu rächen, werden sie das tun", warnt Budi Susanto, Direktor der Legal Aid Foundation der Provinz Yogyakarta.Der Wunsch nach Vergeltung ist verständlich.Millionen Indonesier sind nicht nur wütend; sie sind auch hungrig.

Der rapide wirtschaftliche Verfall des Landes könnte bald zu einer Nahrungsmittelknappheit für 200 Mill.Menschen führen.Schon heute essen Indonesier auf dem Land Insekten, um nicht zu verhungern.Die Lage ist inzwischen so schlimm, daß Präsident B.J.Habibie seine Landsleute auffordert, an zwei Tagen in der Woche zu fasten, um drei Millionen Tonnen Reis zu sparen - das ist die Summe, die das Land dieses Jahr importieren muß.

Doch Opfer können die Essensknappheit nicht allein lösen.Daß es jetzt nichts zu essen gibt, ist die Auswirkung einer jahrelangen wirtschaftlichen Krise, die die Kaufkraft der Indonesier einbrechen ließ."Wenn sie kein Geld haben, spielt es keine Rolle, ob die Läden voller Nahrungsmittel sind oder nicht", sagt Dennis de Tray, Chef der Weltbank-Repräsentanz in Indonesien."Wenn sie kein Einkommen haben, können sie nichts kaufen." Die nun entstandene Aufruhr hat die Nahrungsmittelkette weiter unterbrochen und einige regionale Führer dazu gebracht, um Militärschutz zu bitten.Die Bevölkerung hatte damit gedroht, ihre Häuser und ihr Eigentum zu zerstören.Andere haben ihre eigenen Schlägertruppen zum Schutz angeheuert.

Die Zeichen politischer Körperverletzung sind jetzt schon offensichtlich.Ein Beispiel ist Fajar Pribadi, Dorfoberster in Negestihardjo, im Distrikt Bantul.Schon zwei Mal sind die Dorfbewohner vor sein Büro gezogen und haben seinen sofortigen Rücktritt wegen Korruption gefordert.Sie werfen ihm vor, sich seinen Weg ins Amt durch Bestechung ergaunert zu haben, die Dorfgelder mißbraucht und Landforderungen betrügerisch gelöst zu haben.Er behauptet, er sei unschuldig.

"Ich stimme mit den Dorfbewohnern bei den Reformzielen überein", sagt Fajar."Doch sie haben keine Beweise gegen mich." Die Reformbewegung, fügt er hinzu, werde beeinflußt von Dritten für deren übergeordnete Ziele.Diese Dritten seien seine politischen Gegner, behauptet Fajar, ohne allerdings Namen nennen.Sie wollten einfach nur seine Macht."Die waren betrunken und minderjährig", beschreibt der Bürokrat die Demonstranten, die seinen Rücktritt gefordert haben.Um die Stimmung abzukühlen, hat sich Fajar mit seinen Verleumdern unterhalten.Er hat allerdings auch seinen eigenen Schutz verstärkt.

Die kurze politische Geschichte Indonesiens - das Land wurde erst in den späten 40er Jahren von den Niederlanden unabhängig - bietet Politikern wie Fajar wenig Trost.Mitte der 60er Jahre, als Suharto nach einem gescheiterten kommunistischen Coup an die Macht kam, wurden mit den Kommunisten in Zusammenhang gebrachte Dorfbürokraten abgesetzt, viele auf Inselgefängnisse gebracht oder getötet.

"Wir haben Angst, daß es in Anarchie umschlägt", sagt Fajar."Dieses Dorf hat eine dunkle Geschichte" was politische Vergeltung anbetrifft.Auch in der Nachbarstadt Banguntapan bekommt der Dorfführer Abdullah Sajad langsam Angst.Die Dorfbewohner interessieren sich plötzlich dafür, wo die Einnahmen aus Landverkäufen geblieben sind.Bis jetzt habe noch niemand seinen Rücktritt gefordert, doch Abdullah gibt zu: "Ich habe Angst vor der Zukunft."

Darin liegt eine der größten Herausforderungen für Indonesien in der Nach-Suharto-Ära: Ein demokratisches System muß entstehen in einer Bevölkerung, die wenig über Demokratie weiß - und auch sonst wenig gebildet ist.Darüber hinaus hat die Zentralregierung bislang die Dörfer dazu gezwungen, Führer zu dulden, die von Indonesiens drei offiziellen Parteien ausgewählt wurden.Das hat zu viel Verachtung geführt, sagen Indonesier.

"Ihre Nähe zur Zentralmacht hat sie darin bestärkt, ihre Dörfer als eigene kleine Staatsmacht zu führen", sagt Warsita Utomo, politischer Analyst der Gadjah Mada Universität.Die lokalen Machthaber kauften und verkauften das Land der Dorfbewohner ohne deren Zustimmung und setzten die Gebühren wie sie wollten, so Utomo, und waren nur Jakarta verantwortlich.

Jetzt, da die Wirtschaft in der Krise steckt und die Zentralregierung schwach ist, blicken manche Indonesier fast nostalgisch auf die Disziplin und Kontrolle und der Führung von Suharto zurück, so schmerzhaft die Zeit auch war.Der Übergang in die Demokratie, warnen sie, könnte lange dauern und sehr viele Opfer verlangen."Die soziale Kontrolle bricht bereits weg, niemand kontrolliert und nichts wird kontrolliert", meint der einflußreiche indonesische Schriftsteller Y.B.Mangunwijaya aus Yogyakarta."Man sieht es vielleicht noch nicht an der Oberfläche.Doch darunter brennt es bereits."

Übersetzt, gekürzt und redigiert von Polly Schmincke (Rußland), Kristina Green (Weltbank), Joachim Hofer (Indonesien, Asienkrise).

JAY SOLOMON

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