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Wirtschaft: Editorials: Toleranz auf holländisch

Die Toleranz-Vorstellung der bekanntlich sehr aufgeschlossenen Holländer befindet sich auf Kollisionskurs mit der Realität des Sozialstaats. Im Januar nahmen die Niederlande der Prostitution die letzten Reste an Illegalität.

Die Toleranz-Vorstellung der bekanntlich sehr aufgeschlossenen Holländer befindet sich auf Kollisionskurs mit der Realität des Sozialstaats. Im Januar nahmen die Niederlande der Prostitution die letzten Reste an Illegalität. Doch kaum behandelten die Behörden das älteste Gewerbe wie jeden anderen Beruf, schimpften die Nutten über die massiven Steuerabgaben und Bordellbesitzer jammerten über die übertriebene Bestimmungen zur Arbeitsplatzsicherheit. Dahinter steckt mehr als überregulierte Vorschriften und die Verwunderung der Liebesdiener darüber, dass es Legalität vom Staat nicht umsonst gibt.

Deutschland, Österreich, Ungarn und Tschechien diskutieren derzeit darüber, dem holländischen Beispiel zu folgen und Prostitution vollständig zu legalisieren. Doch sollten sich diese Länder vorher vor Augen führen, wohin die holländische Vorstellung von Toleranz führt. Zweifler sollten am Amsterdamer Hauptbahnhof anfangen, der europäischen Zentrale des Lasters. Durch den Hintereingang vorbei an den Drogensüchtigen wird der Bürgersteig zum Sexsupermarkt, wo Männer, Jungen, Frauen und Mädchen verschiedenster Nationalitäten ihre Körper schon ab 40 Gulden verkaufen.

Doch diese trostlose Szenerie unterscheidet sich von anderen Städten Europas: Die holländische Toleranz ist scheinbar grenzenlos. Dank der neuen Ansichten aus den 60er Jahren entwickelte sich das bereits 1911 legalisierte Rotlichtmilieu zur Touristenattraktion. Die Prostitution macht nach Schätzung etwa ein Prozent des holländischen Bruttoinlandsprodkts aus. Mit wachsender Toleranz für die Prostitution wurde es für die Polizei zunehmend schwieriger, die noch verbliebenen Gesetze durchzusetzen. Polizisten war es nicht einmal erlaubt, Prostituierte nach ihrem Ausweis zu fragen. Das Ergebnis solcher Toleranz: Das holländische Sexgewerbe ist das größte Europas.

Wachsende Toleranz führte zu einem ungewöhnlichen Gesinnungswandel des Polizeiapparats. Anfang der 90er Jahre begann das Justizministerium, die vollständige Legalisierung der Prostitution zu befürworten. Unter dem Deckmantel der etwas seltsamen Logik holländischer Politik sieht dieser Sinneswandel sogar sinnvoll aus. Wenn Bordelle wie jedes andere Geschäft behandelt werden, kann die Polizei Recht und Ordnung durchsetzen ohne intolerant zu erscheinen. Aus diesem Grund stellte sich die anerkannte Gewerkschaft der Prostituierten, De Rode Draad (Roter Faden), auch gegen die Legalisierung.

Tatsächlich ist das Ergebnis folgendes: Der Staat bietet den Prostituierten Rentenversicherung, Urlaubsgeld und Arbeitslosenhilfe, verlang dafür aber enorme Steuerabgaben und schafft für alles und jedes viele Bestimmungen. Gesundheitsbestimmungen verlangen nach kurzen Fingernägeln, um Risse an Kondomen zu vermeiden. Die Prostituierten wiederum sagen, das kurze Nägel dem Geschäft schaden. In Anbetracht der Intimität des Gewerbes scheinen Auflagen über getrennte Toiletten für Männer und Fraune absurd. Völlig absurd dagegen ist, dass die Prostituierten beispielsweise keinen Aids-Test vorlegen müssen, denn das würde das Recht auf Ablehnung medizinischer Hilfe verletzen.

Während die Gewerkschaft der Prostituierten an der Entschärfung der Auflagen arbeitet, scheint das gesamte Sexgewerbe in den Untergrund abzuwandern - weit weg vom Schutz der Polizei und den neugierigen Augen der Regulierer. Und genau das passiert, wenn der tolerante Staat auf den Sozialstaat trifft: Man kauft die Nachteile beider Seiten ein.

Aus dem Wall Street Journal. Artikel übersetz

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