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Wirtschaft: Ein gutes Rezept

Der Markt mit Arzneimittel-Reimporten wächst – aber die Gesundheitsreform zwingt die beteiligten Firmen zum Sparen

Schönefeld - „Comprimés pelliculés“ steht auf den Verpackungen des Medikaments, das in Schönefeld bei Haemato Pharm gleich paketweise angeliefert wird. Die Tabletten für HIV-Kranke stammen aus Belgien. Fünf Frauen – in Kitteln und Hauben – beugen sich  über die Arzneimittelverpackungen, kleben, schneiden, prüfen. Nach ein paar Minuten ist das belgische Medikament fit für den deutschen Markt: An die Stelle der „Comprimés pelliculés“ sind „Filmtabletten“ getreten, vom Haltbarkeitsdatum bis zur Indikation haben die Mitarbeiter die Übersetzungen aufgeklebt, einen deutschen Beipackzettel beigelegt. Mehr als 150 000 Packungen werden bei der Haemato Pharm in Brandenburg so jedes Jahr eingedeutscht.

Haemato, eine Tochter der Berliner MPH AG, macht sich die Preisunterschiede bei Medikamenten in der Europäischen Union zunutze. Die großen Pharmakonzerne wie Bayer oder Pfizer verkaufen ihre Markenarzneimittel in den einzelnen europäischen Ländern zu unterschiedlichen Preisen. Eine spanische Packung kann deutlich günstiger sein als eine schwedische. Im Schnitt sind die Medikamente in anderen EU-Staaten rund 25 Prozent billiger als in Deutschland.

Importeure wie die Haemato Pharm kaufen die Markenarzneimittel in anderen Ländern auf und etikettieren sie um, damit die spanischen oder griechischen Pillen hierzulande in den Verkauf gehen dürfen. Die sogenannten Parallel- oder Reimporte sind in der Apotheke häufig deutlich günstiger als die Arzneien, die für den deutschen Markt gedacht sind. „Im Schnitt kann man mit einem Reimport in der Apotheke zwölf Prozent sparen“, sagt Karsten Wurzer vom Verband der Arzneimittelimporteure Deutschlands (VAD). Bei den Mitteln, die erstattet werden, spart in erster Linie die Kasse. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wurde Berechnungen des VAD und anderer Experten zufolge 2010 durch die Reimporte um 300 bis 400 Millionen Euro entlastet. Der Kunde kann hier nur bei der Zuzahlung sparen. Für die Versicherten lohnen sich Reimporte besonders bei Medikamenten, die sie selbst zahlen müssen, zum Beispiel bei Erkältungsmitteln. „Hier können Patienten mit den Reimporten sogar mehr sparen als bei den verschreibungspflichtigen Arzneien“, sagt Wurzer.

Der Markt für Re- und Parallelimporte ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen: 2006 lagen die Umsätze der Branche in Deutschland bei 1,6 Milliarden Euro, 2010 waren es drei Milliarden. Noch beherrschen wenige Firmen den Markt: Drei Unternehmen, Kohlpharma, Emramed und Eurim-Pharm, vereinen 58 Prozent der Anteile auf sich, MPH liegt nach eigenen Angaben bei vier Prozent.

Unterstützt wurde das Wachstum auch durch die Politik: Sie verpflichtete die Apotheker, rund fünf Prozent Re- oder Parallelimporte zu verkaufen – sofern diese deutlich günstiger sind als die regulären Mittel. Seit Herbst 2010 haben es aber auch die Importeure schwerer: Der damalige Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) unterwarf sie dem Sparzwang. Der Zwangsrabatt für Medikamente (16 Prozent) gilt seitdem nicht mehr nur für die Konzerne wie Bayer oder Merck, sondern auch für die Importeure.

Der VAD klagt über Umsatzeinbrüche und Entlassungen. „Unsere Margen sind viel kleiner als die der Hersteller“, sagt Wurzer. „Für manche Mittel lohnt es sich nun nicht mehr, sie als Import anzubieten.“ Fielen die Reimporte weg, müssten Kassen und Patienten wieder zu den teureren deutschen Produkten greifen. Wegen geringerer Auslastung hätten Mitarbeiter gehen müssen. „Seit der Reform hat Kohlpharma rund 200 Leute entlassen müssen“, sagt Wurzer. Zwar sind das Massensterben von Importeuren und die große Entlassungswelle, die der Verband zuvor prophezeit hatte, bisher ausgeblieben. Aber eine Delle im Umsatz gibt es doch. Im Vergleich zum Vorjahr sanken die Erlöse der Firmen im ersten Quartal von 743 auf 653 Millionen Euro.

Das Ministerium, das die Folgen seiner neuen Regelung beobachtet, hält dagegen. „Wir haben keine Zahlen, die darauf hinweisen, dass häufiger zu Originalen gegriffen wird“, sagt Sprecher Roland Jopp. Insgesamt sinke durch die Rabatte für die Kassen die finanzielle Belastung.

Gerd Glaeske, Gesundheitswissenschaftler im Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, ist anderer Meinung. „Ich halte die Entscheidung der Regierung für falsch“, sagt der Pharmazeut. Die Parallel- und Reimporte sorgten für mehr Wettbewerb und Druck auf die Preise der Pharmakonzerne. „Nun beschneidet die Regierung eine Sparmöglichkeit für die gesetzliche Krankenversicherung“, kritisiert Glaeske. Künftig könnte der Import mancher Produkte nicht mehr lukrativ genug sein. „Gerade bei den teuren Mitteln, bei Krebs, Multipler Sklerose oder Rheuma, bei denen es wegen des Patentschutzes noch keine Generika gibt, lohnen sich die Importe“, sagt Glaeske. Derzeit machten 2,5 Prozent aller Verordnungen solcher Spezialpräparate 27 Prozent der Arzneimittelausgaben in der GKV aus.

Die MPH AG, deren Tochter Haemato auch Generika herstellt, ist bisher kaum betroffen. „Wir sind ein kleines Unternehmen und dementsprechend flexibel“, sagt der Vorstandsvorsitzende von MPH, Patrick Brenske. Zudem habe die Firma eine Nische erobert. „Bei unseren Schwerpunkten Krebs-, HIV- und Rheumatherapie sind die Preisunterschiede zwischen Original und Reimport auch trotz des Rabatts groß genug, so dass wir weiter günstig anbieten können.“ Dennoch äußert das Unternehmen Kritik an der Neuregelung. „Wir hätten sicher stärker wachsen können, wenn der Zwangsrabatt nicht gekommen wäre“, sagt MPH-Finanzvorstand Christian Pahl.

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