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Wirtschaft: Ein Minus-Jahr für Anleger

Kaum jemand glaubte nach dem Terrorschock, dass es 2002 an der Börse weiter bergab gehen könnte – es kam anders

Es war ein Horrorjahr, hieß es lapidar vor zwölf Monaten. Anleger, die das damals über 2001 sagten, kannten 2002 noch nicht. Nach knapp 20 Prozent im Vorjahr ist der Dax in den vergangenen zwölf Monaten um weitere 45 Prozent eingebrochen. Mehr als 2300 Punkte zerrannen zwischen Konjunktursorgen, Betrügereien, Shortsellern, Kriegsangst und steigenden Ölpreisen. Eine Million Anleger sagten allein in Deutschland dem Markt Adieu. Milliarden investierter Gelder wurden vernichtet.

Doch 2002 war trotz aller Kursstürze kein Jahr der wirtschaftlichen Katastrophen. Zwar standen mit Kirch-Media, Holzmann, Dornier und Babcock Borsig neben unzähligen Firmen am Neuen Markt auch mehrere Traditionsfirmen der Old Economy vor dem Konkursrichter. Doch die ehemals dunkelroten Bilanzen in vielen Unternehmen hellen sich wieder leicht auf. Lufthansa, SAP, Daimler-Chrysler oder BASF sind nur ein paar Beispiele dafür. Trotzdem zeigt die Kursbilanz im Dax, dass die meisten Anleger der wirtschaftlichen Bilanz noch nicht recht trauen: Kein einziges Unternehmen beendet das vergangene Jahr im Kurs-Plus.

Am besten steht nach zwölf Monaten noch die Aktie von Adidas-Salomon da, die 5,7 Prozent verlor. Oder das Papier von Henkel, das nur knapp sieben Prozent einbüßte. Die Bilanz färbt sich ansonsten dunkelrot: 17 von 30 Dax-Werten brachen um mehr als 40 Prozent ein, sieben Firmen gingen mehr um mehr als 50 Prozent in die Knie, fünf davon sogar um mehr als 60. Unrühmlicher Spitzenreiter ist MLP mit einem Jahresverlust von fast 89 Prozent.

Der Finanzdienstleister stand 2002 lange im Zentrum eines unappetitlichen Ortes: der Gerüchteküche. MLP, so lancierten vermutlich angelsächsische Hedgefonds, habe Bilanzen geschönt. Zwar konnten Betrügereien wie bei Enron nicht einmal ansatzweise nachgewiesen werden, doch reichten bei MLP eben schon Gerüchte, um die Kurse ins Bodenlose zu befördern.

Den Halbleiter-Hersteller Infineon sahen die Gerüchteköche bereits in der Pleite – ebenso wie ein „großes deutsches Versicherungs-Unternehmen“. Allianz und Münchener Rück gehören mit gut 66 beziehungsweise 62 Prozent Kursverfall zu den schwächsten Dax-Werten dieses Jahres. Am Ende warf sogar der mächtige Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle das Handtuch. Nicht nur die Börse machte ihn verantwortlich für die Übernahme der Dresdner Bank, die der Allianz inzwischen das Leben schwer macht. Insgesamt gehört die Finanzbranche – mehr noch als die Technologiewerte – zu den großen Verlierern des Börsenjahres. Hypo-Vereinsbank, Commerzbank und Deutsche Bank mussten zusehen, wie rund die Hälfte ihres Börsenwerts verloren ging. Alle drei sind nun für potente Konkurrenten am Kapitalmarkt zum Schnäppchenpreis zu haben, teilweise sogar zu Preisen, die unter dem Buchwert liegen. Gerade hier hat 2002 gezeigt, dass die Baisse die Baisse nährt: Die Finanzinstitute selbst litten stark unter der schwachen Börse und wurden deshalb weiter verkauft.

Die Deutsche Telekom hingegen, 2001 noch auf der Abschussliste der Analysten, steht mit einem Jahresminus von fast 38 Prozent noch vergleichsweise gut da. Nahe dem Tiefpunkt der Aktie bei knapp über acht Euro musste Konzernchef Ron Sommer gehen – und die Anleger kamen zurück. Dass sowohl Übergangschef Sihler als auch der neue Vorstandsvorsitzende Kai-Uwe Ricke aus Sommers Dunstkreis kommen, die Telekom zudem mit 24,5 Milliarden Euro den größten Verlust in der Dax-Geschichte ausweisen musste, kümmerte danach kaum noch jemanden. Zum Jahresende steht die Telekom bei gut zwölf Euro.

Nicht nur dieser Dax-Wert beweist, dass 2002 trotz aller Katastrophen auch Gewinne gemacht werden konnten. Wer Aktien gekauft hat, als sie keiner wollte – also rund um den 9. Oktober –, der hat seither gutes Geld verdienen können: Infineon beispielsweise, damals bei gut fünf Euro notiert, legte um bis zu 138 Prozent zu, von denen zum Jahresende immer noch 38 übrig geblieben sind. Epcos explodierte sogar um über 200 Prozent, musste den Dax jedoch trotzdem wegen zu geringer Umsätze am 23. Dezember verlassen.

Neu nachgerückt ist die Deutsche Börse AG. Im August musste sich bereits Degussa wegen zu geringer Marktkapitalisierung aus der Börsen-Bundesliga verabschieden. Ersetzt wurde der Wert durch Altana. Auch der alte Name Preussag verschwand 2002 vom Kurszettel, weil sich der Reisekonzern nun mit dem Titel der wichtigsten Tochter Tui schmückt.

Dass Öl um fast 50 Prozent teurer ist als noch vor einem Jahr, hätte den Automobilwerten im Dax stärker zu schaffen machen müssen, ebenso wie der gestiegene Euro, der die Gewinne aus Exporten in den Dollarraum schmälert. Daimler-Chrysler, VW und vor allem BMW nahmen trotzdem am Abfahrtsrennen der anderen Dax-Werte nur in Maßen teil. Dass trotz der Sanierung der US-Marke Chrysler bei den Stuttgartern ein Minus von 40 Prozent übrig blieb, ist typisch für 2002. Gute Nachrichten hatten es schwer, schlechte verschärften den Verkaufsdruck. Eines der schlechtesten Börsenjahre in der Dax-Geschichte geht zu Ende. Mit Blick auf das kommende Jahr hoffen die Anleger auf die Statistik: Ein viertes Minus-Jahr in Folge ist zumindest unwahrscheinlich.

Alle 30 Dax-Werte im Jahresüberblick auf der Seite 18.

Veronika Csizi

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