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Wirtschaft: „Eine Zäsur, die mir nicht leicht fällt“

Dieter von Holtzbrinck begründet seinen Rückzug – und erklärt, warum er besonders an schwierigen Projekten hängt

Herr von Holtzbrinck, ist Ihnen bewusst, dass Ihre Entscheidung, die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden aufzugeben und Ihre Anteile einer gemeinnützigen Familienstiftung zu überführen, nicht so gedeutet werden wird, wie Sie es wahrscheinlich gerne hätten, dass Sie nämlich allein aus Rücksicht auf die Beschränkungen gehandelt haben, die Ihnen das Alter angeblich auferlegt?

Zunächst einmal, ich bin ja sehr bewusst vor fünf Jahren aus der Geschäftsführung ausgeschieden, weil ich unbedingt das in Familienunternehmen gefährliche Nicht- loslassen-Können, den so genannten Grundig- oder Neckermann-Effekt, vermeiden wollte, und ich fühlte mich mit der weniger intensiven Arbeit als Aufsichtsratsvorsitzender durchaus ausgefüllt. Wenn ich nun mit 65 aus dem Aufsichtsrat ausscheide – auch das war geplant –, um eine neue Aufgabe zu übernehmen, dann halte ich das für die richtige Zeit.

Sie erfreuen sich bester Gesundheit, das operative Geschäft hatten Sie 2001 ohnehin schon weitgehend Ihrem jüngeren Bruder überlassen, nicht zuletzt wollen Sie in einem Alter abtreten, in dem mancher Hierarch – sagen wir mal: bei der „Zeit“, die Sie zu 100 Prozent besitzen – gerade erst zur Höchstform aufläuft.

Leider bin ich kein Herausgeber bei der „Zeit“ – insofern bin ich nicht davon überzeugt, dass mir ein Leben bis mindestens 90 Jahre beschert wird. Und wenn man eine bedeutende Familienstiftung gründen und aufbauen will, dann sollte man auch dafür zumindest einen Zeitraum von plus/minus zehn Jahren einplanen.

Über die Vorzüge einer sozial tätigen Familienstiftung werden wir noch reden, ich frage an dieser Stelle aber nach: Steht Ihr Rückzug für einen Richtungswechsel in der Ausrichtung der Verlagsgruppe, inhaltlich und formal?

Nein, das darf und wird nicht sein. Wir, das heißt meine Geschwister, der Aufsichtsrat, die Geschäftsführung und ich, sind uns völlig einig, dass die bisherige Unternehmensphilosophie der Gruppe erhalten bleiben soll. Wir wollen weiterhin eine langfristige, qualitätsorientierte Verlagspolitik betreiben, wir halten das dezentrale Prinzip, das heißt das Unternehmer-vor-Ort-Prinzip, für richtig, und auch unsere Kernaktivitäten – Buchverlage, Zeitungen, Wirtschaftspublizistik, Wissenschafts- und Bildungsverlage – sind ein Fundament, das niemand in Frage stellt.

Wäre es heute noch denkbar, dass man etwa über ein Jahrzehnt lang ein hoch defizitäres Unternehmen alimentiert?

Auch ich bin weniger sentimental als rational vorgegangen und ...

... und qualitätsorientiert ...

... und qualitätsorientiert. Und umgekehrt glaube ich auch, dass mein Bruder und seine Geschäftsführer-Kollegen nicht nur wie Finanzfachleute vorgehen, sondern vor allem den verlegerischen Impetus besitzen. Ein jahrzehntelanger Auf- und Ausbau eines damals sich in Bankrott befindenden Tagesspiegels kann ja nicht der Maßstab für eine Verlagspolitik sein. Es war zu jener Zeit die Chance, eine große Hauptstadtzeitung zu entwickeln. Es hat viel länger gedauert, als wir dachten. Wir hatten mit einem Zeitraum von ungefähr fünf Jahren gerechnet, es hat ungefähr zehn Jahre gebraucht, aber nun ist es geschafft. Vielleicht ist dies ein gutes Vorbild für die jüngere Generation, hin und wieder bei wichtigen publizistischen Produkten ähnlich zu denken und zu handeln.

Gab es in den letzten Jahren die Überlegung, den Print-Bereich zur Disposition zu stellen oder zu stutzen, weil man sich von ihm nicht mehr genug Rendite und Zukunft versprochen hat?

Wenn es diesen Eindruck gibt, weiß ich nicht, wo er herrührt. Alle Entscheidungen, die die Verlagsgruppe bis zum heutigen Tage getroffen hat, sind einstimmig erfolgt. Es ist überhaupt keine Frage, dass das Internet die Medienwelt verändert und dass wir in fast allen unseren Firmen – die Buchverlage sind am wenigsten betroffen – hierauf reagieren müssen und auch, wie ich glaube, früh reagiert haben. Wir verstehen uns schon seit einigen Jahren in erster Linie als ein Unternehmen, das hochwertige Inhalte produziert und vertreibt, und nicht als ein reines Printhaus.

Ist das die entscheidende Veränderung der letzten Jahre in der Ausrichtung Ihres Unternehmens?

Das ist die Veränderung der letzten Jahre. Wir müssen unsere exklusiven Inhalte auf dem Wege vertreiben, der zum Kunden führt, egal ob das jetzt per Print oder auf elektronische Weise erfolgt.

Ist der Weg zu dieser Einsicht in der Holding an der Gänsheide zu Stuttgart konfliktfrei verlaufen?

Ja, der Weg war konfliktfrei. Natürlich wurde viel diskutiert. Ich glaube, jeder in diesem Hause weiß, dass wir noch nicht genau wissen, wo die Reise hingeht. Wir haben beim Kollaps der so genannten New-Economy-Blase gesehen, wie wichtig die Vorgehensweise „Trial and Error“ ist. Interessant ist ja auch, dass von den klassischen Medienhäusern keines den erfolgreichen Weg gehen konnte wie Google, Yahoo, Ebay und andere.

Gibt es vielleicht zu viel Yahoo-Begeisterung fürs Internet in Ihrem Hause?

Mit Sicherheit gibt es mehr Yahoo-Begeisterung bei den Jüngeren als bei mir. Yahoo und Google sind nicht unbedingt meine Welt.

Wird Michael Grabner stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung und Verantwortlicher für den Zeitungsbereich der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck bleiben?

Ja. Michael Grabner hat klar gemacht, dass er dem Hause in der jetzigen Funktion loyal verbunden bleiben wird.

Darf man auch in Zukunft davon ausgehen, dass die Verlagsgruppe bei aller Öffnung hin zu den neuen Medien zu ihren Print-Erzeugnissen, zu ihren Zeitungen, Zeitschriften und zu ihrer Wochenzeitung steht?

Ja, aber das heißt nicht, dass diese sich nicht ändern dürfen. Ich bin davon überzeugt, dass sich alle Medien, insbesondere aber Zeitungen und Zeitschriften, den jeweiligen Verhältnissen anpassen müssen.

Ist das in Ihren Medien nicht schon überall geschehen?

Wir sind in unseren Zeitungshäusern in Deutschland sicherlich eher an vorderer Stelle. Aber ich glaube nicht, dass die Entwicklung bereits vorbei ist. Die Jugend wächst nun mal stärker mit elektronischen Medien auf als mit Print-Produkten, und insofern wird sich das „Zeitungsmodell“ weiter den Wünschen der Leser, dem Benutzer anpassen müssen.

Wird dieser Prozess der Anpassung an neues Medienverhalten vorangehen können, ohne dass es zu Qualitätsverlusten kommt?

Ich gehe davon aus, dass es in unserer Gruppe eher zu einer weiteren Qualitätssteigerung kommt, denn die reine Nachricht ist eine nicht bezahlte „Commodity“ geworden. Also geht es darum, dass wir Inhalte generieren, die durch Recherchen, Analysen und Kommentare an Tiefe noch zulegen. Diese Inhalte kann man zu jeder Zeit auch gegen Entgelt verkaufen.

Gelten die nicht öffentlichen Unternehmensgrundsätze Ihrer Verlagsgruppe noch uneingeschränkt, in denen es heißt, es gebe „eine absolute Qualitätsorientierung und weitgehende Konzentration auf gehobene Zielgruppen, eine Gewinnorientierung, die nicht zu Lasten von Qualität und langfristiger Stabilität gehen darf“?

Ja, wir haben diese Grundsätze auch in unserem Gesellschaftsvertrag kodifiziert, und ich kenne niemanden im Gesellschafterkreis, im Aufsichtsrat oder in der Geschäftsführung, der daran auch nur im Geringsten rütteln wird.

Gab es eine verlegerische Entscheidung Ihrer Verlagsgruppe in den letzten Jahren, die mit diesen Grundsätzen nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen war?

Die von mir selbst getroffene Entscheidung Mitte der 80er Jahre, in das Privatfernsehen zu gehen und eine Beteiligung bei Sat 1 zu erwerben, entsprach nicht ganz diesen Grundsätzen. Wir hatten gehofft, dass Sat 1 ein qualitativ gehobener Kanal werden würde, auf dem wir Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturinformationen senden könnten. Leider war dies eine Fehleinschätzung, und aus diesem Grunde sind wir bei Sat 1 wieder ausgestiegen.

Ich frage nach einem aktuellen Fall: Muss es Ihnen nicht wehtun, dass die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck die traditions- und qualitätsbewusste „Berliner Zeitung“ an einen Investor verkauft hat, der offenbar vorhat, die Zeitung publizistisch platt zu machen?

Zunächst einmal: Der Verkauf der „Berliner Zeitung“ tat mir weh, er tat uns allen weh. Wir haben ja bis zum BGH gekämpft, um diese Zeitung behalten zu können. Wir haben diesen Kampf gegen das Kartellamt verloren und mussten entweder den Tagesspiegel oder die „Berliner Zeitung“ abgeben. Wir haben uns in langen, mühsamen Gesprächen letztlich für die Abgabe der „Berliner Zeitung“, die uns ja nie richtig gehörte, entschieden und das schwierigere, publizistisch aber anspruchsvollere Produkt Tagesspiegel behalten. Dass die angelsächsischen Inhaber die Zeitung möglicherweise anders positionieren, das kann sein. Ich würde es für falsch halten, sie auf die Ebene der vorhandenen Boulevardblätter „Berliner Kurier“ und „BZ“ zu bringen. Dies ist ein rein kollegialer Ratschlag.

War es der unverstellte Blick auf eine Marktlücke oder die Identifikation mit Ihren Zeitungen und Büchern, die Sie auf die schöne Idee gebracht hat, einen Qualitätskonzern aufzubauen?

Es war die Identifikation. Ich begann ja meine Tätigkeit für die Verlagsgruppe 1970 beim „Handelsblatt“ und hatte vorher einige Monate bei Dow Jones, beim „Wall Street Journal“, volontiert, und mein Ziel war es, eine exzellente nationale Wirtschaftszeitung aus dem „Handelsblatt“ zu machen. Als ich dann Mitte der 70er Jahre in unsere Holding nach Stuttgart ging, hatte ich es neben dem Buchclub-Geschäft, aus dem wir uns später verabschiedeten, in erster Linie mit bedeutenden Literaturverlagen zu tun. Es macht mehr Spaß, sich mit Qualitätszeitungen und mit Qualitätsbuchverlagen zu beschäftigen als mit inhaltlichen Billigprodukten. Und es macht viel Freude, mit intelligenten, kreativen, sensiblen, durchaus schwierigen Redakteuren, Herausgebern und Chefredakteuren zu tun zu haben.

Haben Sie sich mehr als Verleger oder als Unternehmer verstanden?

Richtig als Verleger habe ich mich nur einmal gefühlt. Es war in der Zeit beim „Handelsblatt“ in Düsseldorf, als ich mich dort wirklich am Umbau, Aufbau, Ausbau des „Handelsblattes“ betätigen konnte, auch inhaltlich. Später, als Geschäftsführer unserer Verlagsgruppe, war ich zwangsläufig mehr Unternehmer als Verleger. Es war dann die Kür, wenn ich wie beim Tagesspiegel oder bei der „Zeit“ für einige Zeit auch an einem Relaunch, an einer Erneuerung der Produkte, mitwirken durfte.

Wie darf man sich Ihre Familienstiftung vorstellen, inhaltlich und rechtlich?

Ich bin dabei, erst mal zu lernen, welche Form der Stiftung die richtige ist. Im Moment gehe ich davon aus, dass wir die Familienstiftung in Form einer gemeinnützigen GmbH gründen werden, da sie mehr Möglichkeiten des Einflusses auf das Stiftungsgeschehen gibt. Inhaltlich bin ich mit meinen Kindern im Gespräch, denn die Stiftung soll ja in erster Linie auch die langfristigen Ziele, die die Kinder vor Augen haben, mit verfolgen.

Über wie viel Kapital wird diese GmbH zunächst verfügen?

Die GmbH braucht nur wenig Kapital, aber die Grundausstattung der Stiftung wird so sein, dass man damit schnell die ersten sinnvollen Projekte starten kann. Zum Schutz der Verlagsgruppe ist vorgesehen, dass der Wert meiner Anteile über einen Zeitraum von 15 Jahren in die Stiftung übergeht.

Warum wählen Sie diese Vorgehensweise?

Wir wollen einerseits vermeiden, dass die Verlagsgruppe einen zu großen „Cash Drain“ hat. Andererseits soll die Stiftung, an die wir uns ja auch erst herantasten müssen, nicht zu früh mit zu viel Kapital ausgestattet sein.

Hätten Sie sich gewünscht, dass vielleicht eines Ihrer Kinder in die Verlagsgruppe eintritt?

Ich habe hier ein zwiespältiges Gefühl: Auf der einen Seite wünscht man sich immer so was. Auf der anderen Seite war für mich immer das Wichtigste, dass die Kinder ihren eigenen Neigungen, ihren eigenen Talenten nachkommen können, d.h. ihren eigenen Weg gehen sollen. Was den Generationswechsel angeht, hat die Familie das Glück, dass mit Stefan die nächste Generation antreten konnte.

Woran hängt heute noch besonders Ihr Herz, wenn Sie sich die große Palette Ihrer Unternehmen anschauen?

Natürlich hängt man am meisten an den schwierigen Projekten. Nach der Übernahme von Rowohlt gab es zum Beispiel einen Aufstand des Lektorates gegen den neu berufenen Michael Naumann. Oder an „Scientific American“: Nach der gewonnenen Auktion in den USA im Jahre 86 gab es eine gesetzwidrige Attacke von Robert Maxwell, gegen die wir erfolgreich zu Felde gezogen sind. Sehr hänge ich natürlich am Tagesspiegel, den wir von den Altgesellschaftern übertragen bekamen, im Vertrauen darauf, dass wir aus dem Tagesspiegel wieder eine gute Zeitung machen. Wunderbar war der Kauf von Farrar, Straus, Giroux in USA, einem herrlichen Literaturverlag. Dankbar bin ich dafür, dass wir den Zuschlag bei der „Zeit“ bekommen haben. Das war ein Jugendtraum von mir. Die Tatsache, dass es uns anschließend gelang, die „Zeit“ wieder ganz nach vorne zu bringen und auch bei jüngeren Leuten wieder zu positionieren, ist schon eine besondere Freude.

Und was empfinden Sie im Rückblick als besonderen Flop?

Es gab eine Reihe kleinerer Flops wie den Kauf und die spätere Einstellung einer Zeitschrift namens „Corporate Finance“ in den USA, wie die Zeitschrift „DM“ oder auch die Zeitschrift „Telebörse“ beim „Handelsblatt“. Ein größerer Flop war wohl der Versuch, verlegerisch in Frankreich tätig zu werden.

Wissen Sie eigentlich, was die Farbe DvH in der Verlagsgruppe ist?

Nein, bisher nicht.

Also, wenn ein Mitarbeiter Ihrer Unternehmensgruppe besonders unglücklich oder abwanderungsgefährdet ist oder ein neuer angeworben werden soll, dann bemühen sich Ihre Spitzenmanager um einen Termin zwischen dem Betreffenden und Dieter von Holtzbrinck. Meistens sind es so vertrauensbildende Maßnahmen, dass sich alles in Wohlgefallen auflöst. Die Farbe DvH. Wer wird die Farbe künftig übernehmen können?

Ich glaube, dass ich hier kräftig auf meinen Bruder abgefärbt habe. Die Fluktuation von Führungskräften unserer Gruppe war auch in den letzten fünf Jahren äußerst gering.

Was fällt Ihnen in diesen Tagen am schwersten?

Dieses Interview, denn Sie wissen, dass ich mich in meinem Leben nur sehr selten öffentlich geäußert habe. Und dann die Tatsache, dass ich mich demnächst von vielen Kolleginnen, Kollegen und Freunden in der Gruppe verabschieden werde, auch wenn die Kontakte beibehalten werden können. Es ist eine Zäsur, die ich gewollt habe, die mir dennoch nicht leicht fällt.

Die Fragen stellte Giovanni di Lorenzo.

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