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Wirtschaft: Einzelhandel: "Die Kunden wollen gepeinigt und verwirrt werden"

Stephen Brown lehrt Marketing an der University of Ulster. Herr Brown, in Deutschland fangen die Einzelhändler gerade an, den "Service" zu entdecken und den Kunden die Wünsche von den Augen abzulesen.

Stephen Brown lehrt Marketing an der University of Ulster.

Herr Brown, in Deutschland fangen die Einzelhändler gerade an, den "Service" zu entdecken und den Kunden die Wünsche von den Augen abzulesen. Ist das die richtige Strategie?

Kundenorientierung ist eigentlich eine gute Sache. Aber zuviel ist zuviel. Viele Unternehmen und Händler übertreiben es einfach. Sie denken, je näher ich dem Kunden bin, desto besser. Ist man zu nett, zu aufmerksam, zu verständisvoll, zu schleimig, dann nervt das den Kunden.

Aber was wollen die Kunden denn genau?

Ich weiß jedenfalls, was sie nicht wollen: dass man ihnen zu sehr schmeichelt. Händler scheinen zu glauben, dass, wenn sie ihre Kunden genug lieben, diese die Liebe erwidern. Das ist kompletter Unsinn. Denn die Leute misstrauen Verkäufern. Und das wird sich nicht ändern. Sie werden sogar skeptischer, je professioneller man sie umwirbt. Denn jeder weiß: die Verkäufer wenden alle Tricks an, um uns etwas zu verkaufen. So wie US-Talkmaster David Letterman neulich in seiner Show sagte: Ich glaube nicht an unterbewusste Werbung. Aber gestern habe ich mir einen Mähdrescher gekauft!

Also sollen die Händler ihre Kunden ärgern?

Ja, denn Leute mögen es, gefoppt, verblüfft, verwirrt und gepeinigt zu werden. Heutzutage ist es einfach eine Seltenheit, dass ein Bedürfnis mal nicht sofort erfüllt wird. Allein der Fakt, dass etwas nicht leicht zu bekommen ist, macht es interessant und deswegen begehrenswert. Zufriedenheit vorzuenthalten könnte in unserer paradoxen, postmodernen Welt der Schlüssel zur Kundenzufriedenheit sein.

Sie nennnen Ihren Ansatz "Retro-Marketing". Warum?

Genauso wie die Leute Retro-Design wie den neuen Beetle oder alte Filme wie "Star Wars" gut finden, finden sie es auch gut, vom Verkäufer wie in den guten alten Zeiten angesprochen zu werden, als der Kauf von einem Stück Seife noch nicht der Einstieg in eine lebenslange Beziehung war. Die Kunden fühlen sich von den kundenorientierten Strategien belästigt. Retro-Marketing dagegen ist wie ein guter, alter Gaunerfilm, in dem geschwindelt und provoziert wird, um zu unterhalten.

Können Sie ein gutes Beispiel für Retro-Marketing nennen?

Harry Potter ist ein gutes Beispiel. Die Verleger haben behauptet, es gebe nicht genügend Bücher für alle - das hat das Verlangen danach erst gesteigert. Als der vierte Band heraus kommen sollte, gab es nur Geheimiskrämerei, über den Titel, den Preis und die Story. Das alles hat das Interesse an dem Buch nur vergrößert.

Aber irgendwann geht das den Kunden doch sicherlich auf die Nerven - und sie wollen ganz einfach ihr Produkt so schnell und einfach wie möglich haben ...

Ja, das stimmt. Retro-Marketing kann die Kunden auch verscheuchen, wenn es zuviel wird. Das Problem ist, dass die meisten Unternehmen davon überzuegt ist, Kundenorientierung sei die einzig mögliche Strategie. Es kommt aber immer auf das Unternehmen oder das Geschäft an, auf den einzelnen Fall. Es ist einfach wichtig zu sehen, dass es eine Alternative dazu gibt, den Kunden ständig hinterherzurennen.

Wann hat es denn mal nicht funktioniert?

Das würden sie wohl gerne wissen. Aber das ist mein kleines Geheimnis. Jetzt sind sie erst recht neugierig, oder? Sie sehen, das Prinzip funktioniert!

Herr Brown[in Deutschland fangen die Einzelh&auml]

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