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Wirtschaft: Eiskalt abrechnen

Jeder Vierte wird erwerbsunfähig. Die gesetzliche Rentenkasse muss zahlen

Wenn es im Rücken sticht und die Gelenke schmerzen, wird der Arbeitsalltag zur Last. In manchen Fällen trifft es Berufstätige besonders schwer: In Folge eines psychischen oder physischen Leidens werden sie erwerbsunfähig und können ihrem Broterwerb nicht mehr nachgehen. Statistisch gesehen trifft jeden vierten Arbeitnehmer dieses Schicksal. Während Anfang der 90er Jahre meist Herz-, Kreislauf- und Skeletterkrankungen zu Erwerbsminderung führten, treiben heute vor allem psychische Leiden die Menschen aus ihrem Beruf. Doch: Ist der Geschädigte Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung, kann er Ansprüche stellen. Die Kasse schützt den Versicherten auch bei Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit – wenn auch die volle monatliche Rente mit durchschnittlich 734 Euro in Westdeutschland und 686 Euro in Ostdeutschland eher mager ausfällt.

Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen teilweiser und voller Erwerbsminderung. Erstere liegt vor, wenn jemand wegen Krankheit auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten. Letztere reduziert diese Anforderung auf drei Stunden. Doch Vorsicht: Ein Anspruch besteht nur, wenn in den letzten fünf Jahren vor der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge zur Versicherung gezahlt wurden. Wichtige Voraussetzung ist auch die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren.

Für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gilt: Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist für die Bewilligung nicht entscheidend. Der Anspruch auf eine halbe Rente ergibt sich allein aus dem Krankheitsbild. Wenn medizinisch vernünftige Maßnahmen der Heilung und Rehabilitation nicht helfen, muss die Rentenkasse einen Ausgleich zur Erwerbsminderung zahlen. Ein Hinzuverdienst ist innerhalb bestimmter Grenzen möglich. Kann der Berechtigte jedoch keinen Teilzeitarbeitsplatz finden, erhält er unter bestimmten Voraussetzungen sogar eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. In früherer gesetzlicher Regelung wurde zudem zwischen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit unterschieden.

Berufsunfähig ist derjenige, dessen Erwerbsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen gesunken ist, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten haben. Wer also vor der Berufsunfähigkeit auf der Theaterbühne stand, könnte nach der Erkrankung unter Umständen noch Theaterkarten abreißen. Gegen diese sogenannte „abstrakte Verweisung“ können sich jüngere Jahrgänge nur durch eine zusätzliche private Berufsunfähigkeitsversicherung absichern: Denn eine gesetzliche Berufsunfähigkeitsrente gibt es lediglich für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1961 geboren sind.

Doch selbst eine minimale Erwerbsunfähigkeitsrente zu bekommen, ist oftmals nicht einfach. Viele Mandanten bringen eine lange Krankheitsgeschichte mit, weshalb eine eingehende Prüfung des Antrags notwendig ist. In jedem Fall wird die gesetzliche Rente nur auf Zeit gewährt: Die Verlängerung ist davon abhängig, wie die Krankheit des Erwerbsgeminderten verläuft. Wenn jemand zum Beispiel an einer Krebserkrankung leidet, die erfolgreich behandelt wurde, können Rentenansprüche enden. Die Leistungsfähigkeit muss von Arbeitsmedizinern individuell ermittelt werden. Jeder, der einen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente vermutet, kann jedoch selbstständig einen Antrag bei dem Rentenversicherungsträger stellen. Hier ist zu raten, sich mit seinem Hausarzt oder dem behandelnden Facharzt zu besprechen. Die Mediziner können durch eine geeignete ärztliche Stellungnahme den Antrag bereits im Vorfeld stützen.

In vielen Fällen werden Anträge an die gesetzliche Rentenkasse jedoch zunächst abgelehnt. Denn inwieweit die Atteste des Hausarztes anerkannt werden, entscheidet der medizinische Dienst der Rentenversicherung. Für den Geschädigten bedeutet das: Er muss schnellstens Widerspruch einlegen. Die gesetzliche Frist beträgt einen Monat ab dem Zustelldatum. Bei messbaren Erkrankungen ist es grundsätzlich ratsam, von seinem Recht Gebrauch zu machen: Der Widerspruch sollte jedoch möglichst begründet werden. Sollte der Widerspruch durch einen Widerspruchsbescheid abgelehnt werden, muss der Geschädigte innerhalb eines Monats klagen. Eine ausführliche Rechtsberatung sowie Auskünfte durch die ehrenamtlich tätigen „Versichertenältesten“ der Rentenversicherungsträger kann in dieser Situation nützlich sein.

Inhaber einer Rechtsschutzversicherung sollten wissen: Die anwaltlichen Gebühren werden erst übernommen, wenn es zu einem Klageverfahren kommt. Bis zum Erhalt des Widerspruchsbescheids ist der Mandant entweder auf sich gestellt – oder er muss den Rechtsanwalt aus eigener Tasche bezahlen. Die durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorgesehenen Honorare sind innerhalb eines Rahmens der Nettogebühren festgelegt. Hinzu kommen Pauschalen für Telekommunikation und die Mehrwertsteuer.

Die Autorin ist Rechtsanwältin in Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Strafverteidigung und Sozialrecht.Weitere Informationen unter www.judith-huber.de.

Judith Huber

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