zum Hauptinhalt
Strommasten und Windräder heben sich wie Scherenschnitte vom farbenprächtigen Abendhimmel in Brandenburg ab

© Patrick Pleul/dpa

Überwachung und Steuerung der Stromnetze: Energiewirtschaft eskaliert Frequenzstreit

Die Versorger wollen sich die Frequenzen rund um 450 Megahertz für ihre Netze sichern. Doch die Sicherheitsbehörden halten dagegen. Nun eskaliert der Streit.

Von Jakob Schlandt

Die deutsche Energiewirtschaft dringt mit Vehemenz auf die Zuteilung von Funkfrequenzbändern für die Überwachung und Steuerung der Stromnetze und scheut dabei auch klare Schuldzuweisungen gegen die Sicherheitsbehörden nicht mehr. Tagesspiegel Background liegt ein scharf formuliertes Schreiben vor, das nach Branchenangaben an die Staatssekretäre Andreas Feicht (Wirtschaftsministerium), Klaus Vitt (Innenministerium), Guido Beermann (Verkehrsministerium) sowie Kanzleramtschef Helge Braun und Bundesnetzagentur-Präsident Jochen Homann verschickt wurde. Unterzeichnet ist es von über 200 Energieversorgern. Die Bundesregierung will sich aber für die Entscheidung noch Zeit lassen und ein Gutachten abwarten.

In dem Streit geht es um die Zuteilung von zwei Frequenzbändern rund um 450 Megahertz (MHz), die Anfang 2021 frei werden. Aus Sicht der Energiewirtschaft braucht es exklusiven Zugriff für ihre Unternehmen auf diese Bandbreiten, um die „Integration von Millionen dezentraler Erzeuger und Speicher“ zu ermöglichen, neue Stromverbraucher wie E-Autos und Wärmepumpen aktiv zu überwachen und die Stromnetze zu steuern.

Für diese Aufgaben würden intelligente Kommunikationsmöglichkeiten und mithin ein spezielles, exklusives Funknetz benötigt. „Nur unter dieser Voraussetzung kann für den Verbraucher eine sichere und preisgünstige Stromversorgung gewährleistet werden. Wenn die Energieversorgung zusammenbricht, sind viele Bereiche, insbesondere andere kritische Infrastrukturen wie die Wasserversorgung, mit betroffen und die Konsequenzen verheerend“, heißt es weiter.

Bundesanstalt beansprucht vorrangigen Zugriff für Sicherheitsbehörden

Verschickt wurde der Brief von mehr als 200 Unternehmen unter Führung des Energieverbandes BDEW und des Stadtwerkeverbandes VKU – er stellt die jüngste Eskalationsstufe dar in einem seit Monaten zunehmend erbittert geführten Konflikt. Zu den unterzeichnenden Firmen gehören der Stromnetz-Primus Eon, die Westnetz von Innogy und die Unternehmen der Thüga-Gruppe. Das Gros stellen Stadtwerke. Laut BDEW versorgen die Firmen hinter dem Schreiben drei Viertel aller Stromnetzanschlüsse in Deutschland.

Hintergrund des Brandbriefs ist ein bislang ungelöster Streit der Energiewirtschaft mit den deutschen Sicherheitsbehörden. Die für deren Digitalfunk zuständige Bundesanstalt – die BDBOS – beansprucht nämlich die frei werdenden Frequenzen für den Funk von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), also Sicherheits- und Rettungskräfte. Im September hatte BDBOS-Präsident Andreas Gegenfurtner auf die Ansprüche der Energiewirtschaft mit einem offenen Brief reagiert. Die Position der BDBOS ist schon länger klar: Die den BOS zur Verfügung stehenden kleineren Frequenzbänder rund um 700 MHz reichten für die Bedürfnisse nicht aus. Der Vorschlag zur Güte: Die Energiewirtschaft darf die besser geeigneten 450-MHz-Bänder mitnutzen.

Dieses Ansinnen wird in dem Brief der Energiewirtschaft nun klar zurückgewiesen. Die Option sei geprüft worden, aber: „Aus technischen, wirtschaftlichen, zeitlichen, rechtlichen und sicherheitspolitischen Gründen ist eine solche Mitnutzung nicht zielführend.“ Der Behörde wird zudem Planlosigkeit unterstellt: Gespräche hätten verdeutlicht, „dass die BDBOS bisher kein Konzept für die Errichtung des BOS-Breitband-Basisdatennetzes im bereits zugewiesenen 700-MHz-Frequenzband hat“. Dabei seien diese Frequenzen für deren Zwecke „sehr gut geeignet“. Unmissverständlich heißt es: „Die Forderung der BDBOS nach Zuweisung der 450-MHz-Frequenzen für die eigenen Zwecke verstehen wir nicht.“

Hier bestehen also völlig unterschiedliche Einschätzungen. „Die Frequenzbereiche befinden sich im nichtharmonisierten Bereich und erfahren durch die angrenzenden Belegungen weitere Einschränkungen, so dass sie letztlich durch die BOS nicht im erforderlichen Umfang nutzbar sind“, hatte die BDBOS argumentiert. In seinem offenen Brief erneuerte Gegenfurtner jüngst sein Angebot zur Kooperation. Eine gemeinsame Nutzung „hätte – neben der Tatsache, dass die BDBOS als Betreiberin eines flächendeckenden, hochverfügbaren, abhörsicheren Netzes erwiesenermaßen über die erforderliche Expertise verfügt – auch aus der Perspektive des Bürgers den Vorteil, dass kein weiteres Netz zu errichten wäre.“

Energiewirtschaft beklagt zweijährige Blockade

Den längeren Atem hat wohl die BDBOS, sie kann den Konflikt eher aussitzen. Die Energiewirtschaft dagegen empfindet das derzeitige Patt als äußerst schädlich und greift auch in diesem Punkt Gegenfurtner und seine Behörde direkt an: „Infolge des Widerstands der BDBOS verzögert sich das (…) Frequenzvergabeverfahren seit nunmehr zwei Jahren.“ Dadurch würden Automatisierung und Digitalisierung verzögert, und: „Die dabei entstehenden Kosten gefährden die Akzeptanz und Umsetzung der Energiewende.“

Unterstützung hatte die Energiewirtschaft in ihrem Kampf um das Funknetz jüngst vom Beirat der Bundesnetzagentur erfahren – dort sitzen je 16 Länder- und Bundestagsvertreter. In einem Beschluss hieß es: „Der Beirat spricht sich mit Nachdruck dafür aus, dass der Energiewirtschaft auch nach 2020 die erprobte sichere Kommunikationslösung auf Basis der 450-MHz-Funktechnik weiterhin zur Verfügung steht.“ Die BNetzA selbst, die letztlich für die Abwicklung der Vergabe zuständig ist, betont dagegen ihre Neutralität. Ein Sprecher sagte, die Entscheidung liege bei der Bundesregierung.

Dort wird auf Zeit gespielt – obwohl die Energiewirtschaft auf heißen Kohlen sitzt. Auf Background-Anfrage teilte das Bundesverkehrsministerium von Andreas Scheuer (CSU), das auch für digitale Infrastruktur zuständig ist, mit, es habe sich mit den anderen involvierten Ministerien (Wirtschaft, Innenpolitik, Verteidigung) auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt. In einem „ersten Schritt“ sei eine Studie in Auftrag gegeben worden, die die technischen und ökonomischen Auswirkungen verschiedener Vergabevarianten untersuchen soll.

Das Verkehrsministerium (BMVI), das federführend den Schiedsrichter geben muss, will erst einmal eine „faktenbezogene fachliche Gesamtdarstellung“ auf dem Tisch haben, um dann eine „sachgerechte politische Entscheidung“ mit den anderen Ministerien zu treffen. Während das Wirtschaftsministerium nach Brancheneinschätzung mit der Energiewirtschaft sympathisiert, stehen Innen- und Verteidigungsministerium tendenziell beim BDBOS. Zum Zeitplan heißt es vom BMVI, die Studie solle Ende Oktober vorliegen, dann soll es möglichst „zeitnah“ eine Entscheidung geben. Den Eingang des eskalierenden Briefes konnte das Ministerium allerdings gestern noch nicht bestätigen.                          

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false