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Wirtschaft: Erst selbstständig, dann pleite

Zahl der Insolvenzen steigt auf Rekordniveau / Experten: Viele Ich-AGs verschwinden vom Markt

Wiesbaden / Berlin - Immer mehr Privatpersonen können ihre Schulden nicht mehr begleichen und müssen Insolvenz anmelden. Auch die Unternehmenspleiten haben wieder zugelegt, berichtete das Statistische Bundesamt am Freitag. Zu Beginn dieses Jahres hatte das Wiesbadener Amt noch einen Rückgang der Firmenpleiten gemeldet. Im März mussten dann mit 3755 Firmen mehr als je zuvor in einem Monat aufgeben.

Die schwache Konjunktur hatte schon im Jahr 2003 zu einem Negativrekord von über 100000 Pleiten geführt. Von Januar bis März verzeichneten die Amtsgerichte einen neuerlichen Anstieg der Insolvenzen gegenüber dem Vorjahresquartal um 15,4 Prozent auf 28118. Davon waren 9867 Unternehmenspleiten, das bedeutet ein Plus von 1,2 Prozent.

Auch die Zahl ehemals Selbstständiger, die Insolvenz anmelden müssen, legte deutlich zu. „Es ist wahrscheinlich, dass hinter den gestiegenen Insolvenzen viele Ich-AGs stecken“, sagte Konjunkturforscher Jörg Hinze vom Hamburger Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA). Wer als Arbeitsloser eine Ich-AG gegründet hat, wird seit Anfang 2003 von der Bundesagentur für Arbeit im ersten Jahr mit monatlich 600 Euro gefördert. Im zweiten Jahr sinkt die Förderung auf 360 Euro. Für viele ehemalige Arbeitslose, die sich als Gärtner, Altenpfleger oder Imbissbesitzer selbstständig gemacht haben, könnte die sinkende Förderung zur Insolvenz führen, befürchtet Hinze. „Genau lässt sich das erst sagen, wenn die Bundesagentur für Arbeit die Zahlen vorlegt.“

Von insgesamt 155800 gegründeten Ich-AGs hat die Arbeitsagentur bisher 22100 „Abgänge“ verzeichnet. „Wie viele davon auf Insolvenzen zurückzuführen sind, können wir erst im Frühherbst bekannt geben, wenn die Zahlen analysiert worden sind“, sagte eine Sprecherin der Agentur. Unter Abgängen werden auch Selbstständige geführt, die wieder einen Job angenommen haben. Auch Gründer, die über 25000 Euro im Jahr einnehmen, fallen aus der Statistik, weil sie nicht weiter gefördert werden.

Die Statistiker haben im ersten Quartal einen besonders starken Anstieg der Verbraucherinsolvenzen verzeichnet. Sie stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 40,3 Prozent auf 10664 Fälle. „Seit der Neuregelung des Schuldrechts vor drei Jahren nutzen immer mehr Privathaushalte die Möglichkeit, Insolvenz anzumelden“, sagte ein Sprecher des Amtes. „Wer sich sechs Jahre lang um die Tilgung bemüht hat, kann so von den Restschulden befreit werden.“ Schätzungen zufolge sind in Deutschland drei Millionen Haushalte überschuldet.

„Schulden werden oft in Erwartung steigender Löhne in Kauf genommen, zum Beispiel beim Hausbau“, sagte Konjunkturexperte Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Doch in der Konjunkturflaute der letzten drei Jahre seien die Reallöhne nicht gestiegen. Da die Konjunkturerholung nur schleppend verlaufe, sei auch in den nächsten Monaten mit vielen Insolvenzen zu rechnen.

Immerhin meldeten die Statistiker bei den finanziellen Schäden der Pleitewelle eine Besserung: Sie lagen mit 10,1 Milliarden Euro um knapp 13 Prozent niedriger als im ersten Quartal 2003. Und den Rekordwert von 3755 Firmenpleiten im März führt das Amt zum Teil auf die besonders geringe Anzahl der Arbeitstage in diesem Februar zurück: Dadurch seien viele Insolvenzanmeldungen erst im Folgemonat erfolgt. Die Anzahl der Pleiten, so hoffen die Konjunkturexperten, hat damit vielleicht ihren Höhepunkt erreicht.

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