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Banken und Versicherungen schicken Mitarbeiter in die Schulen.

© Fotolia/Montage

Finanzunterricht: Erziehung auf Kurs

Schüler lernen im Unterricht nur wenig über Wirtschaft. Banker und Politiker wollen das ändern, und stoßen dabei auf Misstrauen.

Von Carla Neuhaus

„Wie kann man sehen, wer im Internet illegal Musik runtergeladen hat?“, fragt Toni Häusermann. Vor ihm sitzen die Schüler der siebten Klasse der Barnim- Oberschule in Lichtenberg. „Man hinterlässt Spuren in Netz“, meint ein Junge. Seine Klassenkameradin ergänzt: „Das geht über die IP-Adresse.“

Unterricht wie immer? Nein, nicht ganz. Toni Häusermann, der in schwarzer Anzughose und weißem Hemd vor der Klasse steht, ist kein Lehrer – genauso wenig wie Eva Keller, die neben ihm am Pult steht. Häusermann ist Abteilungsleiter bei der Allianz, Keller Unternehmensberaterin bei McKinsey.

Ihre Arbeitgeber haben sich mit der Marketingagentur Grey, der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und dem Mischkonzern Haniel zur My-Finance- Coach-Stiftung zusammengeschlossen. Die Stiftung schickt Mitarbeiter in die Schulen, um Kindern und Jugendlichen Finanzthemen nahezubringen. Keller und Häusermann erklären den Schülern an diesem Morgen das Geschäft mit Musik im Netz. „Durch illegale Downloads entsteht ein Schaden in Höhe von zehn Milliarden Euro“, sagt Keller und rechnet den Jugendlichen vor, wie viele Iphones sie mit dem Geld kaufen könnten (20 Millionen Stück).

Dass Banken, Versicherer und Unternehmensberater in die Schulen gehen und dort Wirtschaftsunterricht machen, ist mittlerweile keine Seltenheit mehr. Fast alle großen Finanzinstitute haben eigene Programme für den Schulunterricht oder geben Unterrichtsmaterialien heraus – darunter auch die Deutsche Bank, die Sparkassen oder der Verein Geldlehrer, der selbstständige Finanzberater in die Klassen schickt.

Können Banker, Versicherungsvertreter oder Anlageberater Jugendliche unabhängig über Finanzthemen aufklären? Marianne Demmer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft meint nein. „Weder die Mitarbeiter noch ihr Unterrichtsmaterial sind neutral“, sagt sie. Die Unternehmen stecken viel Geld in diese Programme – bei My Finance Coach haben die beteiligten Firmen 2,3 Millionen Euro investiert. „Das machen sie bestimmt nicht nur aus Nächstenliebe“, sagt Demmer. Verbraucherschützer bemängeln, dass die Sachverhalte bei solchen Projekten im Unterricht verkürzt dargestellt würden – zum Beispiel nicht erwähnt wird, dass Banken und Versicherungen für die Vermittlung von Finanzprodukten Provisionen kassieren.

„Für die Unternehmen ist das Teil ihres gesellschaftlichen Engagements“, sagt Christian Keller, Geschäftsführer der My- Finance-Coach-Stiftung. Ähnlich argumentiert auch der Bankenverband, der selbst Schulmaterial bereitstellt und dessen Mitgliedsinstitute in die Schulen gehen. „Wir möchten, dass Jugendliche mehr über Wirtschaft und Finanzen wissen, wenn sie die Schule verlassen“, sagt Anke Papke, Abteilungsleiterin für diesen Bereich beim Verband. Es ginge nicht um Werbung, sondern um Informationsvermittlung.

Mit ihrem Angebot stoßen Banken, Versicherer und Berater in eine Lücke. Denn viele Jugendliche wissen nur wenig über Wirtschaft und Finanzen. Die Hälfte der 15- bis 20-Jährigen sagt, sie hätten keine Ahnung, was an der Börse passiert. Nur ein Drittel von ihnen fühlt sich gut über finanzielle Dinge aufgeklärt, ergab kürzlich eine Befragung der Konsumforschungsgesellschaft GfK.

„Wissen über Finanzen wird heute nicht mehr von Generation zu Generation weitergegeben“, begründet das Peter Gnielczyk vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV). „Die Eltern sind überlastet und die Themen sind viel zu komplex geworden.“ In den Schulen fände Finanz- und Verbraucherbildung dagegen nur statt, wenn die Lehrer sich dafür einsetzten. „Viele Schüler werden nach der Schule ins kalte Wasser geschmissen, weil sie von den wichtigen finanziellen Sachen keine Ahnung haben“, bestätigt Robert Schneider von der Landesschülervertretung Berlin.

Das soll sich in Zukunft ändern: Die Kultusministerkonferenz (KMK) schlägt vor, die Verbraucherbildung deutschlandweit stärker in den Unterricht zu integrieren. Dabei solle auch der „bewusste Umgang mit Geld“ thematisiert und auf Finanzprodukte, Kreditformen und private Altersvorsorge eingegangen werden. So steht es in einem Entwurf, der dem Tagesspiegel vorliegt. Er soll im Herbst abschließend in der KMK beraten werden. Verbraucherschützer und die Landesschülervertretung werten das als  Fortschritt. Die Bildungsministerien werden nach der Verabschiedung der Empfehlung ihre Lehrpläne zum Teil überarbeiten müssen.

Allerdings sieht auch der KMK-Entwurf die „Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern“ vor. Das dürfte Projekten wie My Finance Coach in die Hände spielen. In der Barnim-Oberschule ist der Unterricht des Versicherungsexperten und der Unternehmensberaterin gut angekommen. „Wenn ich den Kindern erkläre, was die Gema ist, rollen die nur mit den Augen“, sagt Lehrerin Christina Bensch. Sie sei froh, bei Finanzthemen Hilfe zu bekommen. Natürlich sei sie erst skeptisch gewesen. „Ich hatte Angst, die Coaches könnten Werbung machen oder uns Verträge aufschwatzen“, sagt sie, „aber die Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet.“

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