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Wirtschaft: „Es war richtig, die Deutschen an die Börse zu führen“

Herr Waigel, Sie sind als Finanzminister häufig für die Schwäche des Euro gegenüber dem Dollar gescholten worden. Ist die nahe Parität für Sie eine späte Genugtuung?

Herr Waigel, Sie sind als Finanzminister häufig für die Schwäche des Euro gegenüber dem Dollar gescholten worden. Ist die nahe Parität für Sie eine späte Genugtuung?

Natürlich. Ich wusste von Anfang an, dass der Euro Potenzial hat. Die ganze Debatte um seine Schwäche verstehe ich ohnehin nicht. Als die D-Mark 1985 sehr schwach war, hat sich in Deutschland niemand aufgeregt. Als sie zehn Jahre später sehr stark war, rief keiner „Danke Theo". Damals wurde ich verantwortlich gemacht für Stagnation und Wirtschaftsschwäche.

Ist der Kurs des Euro nicht wichtig?

Zugegeben, der Außenwert des Euro ist wichtig für die Finanzmärkte und ein Indikator für den wirtschaftspolitischen Zustand Europas. Aber wirklich wichtig ist doch der Innenwert. Und diese Erkenntnis hat sich bei den Deutschen zumindest nicht durchgesetzt. Vielleicht braucht Deutschland jedes Jahr seine Hysterie. Das sehen Sie jetzt an der „Teuro-Debatte".

...die ja nicht ganz unbegründet ist.

Die Inflationszahlen sprechen dagegen. Es hat zwar zum Jahresanfang ein paar Ausrutscher gegeben, etwa in der Gastronomie. Doch diese Branche musste das bitter spüren. Die ganze Teuro-Debatte hat eher einen psychologischen Hintergrund, davon bin ich überzeugt. Und schließlich haben wir diese Hysterie ja auch schon hinter uns gelassen. Am Ende hat sich gezeigt: Der Euro ist so stark wie die D-Mark. Ich habe das immer gesagt.

Ohne je daran zu zweifeln?

Natürlich hatte ich Zweifel. Allerdings nicht in den letzten drei Jahren. Vorher hatte ich vor allem um die Standhaftigkeit der Mitgliedsländer im Hinblick auf die Konvergenzkriterien Sorge. Wird dieser Pakt halten und werden wir ihn alle erfüllen können? Das hat mich 1997 bewegt. Damals war der politische Druck schon sehr groß und ich bin im Nachhinein froh, in Brüssel ganz klar gesagt zu haben: „Drei Prozent sind drei Prozent und nicht mehr."

Ist die gegenwärtige Stärke des Euro nicht vielmehr eine Schwäche des Dollar?

Die amerikanische Wirtschaft war unglaublich stark. Zehn Jahre lang. Das kann niemand so schnell nachmachen. Jetzt zeigt sich allerdings, dass eine Periode des Wachstums auch enden kann. Und solche Schwachpunkte wie das hohe Leistungsbilanzdefizit treten zum Vorschein. Dass angesichts der gegenwärtigen Lage in Amerika der Dollar keine so starke Währung bleibt, ist verständlich. Und dem Euro nützt das.

Warum? Die Wirtschaft der USA wächst doch immer noch schneller als die Europas.

Die Finanzmärkte erkennen auf einmal viel klarer, dass die Länder Europas einen großen Teil ihrer Hausaufgaben schon gemacht haben. Nehmen sie die Stabilitätskriterien und die Reformen in Richtung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes. Da überrascht mich der Fortschritt und der Mut einzelner Länder sehr. Das hätte ich vor ein paar Jahren gar nicht zu hoffen gewagt. Der Euro hat sich zu einer geachteten zweiten Weltreservewährung entwickelt. Das erkennt man überall in der Welt an. Nur die Deutschen und zum Teil auch andere Europäer sehen das noch immer trübsinnig.

Die Zweifel werden durch aktuelle Debatten um die Stabilitätskriterien wieder genährt.

Das ist ein Trugschluss. Die Stabilitätskriterien kann niemand verändern. Denn sie sind in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag festgeschrieben. Nur ein einstimmig gefasster neuer Vertrag könnte dies unwirksam machen und die Kriterien verändern. Und dazu wird es nicht kommen.

Es gibt viele, die sorgen sich ernsthaft.

Die Stabilität hat heute noch mehr Gewicht als vor zehn Jahren. Die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft lässt uns keine Wahl als eine nachhaltige Finanzpolitik. Es müssen in Europa in Zukunft immer mehr junge Menschen für immer mehr Alte aufkommen. Wenn wir diesen Generationenvertrag aufrechterhalten wollen, und ich sehe niemanden, der das nicht will, dann müssen wir künftigen Generationen das Gefühl von verantwortungsvoller Finanzpolitik geben. Wenn wir heute unsere öffentlichen Haushalte nicht straff sanieren, dann werden wir den jungen Menschen zusätzlich zu der demografischen Last noch eine Schuldenlast überwälzen. Und dann bricht der Generationenvertrag.

Die Jungen werden das nicht akzeptieren?

Früher konnten wir uns eine höhere Verschuldung vielleicht noch leisten. Ein starkes Wirtschaftswachstum konnte für Ausgleich sorgen. In Zeiten der Globalisierung geht das nicht mehr. Die Jungen werden einfach abwandern und das Kapital mitnehmen.

Werden die Europäer der Versuchung widerstehen, sich eine Verschnaufpause zu gönnen? Etwa, um das Wachstum anzukurbeln?

Wer jetzt die Stabiltitätskriterien aufweicht, der wird den gesamten europäischen Prozess zum Erliegen bringen. Obwohl Länder wie Portugal aktuell wieder für Diskussionen sorgen, haben die Vereinbarungen in den vergangenen Jahren zu einer enormen Disziplin geführt. Die öffentlichen Haushalte wurden spürbar entlastet. Und gerade, weil dieser Prozess noch nicht beendet ist, darf man jetzt nicht zurückweichen. Ich bin überzeugt, dass die Europäer das wissen und die Kräfte der Vernunft überwiegen. Und letztlich gibt es keine Anzeichen, dass es Einstimmigkeit zur Veränderung der Kriterien gibt.

Beneiden Sie Hans Eichel dafür, dass er breite Akzeptanz für seinen Konsolidierungskurs erfährt, während in Ihrer Amtszeit das Schuldenmachen noch opportun war?

Ich habe keinen Grund zum Neid. Eichel ist jetzt dreieinhalb Jahre Finanzminister. Seinen Erfolg wird man erst bemessen können, wenn er fünf oder sechs Amtsjahre hinter sich hat. Wobei ich nicht glaube, dass es im September dazu kommen wird. Und bei Lichte besehen, hat Eichel nur die 30 Milliarden Mark, die Oskar Lafontaine zu verantworten hat, wieder eingespart. Von der Senkung der Staatsausgaben keine Spur. Eichel hat nur auf der Einnahmeseite konsolidiert. Und das nicht mal verantwortungsvoll.

Wieso nicht?

Nehmen Sie die UMTS-Versteigerung. Eichel hat Milliardeneinnahmen erzielt und dabei wurde eine ganze Branche beschädigt. Er ist für den gewaltigen Wertverlust der Aktionäre der Telekom mit verantwortlich.

Niemand hat die Telekom verpflichtet, so hoch um die Lizenzen zu pokern. Warum mussten die Lizenzen versteigert werden?

Andere Länder in Europa haben das auch nicht gemacht. Nein, wenn man das bilanziert, dann hat Eichel die Einnahmen gehabt und die anderen den Schaden. Und das auch noch zu Lasten der Länder und Kommunen.

Die Aktionäre der Telekom fühlen sich heute betrogen, weil Ihnen Gewinne mit der Volksaktie in Aussicht gestellt wurden.

Das kann ich gut verstehen. Ich habe allerdings niemandem versprochen, dass er damit reich werden wird. Wer an den Aktienmarkt geht, braucht einen langen Atem. Und ich bin sicher, dass der Kauf der T-Aktien für die Erstaktionäre kein Schaden sein wird.

Im Augenblick sieht es allerdings so aus.

Das ist kein Grund, die Privatisierung schlecht zu reden. Ich bin auch nicht sicher, ob nach dem Börsengang jede Transaktion richtig gewesen ist. Aber ich weiß, dass es richtig war, das Unternehmen zu privatisieren und damit die Deutschen an die Welt der Börsen heranzuführen.

Soll eine unionsgeführte Bundesregierung den Konsolidierungskurs in aller Konsequenz fortsetzen?

Dazu gibt es gar keine Alternative. Jede Steuersenkung, auch wenn sie noch so erwünscht ist, muss erwirtschaftet werden. Entweder durch Ausgabenkürzung oder durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Es ist einfach nicht wahr, dass man durch Steuersenkung die Haushalte saniert, weil die Wirtschaft blüht und mehr Steuereinnahmen fließen. So etwas verspricht nur, wer sich nicht auskennt. Auch in Amerika haben die Steuersenkungen die Defizite erhöht. Erst Ausgabeneinschränkung und große Flexibilität auf den Arbeitsmärkten hat zu Überschüssen in den öffentlichen Kassen geführt. Wer jetzt rasch die Steuersätze senkt, der wird etwa ein Drittel erwirtschaften können durch mehr Wachstum. Die anderen zwei Drittel müssen in den Haushalten selbst erbracht werden.

Weder in Ihrem noch im FDP-Wahlprogramm steht davon etwas.

Die Union hat alle Maßnahmen unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt. Und wir haben gesagt, dass wir Wachstum brauchen und dafür die sozialen Systeme – allen voran den Arbeitsmarkt – reformieren müssen.

Mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission wäre dazu Gelegenheit. Warum zuckt Edmund Stoiber jetzt zurück?

Das tut er ja gar nicht. Wir müssen jetzt erst einmal die guten Vorschläge von Hartz vom sozialen Sprengstoff unterscheiden. Dann kann man über die Umsetzung reden.

Der Bundeskanzler ist da schneller. Er verspricht die Umsetzung bereits vor der Wahl zu beginnen.

Warum hat die SPD zum Beginn ihrer Regierungszeit den Arbeitsmarkt erst gefesselt und dann drei Jahre nichts getan. Jetzt, 80 Tage vor der Wahl, ist das populistisches Wahlkampfgetöse.

Würde eine große Koalition die Umsetzung der notwendigen Reformen erleichtern?

Ich halte davon nichts. Und im Übrigen holt jetzt die SPD die eigene Blockadehaltung zu unserer Regierungszeit ein. Ich nenne das ausgleichende Gerechtigkeit. Wenn ich an unsere Steuerreform denke, dann kann ich nur an alle Politiker appellieren: Es gibt Entscheidungen, da müssen alle Parteien erkennen, dass es keine Blockadehaltung geben darf. In den nächsten Jahren stehen uns einige solcher Entscheidungen bevor.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Antje Sirleschtov.

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